© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Selbstmörderisches Appeasement
Der frühere ARD-Maghreb-Korrespondent Samuel Schirmbeck beklagt die „gefährliche Tolerenz“ der Linken bei der Islamisierung Europas
Michael Dienstbier

Samuel Schirmbeck ist wütend. Fassungslos beobachtet der ehemalige Korrespondent für die Öffentlich-Rechtlichen – verantwortlich für den Aufbau des ARD-Büros Nordafrika 1991 in Algier –, daß sich Geschichte doch wiederholt. Noch in den achtziger Jahren badeten Frauen und Männer gemeinsam an den Stränden Marokkos und Algeriens, Kopftücher oder Niqab waren nicht präsent. Zuerst kaum wahrnehmbar, eroberten Ideologie und Symbole des Islams den öffentlichen Raum – der Druck auf Frauen, sich „züchtig“ zu kleiden, wuchs, selbsternannte Tugendwächter patrouillierten durch die Straßen Algiers und Marrakeschs und jeder Aspekt des Alltags wurde anhand der koranischen Kategorien „halal“ und „haram“ – rein und unrein – abschließend bewertet. 

Schirmbeck war Augenzeuge dieses Transformationsprozesses, den er eindrücklich in seinem 2016 erschienenen Buch „Der islamische Kreuzzug und der ratlose Westen“ beschrieben hat. Schon damals attackierte er heftig die sich als progressiv-links verstehenden Kräfte in Europa, die diesem Treiben aufgrund von Feigheit und falsch verstandener Toleranz mit donnerndem Schweigen zugeschaut hätten. Die gleiche Islamisierung des öffentlichen Raumes, die er damals in Nordafrika hautnah mitverfolgen mußte, beobachtet Schirmbeck nun auf den Straßen Deutschlands – und dieses Mal schweigt die Linke nicht nur, sie agiert als aktiver Komplize einer totalitären Ideologie. In seiner neu veröffentlichten emotionalen Streitschrift appelliert er an die noch vernunftbegabten Linken bei der SPD, den Grünen, der CDU und der Linkspartei, sich wieder ihres aufklärerischen, antitotalitären und religionskritischen Erbes bewußt zu werden und endlich wieder auf seiten der Unterdrückten und nicht der Unterdrücker zu stehen.

Woher stammt diese „linke Blanko-Toleranz“ allem Islamischen gegenüber? Schirmbeck attestiert der deutschen Linken, der er sich bis zum Bataclan-Massaker in Paris im November 2015 selbst zugehörig fühlte, einen historisch bedingten Schuldkomplex, der alles, was fremd ist, als bereichernd willkommen heißt und dementsprechend gegen Kritik immunisiert. Die seit 2015 ins Land strömenden muslimischen Flüchtlinge würden als einmalige Chance gesehen, dieses Land irreversibel zu verändern, es arabischer, nahöstlicher, muslimischer, vor allem aber weniger deutsch zu machen. 

Schirmbeck zitiert dazu den berüchtigten Spruch Katrin Göring-Eckardts aus dem April 2016, Deutschland müsse „mehr Islam wagen“, der diese radikale Agenda auf den Punkt bringt. Konkret manifestiert sich dieser Konflikt unter anderem in der Kopftuchdebatte. In Berlin versuchen islamaffine Linke, das Neutralitätsgesetz zu kippen, welches es Muslimen bisher verbietet, kopftuchtragend im öffentlichen Dienst zu arbeiten. Schirmbeck läßt die verbliebenen säkularen Gegner aus den Reihen von Grünen und SPD zu Wort kommen und betont basierend auf eigenen Erfahrung, daß es sich bei dem Kopftuch nicht nur um ein Stück Stoff oder ein normales religiöses Symbol wie Kreuz oder Kippa handele. Vielmehr sei es ein männliches Machtinstrument, welches die Frau auf ein bloßes Sexualobjekt reduziere und somit die Geschlechterapartheid im Islam für alle sichtbar zum Ausdruck bringe. Des weiteren habe sich in Nordafrika der wachsende Einfluß der Fundamentalisten am zunehmenden Kopftuch im öffentlichen Raum ablesen lassen: „Je mehr Fundamentalismus, um so mehr ‘Kopftuch’. Je weniger Fundamentalismus, um so weniger ‘Kopftuch’.“

Abschließend attestiert Schirmbeck den Befürwortern unbegrenzter Migration den „neurotischen Furor einer wunden Seele“, der, von ständigen Schuldgefühlen geplagt, nach Auswegen aus dem inneren Elend sucht und diesen nun in einer moralisch überhöhten Flüchtlingspolitik meint gefunden zu haben. Schirmbeck schreibt mit Zorn, formuliert unmißverständlich, attackiert hart, läßt aber auch Raum für kritische Stimmen innerhalb des von ihm angegriffenen linken Spektrums. Das richtige Buch zur richtigen Zeit.

Samuel Schirmbeck: Gefährliche Toleranz. Der fatale Umgang der Linken mit dem Islam. Verlag Orell Füssli, Zürich 2018, gebunden, 172 Seiten, 20 Euro