© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

„Überwiegend wertkonservativ“
Juden in der AfD: Der innerparteiliche Verband stellt sich erstmals der Öffentlichkeit
Sandro Serafin

Wolfgang Fuhl bezeichnet sich selbst als „traditionellen Juden“. Der Lörracher feiert jüdische Feiertage, seine Küche ist koscher, und seine Frau backt regelmäßig das traditionelle Hefegebäck Challah. Außerdem ist Fuhl AfD-Mitglied – und nun auch stellvertretender Vorsitzender der „Juden in der AfD“ (JAfD), die sich vergangenen Sonntag mit 19 Mitgliedern unter massivem Polizeischutz in Wiesbaden-Erbenheim gegründet haben.

Dem Gründungsakt war ein längerer Prozeß vorausgegangen. Vor rund anderthalb Jahren habe es am Rande eines Bundesparteitages erste Gespräche gegeben, ab diesem Sommer wurde es konkreter, sagte Fuhl der JUNGEN FREIHEIT. Es sei eine Initiative von unten gewesen, betonte er. Wäre es nach den Initiatoren gegangen, wäre die Gründung wohl anders verlaufen – „ganz still und leise“. Doch der Plan gelangte an die Öffentlichkeit, und so entschied man sich kurzfristig, eine Pressekonferenz einzuberufen. Schon lange vor Beginn bildete sich vor dem Veranstaltungsort eine Schlange wartender Journalisten.

17 jüdische Organisationen, darunter der Zentralrat der Juden (ZdJ), hatten sich bereits vor der offiziellen Gründung gegen Juden in der AfD gewendet, „in der Judenhaß und die Relativierung bis zur Leugnung der Schoa ein Zuhause haben“. Die Partei sei „eine Gefahr für jüdisches Leben“. Durch die Gründung einer JAfD wolle sie sich vom Antisemitismus-Vorwurf reinwaschen, so der Verdacht. Wolfgang Fuhl saß einmal selbst vier Jahre im Direktorium des Zentralrates. Die Reaktionen auf die JAfD empören ihn. „Was hier an Schmutz über uns ausgeworfen wurde, ist sehr unredlich – und eigentlich ist es auch unjüdisch.“ Die Politik des ZdJ sei „eine Art freiwillige Unterwerfung unter die Merkel-Politik“. Juden selbst seien jedoch „überwiegend wertkonservativ“.

Dennoch gibt sich die JAfD gesprächsbereit. „Wir suchen grundsätzlich keinen konfrontativen Umgang, sondern wir wollen einen Dialog auf Augenhöhe“, bekräftigte die frisch gewählte Vorsitzende Vera Kosova. Die 35jährige Ärztin stammt aus Usbekistan und ist seit 2016 Mitglied der Partei. Sie kam mit 15 Jahren als „Kontingentflüchtling“ aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland und ist eines von vier russischsprachigen Mitgliedern im Vorstand. Dem Eindruck, man sei vor allem eine russischstämmige Vereinigung, tritt die JAfD jedoch entgegen. „Wir hatten eine sehr gut Mischung bei der Gründungsversammlung“, erklärte Fuhl.

Auch die Annahme, Juden seien vor allem wegen der Migrationspolitik in der AfD, weist man von sich. Zwar sei der muslimische Antisemitismus „natürlich ein sehr wichtiges Thema“. Zugleich fallen Fuhl jedoch weitere Schnittmengen ein: etwa Gender-Mainstreaming oder die Bewahrung von Ehe und Familie. Fuhl selbst trieb es bereits 2013 in die AfD – damals ging es noch vor allem um die Eurorettungspolitik.

Ein Teil der Aufregung um die Gründung der JAfD ist auch verbalen Fehlgriffen hochrangiger Parteifunktionäre geschuldet. Es sei nur an die „Vogelschiß“-Aussage von Parteichef Alexander Gauland erinnert. In der Organisation nimmt man diese Vorfälle wahr. „Es tut uns weh und wir sind nicht begeistert von solchen Sprüchen“, sagte Vorstandsmitglied Bernhard Krauskopf dazu. „Aber wir sind nicht an der Macht. Das sind zunächst mal nur Worte.“ Die etablierten Parteien hingegen importierten eine Bevölkerungsgruppe, „die zu mindestens 60 Prozent aus eingefleischten Judenhassern besteht“. Kosova meinte gegenüber der JF, „daß solche rhetorischen Entgleisungen für mich mit der Entschuldigung der Betroffenen erledigt sind“. Die Gründung der JAfD sei „keineswegs“ als eine Reaktion auf derartige Ausfälle zu sehen. Zur AfD-Forderung eines Schächtverbots hieß es zudem, dies sei nicht „automatisch antisemitisch“. Ihre Aufgabe sieht die neue Vereinigung vor allem darin, als Ansprechpartner nach außen wie nach innen zu dienen. Auch Kontakte nach Israel will man suchen. Selbst wenn es Anträge zu der Thematik bisher nicht ins Parteiprogramm geschafft haben, sehen Vertreter der JAfD die Partei als die am stärksten pro-israelische in Deutschland.

In der Parteispitze stieß der jüdische Zusammenschluß unterdessen auf viel Zuspruch. Zu einer Vortragsveranstaltung im Anschluß an den Gründungsakt kamen auffällig viele Vertreter aus dem Bundestag und den Landtagen. Parteichef Jörg Meuthen schickte eine Videogrußbotschaft.

Unterdessen trübte ein AfD-Mann aus dem Südwesten das harmonische Bild: Wolfgang Gedeon, der wegen antisemitischer Aussagen die Stuttgarter Landtagsfraktion hatte verlassen müssen, brachte auf Facebook sein Unbehagen über die JAfD zum Ausdruck: Hierbei könne es sich um eine „zionistische Lobbyorganisation“ handeln, „die den Interessen Deutschlands und der Deutschen zuwiderläuft“. In Wiesbaden hieß es dazu, Gedeon stehe „ziemlich isoliert da in der Partei“. Allerdings stellte sich der baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Räpple in der Welt „voll und ganz“ hinter Gedeon. Räpples Fraktionskollege Daniel Rottmann wiederum distanzierte sich davon deutlich. Räpples Aussage zeige „zum wiederholten Male seine mangelnde Kenntnis und Sensibilität zum Thema Israel und Juden in Deutschland“. Räpple wisse offenbar nicht, „wovon er redet“, so Rottmann gegenüber der JF. Angesichts der jüngsten Äußerungen Gedeons bedauerte Bundesparteichef Meuthen, „daß es bisher nicht gelungen ist, dessen Parteimitgliedschaft gänzlich zu beenden.“