© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/18 / 05. Oktober 2018

Ihr König hat das Land nie betreten
Vor einhundert Jahren wurde ein Schwager Kaiser Wilhelms II. für ein kurzes Intermezzo König von Finnland
Jan von Flocken

Deutschlands Hochadel besetzte Anfang des 20. Jahrhunderts zahlreiche Throne in Europa. Die Könige von Rumänien, Bulgarien, Norwegen und Dänemark waren deutschstämmig, ebenso wie der Fürst von Albanien. Sogar Britanniens Majestät Georg V. hatte zu 99 Prozent deutsches Blut in den Adern. Für kurze Zeit gesellte sich auch Finnland zu diesem illustren Kreis.

Im Heidenstrauch-Palais zu Helsinki spielten sich am Herbstbeginn 1918 erstaunliche Szenen ab. Mehrere Damen übten unter der Aufsicht von Zeremonienmeistern Hofknickse, Künstler entwarfen Livreen für die Dienerschaft, schneiderten Uniformen künftiger Leibgardisten und entwarfen sogar eine Königskrone. Auf den Straßen verkaufte man zahlreiche Postkarten mit den Porträts des erwarteten Herrscherpaares.

Zeichen der Verbundenheit mit Deutschland

Während der Erste Weltkrieg kurz vor seinem Ende stand, schickte sich Finnland an, ein Königreich zu werden. 1809 hatte Schweden das Land als Kriegsbeute an Rußland herausgeben müssen. Nominell ein unabhängiges Großfürstentum, wurde Finnland seit Ende des 19. Jahrhunderts immer rücksichtsloser russifiziert. Dagegen erhob sich eine stetig wachsende Autonomiebewegung. Als nach der bolschewistischen Revolution Rußland im Bürgerkrieg versank, erklärte das finnische Parlament am 6. Dezember 1917 seine nationale Unabhängigkeit und proklamierte die Republik. Staatsoberhaupt wurde der eben erst aus der sibirischen Verbannung heimgekehrte Pehr Evind Svinhufvud. Er trug den Titel „Reichsverweser“.

Doch trotz all ihrer hochtrabenden Bekundungen über das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ reagierten die Bolschewisten aggressiv auf alle Unabhängigkeitsbestrebungen der Bewohner des Baltikums und vor allem Finnlands. Lenin ließ seine Rote Armee bereits im Januar 1918 intervenieren. Die schwachen finnischen Streitkräfte erlitten im Landessüden mehrere Niederlagen und mußten die Hauptstadt Helsinki räumen. Dort installierten die Sowjets ein kommunistisches Marionettenregime. In dieser kritischen Situation eilten 12.000 Mann kaiserlich-deutsche Truppen trotz ihrer eigenen bedrängten Lage zu Hilfe. Unter dem Kommando des Generalmajors Rüdiger Graf von der Goltz wurden die roten Garden aus dem Land getrieben. Am 13. April 1918 eroberte er Helsinki zurück. Dadurch gestalteten sich die politischen Beziehungen zwischen Finnland und dem Deutschen Reich immer enger. Als Zeichen dieser Verbundenheit wählte das Parlament in Helsinki auf Anregung des Abgeordneten Gustaf Arokallio am 9. Oktober 1918 mit 64 gegen 44 Stimmen Friedrich Karl von Hessen zum König.Einen eher kuriosen Präzedenzfall hatte es kurz zuvor gegeben. Der Landesrat (Taryba) des von deutschen Truppen besetzten Litauen wählte im Juli 1918 Herzog Wilhelm Karl von Urach zum König Mindaugas II. Allerdings lehnte dieser württembergische Aristokrat die Krone ab. Zu unsicher schien ihm die Lage im Baltikum.

Der erwählte 50jährige Finnenkönig Friedrich Karl entstammte dem Geschlecht der Titular-Landgrafen von Kassel zu Rumpenheim, einer Nebenlinie des Hauses Hessen-Kassel. Wenn  man ausgerechnet ihn erkor, hing es sicher auch damit zusammen, daß er seit 1893 mit Prinzessin Margarethe von Preußen, der jüngsten Schwester des Deutschen Kaisers Wilhelm II., verheiratet war. Im Ersten Weltkrieg hatte das Paar zwei von ihren sechs Söhnen als Gefallene zu beklagen. Der offizielle Titel des neuen Monarchen lautete „Karl I., König von Finnland und Karelien, Herzog von Åland, Großherzog von Lappland, Herr von Kalevala und des Nordens“; als Regent hieß er Fredrik Kaarle. Noch vor ihrer Thronofferte stellten die Finnen drei Hauslehrer, die den Monarchen in Sprache, Politik und Kultur Finnlands unterrichten sollten. Doch die Westalliierten reagieren feindselig. Frankreich brach schon am 15. Oktober 1918 die diplomatischen Beziehungen ab.

Nach guten zwei Monaten mußte er wieder abdanken 

Nach der Abdankung von Kaiser Wilhelm II. und dem Waffenstillstand von Compiègne am 11. November 1918 erledigte sich das Problem von selbst. Finnlands kurzzeitiger König, der das Land nie betreten hatte, entsagte am 14. Dezember 1918 dem Thron. In seiner Verzichtserklärung hieß es: „Ich schicke dem Land Meinen und der Meinigen Gruß und Dank aus treuem Herzen für manch freundliche Bekundung. Möge sein liebes Volk glücklich werden.“ Nach den Parlamentswahlen von 1919 erzielten antimonarchistische Parteien 75 Prozent der Sitze und Finnland nahm anschließend eine republikanische Verfassung an. Friedrich Karl alias Fredrik Kaarle starb 1940 72jährig in Kassel, seine Gemahlin 1954 im hessischen Schönberg.