© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/18 / 19. Oktober 2018

Bayern wird ein bissel bunter
Landtagswahl: Die CSU erlebt ein Debakel, kann sich aber in eine bürgerliche Koalition mit den Freien Wählern retten / Linksruck bleibt aus
Thorsten Brückner

Es war die große Stunde von Hubert Aiwanger. Zehn Jahre nach dem erstmaligen Einzug in den Bayerischen Landtag stehen die Freien Wähler nach dem vergangenen Sonntag kurz vor ihrer ersten Regierungsbeteiligung im Freistaat. Der Niederbayer ist das Gesicht der Partei, die häufig als Fleisch vom Fleische der CSU bezeichnet wird. Mit bis zu fünf Ministerposten liebäugelt er. Als Favoriten dafür gelten neben Aiwanger Fernsehrichter Alexander Hold, der in seinem schwäbischen Stimmkreis hinter CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer starke 21,4 Prozent holte und der bisherige Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Florian Streibl. Letzterer ist als Sohn des früheren Ministerpräsidenten Max Streibl, im Freistaat ein Name.

Auch Generalsekretär Michael Piazolo sowie der Forchheimer Thorsten Glauber kommen für Ministerweihen in Frage. Daß es soweit kommen konnte und die Freien Wähler wohl erstmals in der Geschichte Bayerns an der Regierung beteiligt sein werden, war maßgeblich dem schwachen Abschneiden der CSU zuzuschreiben. Mit 37,2 Prozent erreichte sie ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl seit 1950. In gleich sechs städtischen Stimmkreisen hatte die Partei zudem gegen die Grünen das Nachsehen, die somit erstmals in der Geschichte in Bayern Direktmandate holen konnten.

Zum Vergleich: Vor fünf Jahren triumphierten die Christsozialen mit einer Ausnahme in allen der damals 90 Stimmkreise. Ansonsten fällt auf, daß es sich häufig beim Abschneiden der Grünen um ein Nullsummenspiel im linken Lager gehandelt hat. Was die SPD verlor, gewannen die Grünen und die Linkspartei hinzu. Dem Minus von 10,9 Prozent, das die SPD verbuchte, standen Gewinne für die Grünen von 8,9 Prozent und für die Linkspartei von 1,1 Prozent gegenüber. Die 9,7 Prozent, die die Sozialdemokraten holten, waren zugleich das schlechteste SPD-Ergebnis in der Geschichte von Landtagswahlen seit Gründung der Bundesrepublik.

Erste personelle Konsequenzen hat die Partei inzwischen gezogen. Der bisherige Fraktionsvorsitzende Markus Rinderspacher hat seinen Rücktritt erklärt. SPD-Spitzenpolitiker wie der frühere Münchener Oberbürgermeister Christian Ude haben auch der Spitzenkandidatin Natascha Kohnen zur Demission geraten. 1.119.459 Wählerstimmen hat die Partei im Vergleich zu 2013 verloren und damit fast doppelt so viele wie die CSU.

Die trug ihre Niederlage mit Fassung. Zumal die Partei im Vergleich zu den Umfragen vor der Wahl, die ihr einen Absturz auf bis zu 33 Prozent vorhergesagt hatten, noch mit einem blauen Auge davonkam. Allerdings wurde am Tag nach der Abstimmung der Ruf nach personellen Konsequenzen an der Spitze unüberhörbar. Der größte, von der stellvertretenden Ministerpräsidentin Ilse Aigner geführte Bezirksverband Oberbayern, verlangte einen Sonderparteitag. Der Münchener Abgeordnete Ernst Weidenbusch machte dazu gegenüber dem Merkur klar, auf was dieser hinausliefe: „Die Menschen wollen Erneuerung, auch personell – die betrifft nicht den Ministerpräsidenten.“ Ein klarer Fingerzeig, daß an der Basis Parteichef Seehofer für das Scheitern verantwortlich gemacht wird.

„Die Schlange ist nicht schwarz, sondern grün“

Von Scheitern kann bei der AfD keine Rede sein, auch wenn sie mit ihrem Ergebnis von 10,2 Prozent hinter ihrem Resultat bei der Bundestagswahl (12,4 Prozent) im vergangenen Jahr zurückgeblieben ist. Daher sähen das Ergebnis in der AfD „die einen oder anderen vielleicht mit einer leichten Traurigkeit“, sagte Parteichef Jörg Meuthen am Montag in Berlin. Doch mit den Freien Wählern gebe es in Bayern eben eine „harte bürgerliche Konkurrenz“. Hinter vorgehaltener Hand gesteht manches führende AfD-Mitglied durchaus seine Enttäuschung über das Ergebnis ein. Grund seien auch die Querelen im Landesverband. „Da besteht Handlungsbedarf“, so ein führender Funktionär. Am stärksten schnitt die AfD mit 13,4 Prozent in Niederbayern ab, der Heimat von Katrin Ebner-Steiner (JF 40/18), die als Favoritin für den Fraktionsvorsitz gehandelt wird. „Seit Chemnitz“, konstatiert die niederbayerische Spitzenkandidatin am Montag mit Blick auf die dortigen Demonstrationen, „haben die Freien Wähler an Boden gewonnen“, seien die Umfragewerte der AfD zurückgegangen. Ein weiteter Grund mag auch eine falsche Themensetzung im Wahlkampf gewesen sein. Nur für 33 Prozent der Wähler war laut Nachwahlbefragung von Infratest Dimap die Asylpolitik sehr wichtig für ihre Wahlentscheidung. Bildungspolitik nannten 52 Prozent, die Schaffung bezahlbaren Wohnraums 51 Prozent. Die AfD werde immer noch als Partei der „Preußen“ gesehen, kritisiert ein Mitglied der Parteiführung. „Das wichtigste, woran wir nun weiter arbeiten müssen, ist unsere Verankerung im Land, vor allem mit Blick auf die Kommunalwahlen 2020“, betont Ebner-Steiner im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Ihrer Meinung nach hätten sich viele Wähler auch mit Blick auf die Drohkulisse einer linken Mehrheit im Landtag gesagt: „Die Schlange ist nicht schwarz, sondern grün.“ Deswegen habe mancher sein Kreuz lieber bei den koalitionsbereiten Freien Wählern gemacht, als bei der AfD. 

Eine Zitterpartie bis weit nach Mitternacht wurde der Wahlabend für die im Freistaat chronisch schwächelnde FDP. Erst um kurz nach ein Uhr morgens stand fest, daß sie den Einzug geschafft hat. Auch der frühere Focus-Chefredakteur Helmut Markwort wird künftig im Maximilianeum sitzen. Auf der Oberbayern-Liste seiner Partei wurde er von Platz 16  hochgewählt und wird nun dem künftigen Landtag als Alterspräsident angehören.

Mehrere CDU-Politiker rechneten bereits kurz nach der Wahl mit der Schwesterpartei ab. Es sei falsch gewesen, mit der AfD um Stimmen zu konkurrieren, betonte der nordrhein-westfälisch Ministerpräsident Armin Laschet. Hauptkonkurrentin seien die Grünen. Die Statistik zur Wählerwanderung läßt diesen Schluß hingegen nur bedingt zu. Die CSU verlor genauso viele Wähler an die Grünen (180.000) wie an die AfD. Für die Freien Wähler stimmten 170.000 Bürger, die vor fünf Jahren ihr Kreuz noch bei der CSU gemacht hatten. Auffällig war hingegen das Wahlverhalten nach Bildungsgrad. Während 43 Prozent der Bayern mit „einfacher Bildung“ der CSU ihre Stimme gaben, taten dasgleiche nur 30 Prozent mit hoher Bildung. Noch frappierender die Differenz bei den Grünen. Nur sieben Prozent der Bürger mit einfacher Bildung gaben der Partei ihre Stimme, aber 28 Prozent derer, denen – zu Recht oder zu Unrecht – eine hohe Bildung bescheinigt wird.