© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Knapp daneben
Die Natur ist der Feind
Karl Heinzen

Jedes Jahr aufs neue wird das Steenberg-Viertel der flämischen Stadt Landen von einer Naturplage heimgesucht. Naht der Herbst, fallen die Früchte der Haselnußbäume herab und übersäen Vordergärten, Straßen und Fußgängerwege. Die Nerven der Bürger liegen blank. Fahren Autos über die Nüsse, platzen diese mit einem Geräusch auf, das den Anwohnern das Blut gerinnen läßt und sie des Nachts um den Schlaf bringt. Theoretisch könnten auch Rentner, die versehentlich auf sie treten, ins Stolpern geraten, zumal die Blätter und Äste mitunter sogar schon die Straßenbeleuchtung verhüllen. Naturkritiker weisen darauf hin, daß von den Haselnußbäumen zudem quasi unsichtbare Gefahren ausgehen. Ihr verzweigtes Wurzelsystem nimmt keine Rücksicht auf menschliche Infrastrukturen. Würden sie die im Steenberg-Viertel verlegten Gasleitungen angreifen, könnte ein Inferno drohen.

Allein in der Stadt kann man darauf vertrauen, daß die Umwelt mit Stahl und Beton kontrollierbar bleibt.

Endlich hat sich die Kommunalpolitik des Themas angenommen, und der Christdemokrat Gary Peeters wie auch der Liberale Didier Reynaerts scheinen dabei eine radikale Lösung zu bevorzugen. Natürlich könnte man die Straßenreinigung intensivieren oder die Bäume zurechtstutzen. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß die Haselnußbestände vernichtet werden, um einer menschenfreundlicheren Bepflanzung Platz zu machen. Ob die Bürger damit zufriedenzustellen sind, ist jedoch zu bezweifeln. Ihr Problem ist nicht die Haselnuß, sondern die Natur an sich. Pflanzen machen Dreck und fallen Allergikern zur Last. Sie locken eklige Insekten und in ihrem Schlepptau kreischende Vögel an. Man zieht nicht in die Stadt, um sich so etwas auszusetzen. Im Gegenteil. Die Ursache der Landflucht ist nicht etwa der Wunsch, der Langeweile eines Lebens in der Provinz zu entrinnen. Es ist die Furcht des Menschen vor der Natur, die aller romantischen Idealisierung zum Trotz sein Feind geblieben ist. Allein in der Stadt kann man darauf vertrauen, daß sie halbwegs beherrschbar ist und dort, wo sie aufbegehrt, eben durch Beton, Stahl oder Asphalt ersetzt wird. Für diese Gewißheit nehmen viele sogar die Gesellschaft anderer Menschen in Kauf.