© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/18 / 05. Oktober 2018

Mit den Linksextremen kam die Angst
Berlin, Rigaer Straße – ein berüchtigter Kriminalitätsschwerpunkt: Wo sich anarchistische Gewalttäter und Investoren die Hand reichen
Martina Meckelein / Mathias Pellack

Es stinkt nach Urin. Überall Hundekot. Achtlos liegen angekohlte Holzbretter und Plastikverschalungen auf der Straße. Auf dem Fußweg vor den heruntergekommenen Häusern lungern tätowierte, rastabezopfte Männer herum. Manche hocken auf den Fenstersimsen der Erdgeschoßwohnungen. Alle halten Bierflaschen in der Hand. Hunde wuseln zwischen ihren Beinen. „ACAB“ steht auf den Häusern: All Cops Are Bastards. Nachmittags in der Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain. Ein linker Szenekiez, der alles sein mag – aber nicht friedlich.

Hier werden grundlos Menschen zusammengeschlagen, Anwohner, die die Polizei alarmieren, bedroht, Hubschrauberpiloten mit Laserpointern geblendet, Steine geworfen und Barrikaden in Brand gesetzt. Das ist die eine Seite der Rigaer Straße. Die andere liegt hinter einem mächtigen Bauzaun – Weitergehen unmöglich. Zwischen Samariter- und Voigtstraße ist die Rigaer geteilt. Hinter dem Bauzaun entstehen neue Wohnungen, 133 an der Zahl. Sie sind alle schon verkauft. Der klangvolle Name: Carré Sama-Riga. Zielmiete sind 12,50 Euro/Quadratmeter. Im Internet­auftritt wird das so angepriesen: „Die Maßnahme verwirklicht eine Mischung aus anspruchsvollen Mietwohnungen und szene-typischer Kunst-, Kultur- und Arbeitswelt.“ Teure Tristesse in einem alten Arbeiterviertel.

„In der Rigaer wohnt ein explosives Gemisch“, sagt Sanitärinstallateur Jörg Walter (52). Er ist ein ehemaliger Anwohner. „Fast ausschließlich Wessis. Reich, jung und links. Aber sie lieben den Kiez nicht. Das ist nicht ihre Heimat, es ist hier nur schick.“

Es sind die zwei Seiten einer Medaille: Die 1.250 Meter lange Straße steht für das jahrzehntelange Totalversagen der Berliner Politik. Im Wohnungsbau und in der Inneren Sicherheit. Die Folge ist Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung. Und so können sich links­autonome Terroristen und an Renditemaximierung orientierte Investoren die Hand reichen. Sie sind – ungewollt – Geschwister im Geiste. Auf der Strecke bleibt das Rückgrat Deutschlands: das Kleinbürgertum und der Handwerker, die Krankenschwester und der fleißige Arbeiter.

Krawalle, Demos,            Vertreibung aus der Heimat

„Ich dachte, hier nur mit den Füßen voran aus dem Haus gebracht zu werden“, sagt Walter. Er ist lungenkrank, kommt in den Kiez nur noch, um sich von seinem Arzt behandeln zu lassen. Der Sanitärinstallateur wohnte fast sein ganzes bisheriges Leben in der Schreinerstraße 1, einer Parallelstraße zur Rigaer. „Meine ganze Familie hat in diesem Haus 81 Jahre gewohnt. Es war unsere Heimat.“ Und er zeigt auf ein leerstehendes Antiquariat gegenüber auf der anderen Straßenseite. „Vor der Wende, da haben die alliierten Soldaten schon morgens auf Höckerchen gesessen und darauf gewartet, daß der Laden geöffnet wird. So billig wie hier gab es doch im Westen keine Bücher.“ Heute steht das Geschäft leer, der Antiquar ist vor über einem Jahr verstorben.

Mit der Milchkanne zog Jörg Walter als Kind zum Milchmann. Die Frauen, zumal die älteren, kauften im Dederonkittel ein. „Im Hinterhof wurde die Wäsche aufgehängt – über Nacht, da kam nichts weg. Es gab hier Ärzte, Apotheker, Handwerker. Du mußtest aus dem Kiez nicht weg, es gab hier fürs Leben alles. Bis die Hausbesetzungen losgingen. Und die Leute wegzogen.“ Doch Walter wollte nicht weg. „Zuerst denkst du, das schaffst du. Dann sagst du dir, daß du dich aus deiner Heimat nicht vertreiben läßt. Und dann bist du irgendwann mit den Nerven am Ende. Diese Krawalle. Die Demos. Die Angst um das Auto. Zwei Stunden Fußmarsch, weil die wieder eine Demo machen, und das für einen Weg von zehn Minuten.“

Der Terror begann mit der Räumung der nahe gelegenen Mainzer Straße. Das war kurz nach der Wiedervereinigung 1990. Die Hausbesetzungen waren von der Wohnbaugenossenschaft Friedrichshain geduldet worden. „Es kamen aber linke Krawall-Terroristen aus Westdeutschland“, sagt Walter. „Unsere Vopos wußten doch gar nicht, wie man mit denen umgehen sollte. Das war hier Krieg.“

Mitte der neunziger Jahre waren in Berlin rund 150 Häuser besetzt, was sich allerdings nur auf einige wenige Kieze konzentrierte. Die Internetseite www.berlin-besetzt.de zeigt in einer interaktiven Karte die Entwicklung der besetzten Häuser von 1970 bis 2018 in Berlin. Was im Osten zu DDR-Zeiten als Systemkritik begann, ist heute blanker Terror. Ruheraum und Ausbildungszentrum der gewaltbereiten Antifa-Szene ist heute die Rigaer Straße. Aber keines der Häuser ist besetzt. Alle Wohnungen sind vermietet. Nur eine Kneipe, die „Kadterschmiede“ in der Hausnummer 94, ist besetzt. Wem genau die Häuser gehören, ist nicht klar. Die Eigentümer haben Angst – Angst vor Linksextremisten, die sie bedrohen könnten. Einem Anwalt eines Eigentümers wurde das Fahrzeug in Brand gesetzt, er gab daraufhin sein Mandat auf.

Die Polizei erklärte die Rigaer Straße zum kriminalitätsbelasteten Ort: kbO: „Danach setzt ein kbO voraus, daß dort Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden, also zum Beispiel Raubtaten, Brandstiftungen, gefährliche Körperverletzungen, gewerblicher/bandenmäßiger Taschendiebstahl, Drogenhandel usw. Häufig werden diese Straftaten in Gruppen und organisiert begangen.“ Acht kbOs gibt es in Berlin. Darunter auch die Rigaer Straße. Hier kann die Polizei verdachtsunabhängige Identitäts- und Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen durchführen. 2017 wurden hier insgesamt 833 Strafverfahren eingeleitet, 2018 bisher 516 (Stand 23. September), gab die Polizei Berlin auf JF-Anfrage an.

Zwei Verbrechen aus jüngster Zeit: Am 17. Juni 2017 blendet Jonathan M. (22) mit einem Laser den Piloten eines Polizeihubschraubers. Auf einem Rad flüchtet er, wird kontrolliert. Beamte entdecken unter anderem einen Laser und Zwillen. Er wird am 18. Oktober 2017 zu 18 Monaten Haft verurteilt.

Am 11. März 2018 schlägt der Pole Marek M. (42), ein gelernter Personenschützer, den Franzosen Jan S. (54) krankenhausreif. Am 15. März würgt er einen Polizisten. Am 17. September 2018 wird er ebenfalls zu 18 Monaten Haft verurteilt.

Die Linksextremisten der Rigaer Straße plakatieren derweil Solidaritätsaufrufe für ihre inhaftierten Genossen. Das liest sich dann auf einschlägigen Internetseiten so: „Ihre Verhaftung ist eine Geiselnahme des Staates gegenüber der Rigaer 94 und des rebellischen Kiezes. An ihnen soll ein Exempel statuiert werden, um uns allen Angst zu machen, anarchistische Worte und Taten zu befrieden und den Kiez zu spalten.“ Von „Blendung eines Bullenhelis“ ist die Rede. Verbrecher sollen zu Märtyrern gemacht werden.

In der Bäckerei 2000 an der Ecke Liebigstraße, dem sogenannten Dorfplatz, dort, wo Marek M. zuschlug, sitzen einige Männer beim Bier und rauchen. „Ich hab hier keinen Streß mit denen aus den Häusern“, sagt ein älterer Mann und zeigt Richtung Nummer 94. „Aber ich wohne auch weiter runter. Hier an der Ecke würde ich wahnsinnig werden. Mitten auf der Straße machen die hier Lagerfeuer in der Nacht – das geht nicht.“ Einer im Blaumann dreht sich eine Zigarette: „Ey, das sind Kinder, die sind auf der Flucht. Das ist hier ein Refugium für die.“ Auf der Flucht – wovor? „Na, vor den Nazis.“ Der Alte widerspricht: „Red’ doch keinen Scheiß, hier gibt es keine Nazis.“ Der im Blaumann: „Doch, in Brandenburg und Marzahn.“ Schon holt er sein Handy hervor und ruft die Internetseite des brandenburgischen Verfassungsschutzes auf. Seit 2013 veröffentlicht die Behörde zu extremistischen Strukturen in Brandenburg. Der „Extremograph“ visualisiert Organisationen und Standorte. Der Fokus liegt deutlich rechts.

Es scheinen Verwaltung und Politik Hand in Hand zu arbeiten. Denn das Thema Linksextremismus wird unterbelichtet. Unter der Bundesministerin Kristina Schröder (CDU) wurden Projekte gegen Extremismus – auch Linksextremismus – initiiert. Ihre Nachfolgerin Manuela Schwesig (SPD) kassierte sie fast alle ein. 2016 stieg das Gesamtvolumen des Bundesprogramms „Demokratie leben“ auf 50 Millionen Euro, gegen „linke Militanz“ wurden 420.000 Euro ausgegeben. Im Jahr 2017 sollen 1,2 Millionen Euro gezahlt werden bei einem Gesamtfördervolumen des Programms von 104 Millionen Euro.

„Die Mülltonnen leben,  sind voller Ratten“

Und so feiern die linksextremistischen Auswüchse weiter fröhliche Urständ in der Rigaer Straße – trotz Polizeikontrollen. „Die Kids da in der Liebig und der Rigaer, die brauchen Ruhe, und das kriegen sie dort. Außerdem lernen sie hier, wie man sich organisiert, wie man Demos anmeldet“, sagt der Mann im Blaumann. „Die wissen doch gar nicht, wie das alles geht, bevor sie hierherkommen. Ich bin zu alt, ich bin jetzt 40. Die sollen von Jüngeren angelernt werden“, grient der Blaumann.

Dort lernen sie auch den Begriff Gentrifizierung. Er bezeichnet die Aufwertung eines Stadtteils durch Sanierung. Allerdings ist die Folge die Verdrängung der alteingesessenen Anwohner. Die können sich die steigenden Preise nicht leisten. Auch Jörg Walter hat das erlebt. „Zu DDR-Zeiten zahlte ich 27 Ostmark für die Einraumwohnung. 40 Quadratmeter, ohne Balkon. Als ich auszog, kostete sie 400 Euro warm. Jetzt sprach ich mit meinem Nachfolger in der Wohnung. Er zahlt 570 Euro warm. Dabei ist das Haus runtergekommen. Der erste Käufer nach der Wende hat sich mit der Sanierung ins Zeug gelegt. Doch der neue Eigentümer zieht nur Geld raus, kümmert sich nicht. Die Mülltonnen leben, sind voller Ratten.“ Die Linken verstehen unter Gentrifizierung allerdings ausschließlich Verdrängung durch das Kapital. Daß sie selbst Teil des Systems sind und alteingesessene Anwohner verdrängen, erkennen sie nicht.

„Was hier herzieht – das kommt aus dem Westen. Langzeitstudenten, die nicht arbeiten, trinken, Party machen und am Wochenende mal eine Demo“, sagt Walter. „So einer wohnte über mir im Haus. Laute Musik bis sechs Uhr morgens. Da kannst du nicht einschlafen, aber ich muß arbeiten.“ Was sofort  auffällt: Es gibt keine alten Menschen. „Die sind weg oder im Heim, die kommen nicht auf die Straße“, lacht der Mann im Blaumann. So, als ob er nie alt würde. Die in der Bäckerei 2000 fühlen sich wohl, sie wollen nicht wegziehen. Nicht so wie Jörg Walter. Er lebt seit über einem Jahr in einem anderen Stadtteil. „Kein Krach. Nachts kann ich durchschlafen. Und auf der Straße grüßen mich wildfremde Leute höflich – das kannte ich gar nicht mehr.“