© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Außer Kontrolle geraten
Fernab der Gesetze des Marktes oder demokratischer Prinzipien: Thilo Bode über den unheiligen Einfluß multinationaler Konzerne auf die politischen Prozesse
Konrad Adam

Thilo Bode ist ein erfahrener Mann, er weiß, wie man dem Tiger in den Rachen greift, ohne gefressen zu werden. Vor Jahren hatte er, damals noch Geschäftsführer von Greenpeace, die Proteste gegen den Versuch orchestriert, eine nutzlos gewordene Bohrplattform, die Brent Spar, in der Nordsee zu versenken. Wenig später gründete er den Verein Foodwatch, um die Giganten der Lebensmittelindustrie herauszufordern. Auch das ist ihm gelungen.

Jetzt hat er sich die großen international agierenden Konzerne vorgeknüpft, Multis wie Exxon, Nestlé oder Facebook. Als Linker, aber einer von der konservativen Art, mißt er sie an dem, was sie Käufern, Verbrauchern oder Usern versprechen, und kommt zu einem vernichtenden Ergebnis. Die Multis loben den Wettbewerb, tun aber alles, ihn zu unterlaufen. Konkurrenten werden schikaniert, verklagt oder, wenn alles nichts hilft, geschluckt und kaltgestellt. Vom freien Spiel zwischen Angebot und Nachfrage bleibt danach nicht viel übrig.

Das klingt nach einem Angriff auf die Marktwirtschaft, aber das wäre ein Irrtum. Bode verteidigt sie, pocht nur auf ihre Voraussetzung, den freien, unverfälschten Fluß von Daten und Informationen, und stellt fest, daß davon keine Rede sein kann. Wenn der Markt funktionieren soll, müssen die Preise die Wahrheit sagen. Das tun sie aber nicht, sie werden durch Absprachen und Propaganda, direkte und indirekte Subventionen systematisch entstellt.

Bode hat Volkswirtschaft studiert und war selbst als Unternehmer tätig, kennt sich also aus. Was er über die Raffzähne berichtet, die unter dem Ruf nach „Shareholder Value“ ihre Aktionäre übers Ohr hauen, klingt fast schon nach Mitleid. Auch sie sind ja Gefangene eines Systems, das Leistung predigt, aber nicht belohnt. Jürgen Schrempp, der frühere Vorstand von DaimlerChrysler, ist nur ein Beispiel für den Typ des modernen CEO, der Wohlstand für alle predigt und für sich selbst schafft.

Ausgiebig schildert Bode die berühmte Drehtür, durch die Politiker wie Matthias Wissmann in die Wirtschaft wechseln und Finanziers wie Jean-Claude Juncker aus der Wirtschaft in die Politik. Der Seitenwechsel zahlt sich aus, nicht unbedingt für andere, aber doch für sie. Das Karussell hat ein neues, riesiges Berufsfeld entstehen lassen, das der Berater und Lobbyisten. Wo alles käuflich ist, kann man auch Präsidenten, Gewerkschafter, Wissenschaftler, Chefredakteure und so weiter kaufen. Zusammen bilden sie die Neue Klasse.

In einem Unternehmen wie VW, wo Staat und Wirtschaft, Partei und Gewerkschaft, Minister und Manager einander zuarbeiten, lassen sich die fatalen Auswirkungen dieser Liaison am besten studieren. Das Bündnis zwischen dem „Autokanzler“ Gerhard Schröder, dem VW-Chef Martin Winterkorn und dem Vorsitzenden des Konzernbetriebsrats Bernd Osterloh hält bis heute, es schützt die Täter, die den Diesel-Skandal angerichtet haben, und läßt die Opfer sitzen.

Wer in der Neuen Klasse Mitglied ist, für den gibt es kein Scheitern, er kann machen, was er will, er fällt immer nach oben. Wenn die Spekulation mißlingt und der Bankrott bevorsteht, heißt es „Too big to fail“, und der Bürger muß zahlen. Warum, fragt Bode in einem Anflug von Verzweiflung, warum darf Herr Winterkorn immer noch frei herumlaufen und eine Rente von 3.000 Euro am Tag (nicht etwa pro Monat) kassieren? Fälle wie er würfen die Frage auf, was denn nun systemrelevant sei, die Gewinne der Automobilindustrie oder das Vertrauen der Bürger in die gewählte Regierung.

Unternehmen dieser Größenordnung üben nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Macht aus. Damit gefährden sie den Rechtsstaat, bedrohen die Freiheit und unterlaufen die Spielregeln der Demokratie. Gesetzliche Auflagen müssen sie nicht befürchten, da sie die Politik fest im Griff haben; Strafbefehle können ihnen nichts anhaben, die begleichen sie aus der Portokasse; wenn sonst nichts hilft, dann helfen Abwrackprämien, die beleben den Markt und die Nachfrage nach dem nächsten Modell. Also was tun?

Bodes Buch versteht sich als Appell an die Bürger, selbst zu denken und selbst zu handeln. Sie sollen das tun, was der Staat nicht tun kann oder nicht tun will, den Multis also Grenzen setzen, so gut sie das als Wähler und Verbraucher eben können. Er erinnert sich gern  an die Kampagne gegen das Versenken der Brent Spar; sie war in dem Augenblick gewonnen, als die Verbraucher mitzogen und Shell-Tankstellen mieden. Was damals gelang, könnte öfter gelingen, meint Bode, und macht weiter.

Thilo Bode: Die Diktatur der Konzerne. Wie globale Unternehmen uns schaden und die Demokratie zerstören. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018, broschiert, 240 Seiten, 18 Euro