© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/18 / 05. Oktober 2018

„Ohne uns kann Syrien nicht überleben“
Besuch in der christlichen Stadt Maalula: Nach Knechtung, Tod und Bildersturm sucht der Ort Normalität
Luca Steinmann

Beim Sonnenuntergang im Spätsommer kann man in Maalula den Unterschied zwischen den Häuser und den umliegenden felsigen Bergen kaum erkennen. In diesem hellbraunen Licht sind die Kirchen und die Klöster dieser alten christlichen Stadt gleichfarbig, wie die großen Kreuze und die Statuen der Heiligen Jungfrau, die von der Bergspitze nach Süden Richtung Damaskus schauen. 

Vor dem Krieg gab es Hunderte dieser Statuen, nur wenige aber haben die Zeit unbeschadet überlebt. Die meisten von ihnen wurden von den Rebellen geköpft. Im Jahr 2013 besetzten die Anti-Assad- Milizen Maalula. 

In dieser Zeit wurden sämtliche Symbole des Christentums  beschädigt oder zerstört. Die Bilder in den Kirchen wurden mit Schnitten verunstaltet, auf die Glockentürme wurde geschossen und die Kreuze riss man nieder. Die Einwohner mußten fliehen. Diejenigen, die bleiben wollten, ohne den Islam anzunehmen, wurden getötet. 

Die Verehrung Assads ist nicht zu übersehen

Doch viele Christen sammelten sich einige Kilometer südlich von Maalula in einem muslimischen Dorf, welches noch unter der Kontrolle der Assad-Regierung stand. Dort wurden die Männer von der syrischen Armee bewaffnet, und sie starteten Gegenangriffe. Nach schweren und verlustreichen sechsmonatigen Kämpfen gelang es ihnen im April 2014, ihre Heimatstadt zurückzuerobern. Seitdem ist Maalula wieder Hauptstadt des uralten Christentums im Nahen Ostens.

Hier spricht man nicht nur Arabisch, sondern meistens Aramäisch, die Sprache, die zur Christuszeit gesprochen wurde. Die Zerstörung war für die Rebellen und Dschihadisten hoch symbolisch. Laut ihrer Ideologie soll kein Mensch überleben, der nicht die Sicht ihres Islams annimmt. Um das Herz des Christentums zu zerstören, kamen sie aus der ganzen Welt: aus Jordanien, dem Libanon, Tunesien, Libyen, Saudi-Arabien, Katar, Indonesien, Tschetschenien, sogar aus Europa. 

In Maalula, sowie in verschiedenen christlichen und muslimischen Städten Syriens, versuchten sie jedes historische und architektonische Zeichen auszulöschen, das die Syrer an ihre gemeinsamen Traditionen, Werte und ihre gemeinsame Geschichte erinnern könnte. Ziel war tabula rasa machen und eine neue Gesellschaft ohne Wurzeln zu schaffen. 

Wie der Islamexperte Olivier Roy in seinem Buch „Generation Isis“ erklärt, träumen die Terroristen von einer Gesellschaft ohne physische und zeitliche Grenzen, ohne Ursprung, ohne Wurzeln, ohne Familie und ohne Heimat. Es überrascht also nicht, daß viele entwurzelte Jugendliche aus europäischen Großstädten sich dieser Ideologie anschlossen.

Diese Ideologie wird aber vom Großteil der syrischen Bevölkerung bekämpft. Auch viele, die vor dem Ausbruch der „Tage des Zorns“ im Frühjahr 2011 gegen das Regime waren, begannen während der Kriegshandlungen damit, sich der syrischen Armee anzuschließen, um das eigene Land zu verteidigen. 

Obwohl die Regierung Assad, laut Mehrheit der Bevölkerung, auf der einen Seite Korruption und Ämterpatronage betrieb, habe sie auf der anderen Seite das friedliche Zusammenleben zwischen den  ethnischen und konfessionellen Gruppen gewährleistet, aus denen sich die syrische Gesellschaft letztlich zusammensetzt. 

Gerade die Christen, die vor dem Krieg zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachten, profitierten von diesem System und waren in der Politik und in jedem Bereich des öffentlichen Leben stark vertreten.

 „Während des ganzen Krieges hat uns die Regierung bis zum Tod unterstützt und alles mögliche getan, um unsere Gemeinden von den Terroristen zu bewahren“, betont Elias Murad, christlicher Abgeordnete, der aus der Stadt Saidnaya, etwa 20 bis 30 Kilometer nördlich von Damaskus, stammt.

Auch heute ist die Verehrung der Regierung durch die Christen unübersehbar. In allen Ecken Maalulas ist ein Konterfei Assads zu finden, dazu auf jeder Hauswand, vor den Kirchen, in den Wohnungen, an den Halsketten der Frauen sowie auf den Kalaschnikows der Milizsoldaten. Seine Name wird in den Kirchen erwähnt und auf der Straße während der immer wieder stattfindenden Demonstrationen lauthals gepriesen. 

In den Tagen und den Nächten im September marschiert die ganze Bevölkerung durch die Stadt, um das Fest des Heiligen Kreuzes zu feiern. Auf den Bergspitzen werden mehrere Feuer angezündet, die in der Dunkelheit leuchten, während unten auf dem Zentralplatz Hunderte von Menschen zu traditioneller Musik tanzen und auf der Straße feiern, was in den Jahren zuvor nicht möglich war. Die Hoffnung auf eine gute Zukunft und auf ein Leben in Freiheit ist hier immer wieder hautnah zu spüren.

„Viele Rebellen sind nach Europa geflohen“

Wo sind heute die Rebellen, die Maalula zerstörten? Einige sind tot. Andere flohen nach Idlib, der letzten großen „Rebellenhochburg“ an der Grenze zur Türkei (JF 35/18). Viele seien nach Europa geflohen, wird immer wieder kolportiert. „Uns sind einige Personen bekannt, die unsere Häuser zerstört haben und jetzt in Schweden und Deutschland als Flüchtlinge vom Staat unterstützt werden“, erklärt Abdo Haddad, einer der politischen Repräsentanten Maalulas im Gespräch.

Der christliche Milizenchef Jihad Abou Moussa assitiert: „Wir sind die ursprünglichen Einwohner dieses Landes. Syrien kann ohne uns nicht überleben.“ Zwar kenne man die genaue Zahl der syrischen Christen nicht, wisse aber, daß sie auch künftig in einem Syrien unter Führung von  Baschar al-Assad stark präsent und auf der Seite des Präsidenten sein werden.