© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/18 / 05. Oktober 2018

Künstler und Konformist
Melodram: Florian Henckel von Donnersmarcks Kinofilm „Werk ohne Autor“
Wolfgang Paul

Florian Henckel von Donnersmarck, die Ausnahmeerscheinung unter den deutschen Regisseuren, hat einen neuen Film gedreht. Das ist ein Ereignis, wenn man seine bisherige berufliche Karriere betrachtet. Denn nach vier Kurzfilmübungen, von denen zwei ausgezeichnet wurden, konnte er sich schon für sein Spielfilmdebüt über einen Oscar freuen, eine Ehrung, zu der andere ein halbes Lebenswerk benötigten.

„Das Leben der Anderen“, eben jenes nicht nur 2007 mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film, sondern auch mit zahlreichen anderen Filmpreisen gewürdigte DDR-Drama, hat ihm von Steven Spielberg die bizarre Vorhersage eingebracht: „Von diesem Film wirst du dich nicht mehr erholen.“

Einige Filmkritiker hierzulande scheinen nun den amerikanischen Star-Regisseur mit abwertenden Besprechungen bestätigen zu wollen. Zu Recht? Sicherlich, wenn es seinen zweiten Film „The Tourist“ betrifft. Die internationale Produktion mit Angelina Jolie und Johnny Depp in den Hauptrollen war eine Enttäuschung, was jedoch bei Filmemachern nach erfolgreichen Arbeiten häufig zu beobachten ist.

Jetzt hat sich Donnersmarck für „Werk ohne Autor“ acht Jahre Zeit genommen. In seinem dritten Film erzählt er von dem Werdegang eines Künstlers über drei Jahrzehnte in drei deutschen Staaten, und das in drei Stunden.

Wie im Erstling geht es um die DDR, dazu aber auch um das Dritte Reich und die Bundesrepublik. Der Handlung zugrunde liegt die Biographie des Malers Gerhard Richter, der im Film Kurt Barnert heißt, womit Donnersmarck einem peniblen Faktencheck zu entgehen sucht.

Der sechsjährige Kurt malt gern und zeigt Talent. Deshalb nimmt ihn seine Tante Elisabeth (Saskia Rosendahl) mit in eine Ausstellung, in der „entartete Kunst“ zu sehen ist, jene Gemälde also, denen die ganze Verachtung der nationalsozialistischen Ideologie gilt. Diese Bilder sind für sie schön, denn „alles, was wahr ist, ist schön“, sagt sie.

Nicht nur die Kunst ist bei den Nationalsozialisten ohne Wert, auch Elisabeths Leben ist „unwert“, weil sie verhaltens-auffällig und nicht immer Herrin ihrer Sinne ist. Als sie gegen ihren Willen abgeholt wird, vermacht sie ihrem kleinen Neffen den Satz: „Sieh niemals weg!“

Die Figuren sind oft klischeehaft gezeichnet

Ihr Todesurteil unterschreibt Professor Carl Seeband (Sebastian Koch). Nach dem Zweiten Weltkrieg wird dieser Gynäkologe mit NS-Vergangenheit bei einer schwierigen Geburt helfen und so der Freund eines russischen Majors werden. Mit dessen Hilfe kommt er als medizinische Kapazität auch im Sozialismus groß heraus. Daß sich der herangewachsene Kurt, jetzt von Tom Schilling verkörpert, gerade in seine Tochter Ellie (Paula Beer) verliebt, gehört zu den dramatischen Zufällen, die eben einen, laut Filmverleih, „packenden Kinostoff“ ausmachen.

Künstler Kurt übt sich derweil am sozialistischen Realismus, der auch den Nationalsozialisten gefallen hätte. Die Verbindung zwischen ihm und Ellie versucht Seeband zu hintertreiben, weil er eine bessere Partie für seine Tochter anstrebt. Als er Großvater zu werden droht, schreckt er nicht einmal vor einer Abtreibung unter medizinischen Vorwänden zurück.

Doch Kurt und Ellie bleiben zusammen und fliehen in den Westen. Als Seeband seine NS-Vergangenheit nicht länger vertuschen kann, folgt auch er samt Ehefrau den beiden in die Bundesrepublik, wo Kurt inzwischen an der Düsseldorfer Kunsthochschule eine recht anarchistische Kunstszene kennenlernt und der Film komödienhafte Züge annimmt. Der Kunstprofessor Antonius van Verten (Oliver Masucci), der Kurt für förderungswürdig erachtet, ist unschwer als Joseph Beuys zu erkennen, das wilde Improvisieren an der Akademie gleicht einer zirzensischen Veranstaltung, in deren Verlauf Kurt allerdings die Wahrheit über seinen Schwiegervater ahnt und gleichzeitig seinen persönlichen Malstil findet.

Den ganzen Film hindurch wird der Gegensatz zwischen dem charakterlich reinen Künstler und dem verdorbenen Konformisten durchgehalten. Es ist zugleich der Gegensatz zwischen unten und oben im jeweiligen Gesellschaftssystem. „Werk ohne Autor“ ist weniger eine Geschichtsstunde als ein soziales Melodram, das sich der Historie bedient, und funktioniert unter diesem Aspekt beispielhaft. Auch wegen der Fülle an erzähltem Material sind die Figuren um den differenziert dargestellten Kurt Barnert herum oft klischeehaft gezeichnet. Aber das gehört eben zu einem Melodram.

Fragwürdig ist jedoch Elisabeths und somit Donnersmarcks Kunstbegriff, der ihn dazu verführt, den Bombenangriff auf Dresden parallel zu der unerträglichen Hinrichtung Tante Elisabeths in der Gaskammer zu zeigen. Der Satz von der Schönheit alles Wahren stimmt nur, wenn man ihn ganz konventionell umdreht: Alles, was schön ist, ist wahr.

Sollte Donnersmarck auf einen zweiten Oscar spekulieren, darf er bis jetzt zufrieden sein. „Werk ohne Autor“ wird für Deutschland ins Rennen geschickt werden und dürfte dank seiner Hollywood-Machart und des starken US-Verleihs im Hintergrund ein heißer Kandidat zumindest für die Endrunde sein.