© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Frisch gepresst

Menetekel Weimar. Mehr nach Beschwörung als nach realistischer Aussage klingt, wenn der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio wortreich besänftigt, Berlin sei so wenig Weimar wie Bonn es je war (FAZ vom 27. September). Schließlich litten die Deutschen heute keine wirtschaftliche Not, nirgendwo trügen rote und braune Bürgerkriegsarmeen Straßenkämpfe aus, die Demokratie habe knapp siebzig Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes tiefere Wurzeln geschlagen als in der von Anfang an fragilen, 1929 von dem für sie finalen Beben der Weltwirtschaftskrise erfaßten Weimarer Republik. In Jens Hackes bei Herfried Münkler (HU Berlin) entstandener Habilitationsschrift zur „Existenzkrise der Demokratie“ in der Zwischenkriegszeit könnte Di Fabio nachlesen, daß sein scheinbar beruhigender historischer Vergleich eine Rechnung mit zu vielen Unbekannten aufmacht. Denn politische Verwerfungen, so führt Hacke aus, trafen um 1930 fast alle liberalen Demokratien des Westens. Weil der Marktglaube des klassischen Liberalismus auch ohne den „Schwarzen Freitag“ sukzessive in „Faustregeln für die Starken im Spielfeld gegen jeden Schwachen“ gemündet sei (Götz Briefs, 1932). Deswegen habe die marktkonforme Demokratie international an Legitimität eingebüßt und den starken Staat als Gegenmodell nicht nur im Deutschen Reich attraktiv gemacht. Daß sich gegenwärtig eine ähnliche, wegen der Fliehkräfte der Massenmigration weitaus gefährlichere Konstellation abzeichnet,  weil vom globalisierten Finanzkapitalismus entkernte Demokratien rasant das Vertrauen ihrer Bürger verlieren, meinen nicht nur Linke wie Sahra Wagenknecht und Wolfgang Streeck. (wm) 

Jens Hacke: Existenzkrise der Demokratie. Zur politischen Theorie des Liberalismus in der Zwischenkriegszeit, Suhrkamp Verlag, Berlin 2018, broschiert, 455 Seiten, 26 Euro





Thomas Mann. Zwar ohne die mit präsidialem Segen ausgestattete Antifa-Combo Feine Sahne Fischfilet, aber in Begleitung seines Hausphilosophen, des Spiegel-Kolumnisten Sascha Lobo, eröffnete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Juni dieses Jahres ein neues transatlantisches Kulturzentrum: das renovierte „Weiße Haus des Exils“, Thomas Manns Villa in Pacific Palisades. Zu Steinmeiers Entourage zählte auch der 1940 geborene Frido Mann, ein Enkel des „Zauberers“, der bis zu dessen Rückkehr nach Europa oft als Gast im großelterlichen Haus weilte. Pünktlich zum Staatsakt unter Palmen schrieb „der liebe Frido“ seine Kindheitserinnerungen nieder, die bis zum 21. Juli 1944 zurückgehen, als sich ihm die Enttäuschung der am Radio versammelten Familienmitglieder über das mißlungene Attentat auf Adolf Hitler tief einprägte. Leider beschränkt sich der klinische Psychologe im Ruhestand nicht auf derart Persönliches und Atmosphärisches, das Thomas Manns „süchtig machende“ (Fritz J. Raddatz) Tagebücher marginal ergänzt. Stattdessen widmet er die Hälfte des Büchleins seinen von eher politischem Analphabetismus zeugenden Dampfplaudereien über den US-amerikanischen Gottseibeiuns Donald Trump, den „Popanz als Präsidenten“, oder über „eine beschämenderweise sogar im Bundestag vertretene fremdenfeindliche und deutschtümelnde Partei“. Ergüsse, die man nicht überlesen sollte, da sie erschütternde Einblicke in die Niederungen eines geistigen Niveaus gestatten, auf das das gutmenschlich verbiesterte deutsche Bürgertum nach fünfzig Jahren erfolgloser „Erziehung zur Mündigkeit“ (Adorno) abgerutscht ist. (wm)

Frido Mann: Das Weiße Haus des Exils. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018, gebunden, 207 Seiten, Abbildungen, 20 Euro