© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Den politischen Filz bekämpfen
Libanon: Der Chef der maronitischen Phalange will sein Land erneuern und träumt vom Modell Schweiz
Luca Steinmann

Herr Präsident Gemayel, das libanesische Parlament ist in einer feindlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Koalitionen gefangen: Die erste Koalition, in der die Hisbollah den Ton angibt, führt eine iranfreundliche Politik. Die andere Koalition unter dem Vorsitzenden Saad Hariri vertritt hingegen die Interessen Saudi-Arabiens. Ihre Partei Kataeb war lange Zeit Mitglied der Hariri-Koalition, nun nicht mehr. Wieso haben Sie diese Entscheidung getroffen?

Samy Gemayel: Weil beide Koalitionen nur die Interessen anderer regionaler Mächten vertreten. Nur Kataeb lehnt jede ausländische Einmischung im libanesischen demokratischen Prozeß ab. Wir wollen einen unabhängigen, souveränen und neutralen Libanon nach dem Vorbild der Schweiz. Wie die Schweiz ist der Libanon ein kleines Land, das von starken großen Mächten eingekreist ist. Wie die Schweiz sollte der Libanon ein Land der Gespräche und der internationalen Diplomatie sein. Beirut sollte also das Genf des Nahen Ostens sein. Nur so kann man unser Volk verteidigen, nicht mit Waffen, sondern mit der Diplomatie.

Wer bedroht die Freiheit des Libanon am meisten? Die libanesischen Alliierten des Iran oder Saudi-Arabien?

Gemayel : Beide sind gefährlich, es gibt aber einen großen Unterschied: das Königreich hält keine schwer bewaffnete Armee in unserem Land. Die Hisbollah und ihre Miliz agiert dagegen oft als Staat im Staate, der für iranische Interessen kämpft. Deren Kriegseinsätze in Syrien und im Jemen führen dazu, daß die große Mehrheit der arabischen Länder den Libanon wirtschaftlich boykottiert. Unser Volk trägt die Konsequenzen. Unsere Wirtschaft ist schwach, die Staatsschuld und das Defizit wachsen ständig. 

Welche Rolle spielt der Westen?

Gemayel: Die wirtschaftliche Unterstützung aus dem Westen ist immer geringer, weil der Libanon wegen der Hisbollah auf der schwarzen Liste der meisten Nationen der Welt steht.

Was tun?

Gemayel: Um diese Situation zu verbessern müssen wir unsere staatlichen Institutionen stärken. Vor allem muß die nationale libanesische Armee das Gewaltmonopol besitzen. Die schiitische Hisbollah sowie jede andere bewaffnete Miliz müssen entwaffnet werden. Nur so kann der Libanon eine unabhängige Demokratie sein.

Fürchten Sie nicht, daß die von manchen sunnitisch-libanesischen Bewegungen geforderte verstärkte Unterstützung aus Saudi-Arabien hierbei kontraproduktiv und zudem eine Bedrohung für die Christen des Nahen Ostens ist?

Gemayel: Das sehe ich anders. Saudi- Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben gegen den IS in Syrien als Teilnehmer der internationalen Koalition gekämpft, ihre Flugzeuge haben die Stellungen der Terroristen zerstört. Bis jetzt haben die Saudis uns in keine fremden Konflikte hineingezogen, die unserer Neutralität Schaden zugefügt haben. 

Welche Stellung beziehen Sie im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern?

Gemayel: Die Frage müssen ihnen die Palästinenser schon selbst beantworten. Es ist nicht unsere Aufgabe, ihnen zu sagen, wie sie sich benehmen sollen. Dies tut hingegen die Hisbollah ausgiebig, sie ist palästinensischer als die Palästinenser selber. Unsere Aufgabe ist es indes, die Interessen der Libanesen zu verteidigen. Im Vordergrund steht dabei die Heimreise aller Flüchtlinge aus Palästina und Syrien. Die Lösung der palästinensischen Frage kann nur durch einen Dialog mit Israel finden. Solange der Libanon einen Gebietsstreit mit Israel hat, kann von Frieden keine Rede sein. Bester Schutz  des Libanon sind verstärkte diplomatische Beziehungen zu allen Nachbarstaaten sowie zu jeder Weltmacht. 

Ohne Putin kann Assad nicht überleben Erkennen Sie das Existenzrecht Israels an?

Gemayel: Das werden künftige Verhandlungen festlegen. Solange diese nicht auf der Tagesordnung stehen, ist es dringend notwendig, daß die arabischen Länder einen Großteil der Flüchtlinge aufnehmen, die wir heute in unserem Land haben. Riad und Co. stellen sich als Verteidiger des arabischen Kampfes  dar, zeigen aber nie Solidarität – obwohl sie das Geld und den Platz haben, der uns fehlt. Der Libanon und Jordanien sind die Staaten, die im Verhältnis zur Bevölkerung die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben. Unsere einzige Schuld ist, daß wir die Nachbarn von Syrien und Israel sind. Es ist an der Zeit, daß die anderen Regionalmächte Verantwortung übernehmen und sich um die Flüchtlinge kümmern, solange diese nicht in ihre Heimatländer zurückreisen können oder dürfen. 

Wie kann die Sicherheit der Flüchtlinge während der Heimreise gewährleistet werden?

Gemayel: Da ist die internationale Gemeinschaft gefragt. Vor allem aber bei den Flüchtlingen muß der Libanon  den diplomatischen Druck auf Rußland erhöhen. Zur Zeit hat Assad keinerlei Interesse daran, die fast zwei Milionen syrischen Flüchtlinge aufzunehmen, die im Libanon leben. Er betrachtet sie als Feinde, weil sie nicht auf seiner Seite gekämpft haben. In erster Linie ist er aber  froh darüber, daß die Zahl der syrischen Sunniten gesunken ist. Präsident Putin muß ihn dazu zwingen, die Flüchtlinge zurückzunehmen. Ohne Putin könnte Assad nicht länger als 30 Minuten überleben. 

Betrachten Sie Syrien noch als eine Bedrohung für den Libanon? 

Gemayel: Solange Damaskus nicht unser Recht anerkennt, ein unabhängiges Land zu sein, wird Syrien für uns eine Bedrohung sein. Seit jeher betrachten  Assad und sein Regime den Libanon als eine syrische Provinz.

Aber gerade die syrischen Christen sind eng mit der Assad-Regierung verbunden?

Gemayel: Syrien ist eine Diktatur, in der eine Minderheit durch die Unterstützung anderer Minderheiten herrscht. Der Alawit Assad trifft hierbei auf die christliche Minderheit. Was haben diese syrischen Christen getan, als Syrien im Libanonkrieg die libanesischen Christen niedermetzelte. Sie haben gegen uns gekämpft, als wären wir vom Teufel besessen. Viele syrische Christen haben die libanesisch-christlichen Gebiete im Libanon zerstört und kein einziges Haus in den christlichen Stadtvierteln geschont. Diese Leute wollen nur die Bewahrung ihrer Privilegien, die ihnen Herrscher Assad gewährt. Sie begnügen sich damit, in Syrien zu überleben. Wir syrischen Christen wollen hingegen in Ehre leben. Wir haben zuviel Blut für dieses Land gegeben, um nun unseren Kampf aufzugeben. Wir vergessen nicht, daß Hafiz al-Assad verantwortlich für den Tod des Präsidenten Bachir Gemayel im September 1982 ist. Wir können weder für Hafiz noch für seinen Sohn Baschar Empathie entwickeln.  






Sami Gemayel (37) ist Präsident der christlich-maronitischen Phalange-Partei (Kataeb),  Der Sohn des ehemaligen libanesischen Präsidenten Amine Gemayel (1982–88) und Neffe des 1982 ermordeten Präsidenten Bachir Gemayel hat im Dezember 2016 eine Beteiligung an der Hariri-Regierung abgelehnt. Kataeb tritt seitdem im Parlament als Alternative zum „politischen Filz“ in Erscheinung. Entsprechend forderte Gemayel Präsident Michel Aoun und den designierten Ministerpräsidenten Saad Hariri am vergangenen Samstag auf, die „Farce“ zu stoppen, die den Kabinettsbildungsprozeß bis dato behindere. Zudem erneuerte er seine Forderung nach einer technokratischen Regierung. „Die Menschen leiden und das Land ertrinkt in Poblemen, während sie über Ministeranteile feilschen“, schrieb Gemayel auf Twitter.