© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Er will den Horizont weiten
Zum 85. Geburtstag des Pankraz-Kolumnisten Günter Zehm
Thorsten Thaler

Nur die Routinefrage: Ist meine Kolumne angekommen?“ Der Anruf von Günter Zehm einmal jede Woche erfolgt so sicher wie das Amen in der Kirche. Daraus spricht nicht nur das gesunde Mißtrauen eines Mannes, der an diesem Freitag seinen 85. Geburtstag feiern kann, gegenüber dem allzeit reibungslosen Funktionieren von Computertechnik. Vor allem drückt sich darin die ungemeine Gewissenhaftigkeit aus, mit der er seit nunmehr sage und schreibe 43 Jahren seine Pankraz-Kolumne verfaßt, die längste Zeit davon für die JUNGE FREIHEIT.

Begründet hatte Zehm sie im Juli 1975 in der Tageszeitung Die Welt, für die er seit 1963 als Kulturredakteur, später als Feuilleton-Chef und stellvertretender Chefredakteur arbeitete. Als der vormalige politisch Verfolgte – Zehm war in der DDR als Philosophie-Student und Schüler Ernst Blochs wegen regimekritischer Äußerungen („Boykotthetze“) zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt worden – ob seiner konservativen Geisteshaltung 1989 zum Ausscheiden aus dem Springer-Verlag genötigt wurde, wechselte er mit seiner Pankraz-Kolumne ab 1990 zunächst zum Rheinischen Merkur. Dort fiel vier Jahre später ein Text von ihm aus politischen Gründen der Zensur zum Opfer. Seit Januar 1995 nun veröffentlicht das publizistische Urgestein und Schwergewicht Günter Zehm nicht nur seine stets vom gesunden Menschenverstand geprägte Kolumne in der JF, sondern auch viele andere scharfsichtige Beiträge.

Dabei kommt es ihm, anders als vielen nachgeborenen Meinungsmachern, nicht darauf an, seine Leser mit zeitgeistigen Denkweisen belehren und erziehen zu wollen – oder schlimmer noch: zu langweilen. Ausgetretene Pfade sind ihm ein Greuel. Wer nur nachplappert, muß mit seinem entschiedenen Widerspruch rechnen. Zehm will den Horizont weiten und zu eigenständigem Nachdenken anregen. Für ihn ist der gesunde Menschenverstand „eine brauchbare Methode des Aushaltens und des Sichzurechtfindens in der modernen Welt“.