© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Aufgeschnappt
Störende Feinheiten
Matthias Bäkermann

Voller Elan hüpft die Frau dem Betrachter auf dem Hamburger Rathausmarkt unter Laternenschein entgegen. Im Hintergrund heben sich in der Dämmerung die Alsterarkaden und der Turm der Alten Post vor dem blaßblauen Abendhimmel ab. 

Doch nicht nur jeder Hamburger wird rasch merken, daß irgend etwas in dem O2-Werbeclip „My All in One – unbegrenzt LTE und VDSL“ fehlt: die von Ernst Barlach gestaltete Stele, die den Zehntausenden von Gefallenen beider Weltkriege der Hansestadt gedenkt. Per digitaler Bildbearbeitung wurde das Denkmal im Vordergrund der Alsterarkaden einfach herausretouschiert. Pikant ist diese geschichtsvergessene Stadtbild-Manipulation gegen das vom sozialliberalen Senat 1930 beauftragte Mahnmal nicht zuletzt auch deshalb, weil schon nach 1933 den NS-Machthabern die Stele mit dem vom „entarteten Künstler“ Ernst Barlach gestalteten Relief „Trauernde Mutter mit Kind“ ein Dorn im Auge war und sie dieses deshalb 1937 optisch frisierten. Auf JF-Anfrage bestreitet das zuständige Unternehmen Telefónica aus München jedoch jede politische Botschaft bei dieser Eliminierung. Ihre Werbeagentur – ausgerechnet eine aus Hamburg – habe nur störende Feinheiten für die Werbebotschaft beseitigen wollen – das sei „heute gang und gäbe“.