© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Begeisterung sieht anders aus
Junge Union: Der Parteinachwuchs sehnt beim Deutschlandtag den Abschied Angela Merkels herbei
Hinrich Rohbohm

Ihr Gesichtsausdruck wirkt schon vor Redebeginn skeptisch und zerknirscht. Soeben hat Angela Merkel die Kieler Sparkassenarena betreten, in der die Junge Union ihren diesjährigen Deutschlandtag abhält. Wie zum Trotz trägt sie rotes Oberteil und schwarze Hose. Die Farben der längst nicht mehr Großen Koalition. Begleitet von JU-Chef Paul Ziemiak schreitet sie die Treppe hinunter. Abwärts. Ein Moment, symbolisch für die momentane Situation. Abwärts gehen ihre Umfragewerte, die ihrer Partei, die Mitgliederzahlen. Dazu der Streit mit der Schwesterpartei. Unruhe herrscht in der Union. 

Vor drei Wochen folgte die erste Quittung. Merkel mußte ihre Niederlage einräumen, als ihr getreuer und langjähriger CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder von Ralph Brinkhaus abgelöst wurde. Und nun folgt eine Rede von ihr auf dem Deutschlandtag der Jungen Union. Jener Nachwuchsorganisation, von der sie sich schon in der Vergangenheit kritische Fragen gefallen lassen mußte. 

Grußwort von Sebastian Kurz sorgt für Jubel

Entsprechend mäßig ist der Applaus bei ihrem Gang zum Podium. Längst nicht alle haben sich zum Klatschen erhoben. Einige verschränken demonstrativ ihre Arme vor der Brust. Merkel  beginnt ihre Rede mit einem Eingeständnis. „Ich weiß auch, daß wir durch unseren Streit dazu beigetragen haben, daß die Umfragen so sind wie sie sind.“ 

Das war es dann mit Selbstkritik. Obwohl maßgeblich für den Unionsstreit mitverantwortlich, rät sie in staatsmännischer Manier, „nicht miteinander Fingerhakeln zu machen“. So, als hätte die Zankerei mit Horst Seehofer nichts mit ihr zu tun gehabt. Schuld seien andere. Etwa die FDP, die mit ihrem Ausstieg aus den Jamaika-Gesprächen einen „großen staatspolitischen Fehler“ begangen habe. 

Alles gehe in Deutschland zu langsam. Der Berliner Flughafen, die Elbvertiefung, die Digitalisierung. Sie spricht, als sei sie nicht seit 13 Jahren Regierungschefin. Stillstand gebe es nur, weil „die letzten Jahre nur über Zuwanderung gesprochen“ worden sei. „Einige tun so, als befänden wir uns immer noch im Jahr 2015.“ Dabei seien doch in den Jahren darauf deutlich weniger Migranten nach Deutschland gekommen. Sie lobt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen für ihre „hervorragende Arbeit, die Bundeswehr zu modernisieren“. Kopfschütteln bei einigen Delegierten im Plenum.

Dann bekommt die JU ihr Fett weg. In deren Leitantrag komme „der ökologische Aspekt“ und der Klimawandel zu kurz. Auch, daß der Nachwuchs keine Frau in ihren geschäftsführenden Bundesvorstand gewählt habe, kritisiert sie. „Frauen bereichern das Leben, nicht nur im Privaten, sondern auch in der Politik“, spottet sie. Deutlich weniger Delegierte als erwartet treten mit kritischen Fragen an die Kanzlerin hervor. 

Die Wahlen in Bayern und Hessen sowie der zermürbende Streit der vergangenen Monate seien der Grund dafür, sagen Delegierte gegenüber der JF. Einer wird dennoch deutlich: „In Sachen politischer Führung ist dieses Jahr nichts aufgearbeitet. Wir müssen diese wiederherstellen, und ich glaube nicht, daß das mit Ihnen noch möglich ist“, kritisiert Matthias Böttger die Parteivorsitzende.

Der 21 Jahre alte Student der Volkswirtschaftslehre ist stellvertretender Kreisvorsitzender der Jungen Union München-Nord und erstmals Deutschlandtagsdelegierter. „Es muß inhaltlich und personell ein Umdenken in der CDU geben“, sagt er im Gespräch mit der JF. Die Politik der CDU sei „überhaupt nicht mehr sichtbar.“ Vom Auftritt der Bundeskanzlerin zeigt er sich enttäuscht. Wie kann die CDU Führungsstärke wiederherstellen, wollte er von Angela Merkel wissen. „Sie hat meine Frage überhaupt nicht beantwortet. Mir ging es um die Fähigkeit zu Führungs- und Diskussionskultur. In den großen Krisen wird jetzt sichtbar, daß sie die nicht hat.“

Wie groß der Verdruß beim Unionsnachwuchs über die Kanzlerin tatsächlich ist, verdeutlicht ein Antrag zur Amtszeitbegrenzung des Bundeskanzlers, den die JU nur wenige Minuten nach dem Auftritt der Kanzlerin berät. Zwölf Jahre werden darin als maximale Amtszeit vorgeschlagen. Jeder Delegierte in der Arena weiß: Mit diesem Antrag ist Angela Merkel gemeint. Die Antragskommission empfiehlt erwartungsgemäß die Ablehnung. Ohne Erfolg. Die Delegierten nehmen ihn mit knapper Mehrheit an.

Es sollten nicht die einzigen Spitzen gegen die CDU-Chefin sein. Von Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz spielt die JU ein Video-Grußwort ein. Sofort bricht Jubel in der Halle für jenen Mann aus, der beim Unionsnachwuchs  als konservativer Gegenentwurf zu Merkel angesehen wird. Ebenso frenetisch ist der Jubel beim Erscheinen des US-Botschafters Richard Grenell, der noch vor wenigen Monaten in einem Interview erklärt hatte, konservative Kräfte in Europa stärken zu wollen.

Stehende Ovationen gibt es auch für den als Merkelkritiker geltenden Bundesgesundheistminister Jens Spahn, dessen Rede fast schon als Bewerbung um den Parteivorsitz verstanden werden kann. Und als der neue CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus spricht, gibt es im Plenum kein Halten mehr. Minutenlange stehende Ovationen, die wie Ohrfeigen für die Kanzlerin wirken. 

Deutlich kühler ist der Empfang für Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther. Dessen Vorstoß, sich Koalitionen gegenüber der Linkspartei zu öffnen war in der JU auf scharfe Ablehnung gestoßen. „Der Beifall für mich war schon etwas dünn“, moniert er öffentlich. Das darauf folgende peinliche Schweigen im Plenum ist vielsagend. 





Drei Nobodys gegen Merkel

Seit 18 Jahren steht Angela Merkel an der Spitze der CDU. Jüngst hatte sie durchblicken lassen, sie werde beim Parteitag Anfang Dezember abermals kandidieren. Dessen ungeachtet gibt es Gerüchte, sie könne sich möglicherweise nach der Landtagswahl in Hessen Ende Oktober umentscheiden und den Vorsitz abgeben. Tritt sie jedoch wieder an, gibt es derzeit drei Gegenkandidaten – allesamt innerparteiliche „Nobodys“: der Student Philipp Knoop aus Berlin, der auch in den dortigen konservativen Unionskreisen weitgehend unbekannt ist , der erst kürzlich in die CDU eingetretene hessische Unternehmer Andreas Ritzenhoff und der Bonner Völkerrechtsprofessor Matthias Herdegen. Parteiinsider mutmaßen indes, nach den Wahlen werde sich die Zahl der Konkurrenten noch erhöhen. (vo)