© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/18 / 05. Oktober 2018

Das Spiel um Macht und Einfluß
Nach den Vorgaben Machiavellis: Die französische Politserie „Baron Noir“ läuft jetzt in der zweiten Staffel
Karlheinz Weißmann

Kad Merad ist der „schwarze Baron“. Eine Bezeichnung, die nichts mit seiner politischen Orientierung zu tun hat – die ist „rot“ und mithin links –, sondern mit seiner Stellung unter den Großen der französischen Politik – den „Baronen“ – und seiner Neigung, skrupellos jedes Mittel einzusetzen, um sein Ziel zu erreichen. „Baron noir“ („Schwarzer Baron“) ist der Titel einer französischen Fernsehserie, deren zweite Staffel gerade in deutscher Fassung ausgestrahlt wird (via Sony Channel).

Im Mittelpunkt steht Philippe Rickwaert, in der ersten Staffel Oberbürgermeister von Dünkirchen, aber dabei, den nächsten Schritt in Richtung auf das Zentrum der Macht zu wagen: den Elysée-Palast. Dort hält allerdings ein alter Weggefährte und Konkurrent, Francis Laugier (Niels Arestrup), als Präsident der Republik die Fäden in der Hand und ist keineswegs gewillt, seine Position zu räumen. Die erste Staffel endet damit, daß beide, Rickwaert und Laugier, über einen jener finanziellen Skandale stürzen, die für die französische Politik so typisch sind. Der Präsident verliert sein Amt, der ehrgeizige Provinzfürst muß sogar ins Gefängnis. Auch daß er seine Protégée Amélie Dorendeu (Anna Mouglalis) nicht nur zur Generalsekretärin des Parti Socialiste, sondern auch zur Kandidatin für das höchste Staatsamt gemacht hat, rettet ihn nicht.

Wenn die zweite Staffel Rickwaert anfangs hinter Gittern zeigt, ist das aber nur den Bedürfnissen der Dramaturgie geschuldet. Der Zuschauer ahnt, daß er kaum länger in Haft bleiben wird und es auch nichts ist, mit dem Gelöbnis innerer Einkehr und der Abwendung von der Politik, um endlich Dostojewski zu lesen.

Die Handlung von „Baron Noir“ hat mit Eric Benzekri ein Insider entworfen, ein Veteran des linken Lagers und als ehemaliger Vertrauter Jean-Luc Mélenchons mit den Prunksälen wie den Hinterzimmern der Macht vertraut. Das erklärt wahrscheinlich auch, warum „Baron Noir“ als beste französische Politserie gilt und regelmäßig mit dem amerikanischen Pendant „House of Cards“ (fünf Staffeln, seit 2013, in Deutschland zuerst bei Sky) verglichen wird.

Hier wie dort erscheint Politik als etwas, das nur nach den Vorgaben Machiavellis zu verstehen ist: ein sich selbst genügendes, jedenfalls keinem höheren Ziel verpflichtetes Spiel, bei dem jeder, der die Regeln begriffen hat, jede Ressource nutzt, ganz gleich, ob es um Geld, Informationen oder Mitmenschen geht, zu dem einen Zweck der Einflußmaximierung. Gefühle, Werte, Weltanschauungen haben hier keinen Platz oder dienen nur der Manipulation der Dummen und der Idealisten.

Gemeinsamkeiten mit „House of Cards“ 

Auf das Element des Sarkasmus, das in „House of Cards“ vor allem zur Geltung kommt, wenn sich die Hauptfigur, der Senator und nachmalige Präsident Francis „Frank“ Underwood (Kevin Spacey) unvermittelt dem Zuschauer zuwendet und das gerade Geschehene – die Heuchelei, die Intrige, den Verrat, den Mord – süffisant kommentiert, verzichtet „Baron Noir“. Aber alles in allem überwiegen die Gemeinsamkeiten, von denen eine besonders wichtig erscheint: da, wo man in einer Politserie die „Guten“ erwarten würde, sind sie nicht zu finden: Underwood ist Demokrat, Rickwaert Sozialist.

Man sollte diesen Sachverhalt nicht geringschätzen, zumal sich im britischen Vorbild von „House of Cards“, das das Schicksal eines konservativen Kabinetts abhandelte (vier Folgen, 1990, in Deutschland zuerst bei der ARD), noch die übliche Verteilung von Licht und Schatten fand, und die von der BBC produzierte Kleinserie „Secret State“ (vier Folgen, 2012, in Deutschland zuerst bei Arte) nicht ohne einen Sympathieträger nach dem Muster des glücklosen Labour-Premiers Gordon Brown auskam, der zuletzt im Kampf gegen das anonyme Kapital unterlag, aber doch die Moral auf seiner Seite hatte.

Damit verbunden war eine Botschaft, die in Filmen mit politischem Anspruch regelmäßig präsentiert wurde: daß im Kampf zwischen Fortschritt und Reaktion, wenn schon nicht immer, dann doch zuletzt der Fortschritt siegen werde. Diese Überzeugung scheint mittlerweile so sehr unter Druck geraten zu sein, daß sich das sogar in der Fiktion spiegelt. Es gibt in der westlichen Welt eine Erwartungsenttäuschung, die nicht mehr mit dem Angebot von Lichtgestalten, unverbrauchten Bewegungen oder Realutopien zu trösten ist. Insofern kann man den dänischen Mehrteiler „Borgen – Gefährliche Seilschaften“ (drei Staffeln, 2010 bis 2013, in Deutschland zuerst bei Arte) auch als Übergangsphänomen betrachten.

„Gefährliche Seilschaften“ gehört wie „Baron Noir“ und „House of Cards“ in die Kategorie aufwendiger Produktionen, die das Publikum nicht nur durch die Klasse der Schauspieler und das Spielfilmniveau der Ausstattung binden sollen, sondern auch durch die Intelligenz der Handlung. In deren Mittelpunkt steht hier eine dänische Politikerin – Birgitte Nyborg Christensen (Sidse Babett Knudsen) –, die unerwartet eine erfolgreiche neue Partei gründen kann, „Die Moderaten“, zur Ministerpräsidentin aufsteigt und als Frau und sympathische, emanzipierte, multikulturell orientierte Liberale mit ökologischem Gewissen frischen Wind in die verkrusteten Strukturen des Systems bringt. So weit, so erwartbar.

Was allerdings nicht erwartbar ist, sind die Einblicke in die Funktionsweise des politisch-medialen Komplexes, die Bestechlichkeit und der Niedergang der Linken. Bezeichnend auch, daß der Führer der Rechtspopulisten nicht dämonisiert wird, sondern eher als knorriger Sonderling erscheint, während der Kontrahent der Heldin aus den Reihen der Arbeiterpartei, Michael Laugesen (Peter Mygind), ein aalglatter Zyniker ist. Irgendwann steht er mit einem seiner Vertrauten in der Dunkelheit und beide schlagen ihr Wasser ab. Da stellt Laugesen ganz nüchtern fest, es gebe in jeder Ordnung unter allen Umständen nur eine kleine Gruppe, die Einfluß ausübe, und solange er zu dieser Gruppe gehöre, dürfe man das Ganze gerne „Demokratie“ nennen.

Es fehlt eine Produktion zum Berliner Betrieb

Die Feststellung wird die wenigsten Zuschauer einer Politserie erschüttern. Nicht einmal die deutschen, die auf eine Eigenproduktion bisher verzichten mußten, die den Berliner Betrieb zum Thema macht. In der Regel handelt es sich um Männer mittleren Alters mit überdurchschnittlichem Einkommen und überdurchschnittlichem Bildungsgrad. Das Format kommt offenbar ihrem Unterhaltungsbedürfnis entgegen und das merkwürdigerweise dadurch, daß sie die Protagonisten bei jenem politischen Klein-Klein beobachten, der Routine, den dauernden Verhandlungen, dem Ausspielen persönlicher Affekte und Konkurrenzen, den Winkelzügen und Spurwechseln, die den politischen Alltag ausmachen.

Selbstverständlich nimmt der Betrachter wahr, daß das Geschehen den üblichen ethischen Maßstäben widerspricht. Aber die Feststellung bestärkt ihn wohl nur in der Überzeugung, daß die Führungsschichten der westlichen Welt Leute rekrutieren, die, ganz gleich, welche hehren Absichten sie verkünden, doch in erster Linie aus denen bestehen, die an Macht interessiert sind, Macht genießen, Macht haben, behalten und vermehren wollen. Da ist ein „übergriffiger Macho ohne Skrupel“ wie Rickwaert nicht einmal der schlimmste denkbare Fall.

Die Serie „Baron Noir“ ist im Bezahlfernsehen Pay-TV (Sony Channel) und in einigen Online-Videotheken, darunter Vodafone, Unitymedia und Entertain, zu sehen. Die komplette 1. Staffel gibt es auch auf DVD.