© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/18 / 19. Oktober 2018

Realistisch, eigenverantwortlich, sozial
Sozialpolitik: Parteichef Jörg Meuthen legt weiteres AfD-Rentenkonzept vor / Gegenmodell zu Thüringen?
Jürgen Liminski

Es ist in Deutschland schwierig, das Thema Renten nüchtern zu diskutieren. Das politisch-mediale Establishment neigt dazu, die demographischen Daten zu verharmlosen oder zu glauben, daß das Schrumpfen der Bevölkerung in Europa durch das Wachstum der Völker in Afrika oder Asien neutralisiert werde – sprich: Zuwanderung sei die Lösung. Der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg (Universität Bielefeld) meinte einmal dazu lakonisch: Das wäre so, als wenn man mit einem Bein in einem Eimer voll heißem und mit dem anderen in einem Eimer mit eiskaltem Wasser stünde. Insgesamt stimme die Temperatur, trotzdem sei das kein angenehmes Gefühl.

„Ansätze zur Entschärfung einer tickenden Zeitbombe“

Die Folgen des Geburtenschwunds auf Wirtschaft, Wohlstand und vor allem auf die Sozialsysteme im „Eimer“ Deutschland bewirken zwar hier und da ein gewisses Umdenken, aber es reicht nicht, die Politik entsprechend zu ändern und wirklich einen großen Wurf in die Zukunft zu wagen. Diesen Wurf unternimmt der AfD-Bundesvorsitzende und EU-Parlamentarier Jörg Meuthen mit seinem neuen Rentenkonzept. Daß er die hochkochenden Temperaturen wahrnimmt, zeigt schon der Titel des 25 Seiten starken Papiers: „Ansätze zur Entschärfung einer tickenden Zeitbombe“.

Das Konzept des Ökonomieprofessors, der bis 2016 an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl lehrte, atmet einen liberal-konservativen Geist, und es ist sachlich-faktenbasiert. Inhaltlich wie politisch ist es eine Alternative zum Umlagekonzept der AfD Thüringen (JF 35/18), das man laut FAS wegen des „antikapitalistischen Furors und sozialpolitischen Füllhorns für eine Programmschrift der Partei ‘Die Linke’“ halten könne. Beide Konzepte werden wohl auf dem Programmparteitag der AfD zu sozialen Fragen im kommenden Frühjahr in Dresden diskutiert werden.

Meuthen stellt fest, was Soziologen und Demographen schon lange sagen: Zuwanderung kann die Sozialprobleme nicht lösen. Im Gegenteil, die allermeisten Migranten wandern in die Sozialsysteme ein. Wer aber hier arbeitet und Sozialbeiträge zahlt, der solle auch den Alterslohn für seine Leistung erhalten. In diesem Sinn zieht Meuthen die Mindestlinie bei zwanzig Jahren Beitragszahlung. Auch sie sollen die Mindest- oder Grundrente bekommen.

Der Bruch mit dem Umlagesystem der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) kommt durch das demographische Defizit – die derzeitige Geburtensteigerung ist nur eine Pause, bedingt durch die höhere Zahl an gebärfähigen Frauen, die Kinder der Babyboom-Generation. Meuthen plädiert daher für eine steuerfinanzierte Grundrente. Diese soll knapp über der Existenzsicherung liegen und nach mindestens 25 Arbeitsjahren beantragt werden können.

Zu dem Bruch gehört logischerweise auch der Bruch mit den Pensionen. Auch Beamte, Selbständige und sogar Politiker sollen diese steuerfinanzierte Mindestrente bekommen. Wer die Altersvorsorge aufbessern will, der solle privat sparen. Damit dieses private Sparen für eine Zusatzvorsorge überhaupt möglich wird, will Meuthen die Steuer- und Abgabenlast deutlich senken. Wie der einzelne dann für sein Alter vorsorgt, bleibe ihm überlassen. Bestehende Ansprüche kann und will Meuthen nicht abschaffen, sie sind von der Verfassung geschützt. Sie sollen auf den Nettolohn aufgeschlagen werden, womit älteren Arbeitnehmern genügend Freiraum geschaffen würde, um eine eigene Zusatzrente, etwa in Form von Lebensversicherungen oder Aktien, aufzubauen.

Familienfeindliche Fehlkonstruktion

Meuthen benennt deutlich den Konstruktionsfehler des GRV-Systems: „Die zur Erfüllung dieser Ansprüche notwendigen generativen Leistungen in Form von Erziehung künftiger Beitragszahler (wurde) den Familien aufgebürdet – eine familienfeindliche Fehlkonstruktion. Seit der Rentenreform von 1957 werden die Renten der nicht mehr erwerbstätigen Bevölkerung durch die Beiträge der einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehenden Bevölkerung finanziert. Die Rentenauszahlungen können also nur so hoch sein wie die Renteneinzahlungen. Allerdings kann ein so konstruiertes System langfristig nur dann funktionieren, wenn ausreichend Beitragszahler nachkommen.“

Das ist eben nicht der Fall, schon seit 1972. Das neue Konzept könne einen „Kollaps des Systems“ verhindern. Andere AfD-Kollegen, etwa die Bundestagsabgeordneten Uwe Witt oder Markus Frohnmaier, wollen die GRV reparieren, indem sie Familienkomponenten einführen. Es ist fraglich, ob das ausreicht, und ob es politisch durchsetzbar ist, denn Deutschland „altert“: Die Zahl der über 65jährigen im Vergleich zu den Erwerbsfähigen im Alter von 15 bis 64 Jahren steigt. Eine grundsätzliche Reform ist nötig, aber die Rentenreformen der vergangenen Jahrzehnte sind den Herausforderungen der nächsten fünfzig Jahre nicht gewachsen. „Die Fundamente schwimmen davon“, warnt der Rentenexperte Jürgen Borchert.

Der frühere hessische Sozialrichter plädiert für das „Schweizer Modell“, das alle personenbezogenen Einkünfte in die Rentenbeitragszahlung einfließen läßt. So finde ein Transfer von oben nach unten und nicht wie in Deutschland von unten nach oben statt. So sei es den Schweizern gelungen, den Beitragssatz auf rund elf Prozent zu beschränken, die auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt würden. Ferner hätten sie eine höhere Durchschnittsrente als die Deutschen und zwar sowohl für Männer wie für Frauen.

Meuthens Konzept ähnelt dem Schweizer Modell, hat aber auch Anleihen aus Japan. Dort werde auf mehr Automatisierung gesetzt, um den Verlust von Fachkräften auszugleichen. Steuerfinanzierung sowie ein flexibles Renteneinstiegsalter kämen hinzu. Das sind die neuen Stellschrauben. Sie gehen von realistischen Annahmen aus, sind individuell bedienbar, beschränken den staatlichen Anteil und fördern die Eigenverantwortung – ein bürgerliches Konzept im besten Sinn des Wortes.

Die Konzepte der Bundesregierung dagegen erinnern an die Blaskapelle auf der Titanic. Spielen bis zum Untergang. Dabei ist es nur eine Frage der Zeit, wann man über die Grundrente für alle diskutiert. Der CDU-Politiker Kurt Biedenkopf hatte sie bereits in den achtziger und neunziger Jahren vergeblich vorgeschlagen. Aber damals wie heute glauben Politiker: Bis zur nächsten Wahl ist das Wasser noch nicht am Oberdeck.

Das Meuthen-Konzept gibt es auf Nachfrage:  facebook.com/Prof.Dr.Joerg.Meuthen

 twitter.com/Joerg_Meuthen

„Die Produktivitätsrente“ – Umlagekonzept der AfD Thüringen:  afd-thl.de/





Steuerfinanzierte „Bürgerrente“

Der damalige sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) schlug 1996 ein Gegenmodell zur Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) vor. Nach einem in den achtziger Jahren erstmals vorgestellten Konzept sollte die Rente künftig durch Steuern statt Versicherungsbeiträge finanziert werden. Biedenkopfs „Bürgerrente“ hätte bekommen, wer als Erwachsener mindestens 25 Jahre in Deutschland gelebt hat und älter als 65 ist. Die Höhe orientierte sich am Volkseinkommen, in das Löhne, Einkünfte aus Unternehmertätigkeit und aus Vermögen fließen. Biedenkopf schlug einen Satz von 55 Prozent des Volkseinkommens pro Kopf vor – das waren damals 1.540 D-Mark pro Monat. Heute wären das 1.362 Euro. Davon hätten aber auch die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bezahlt werden müssen. Zur Finanzierung der „Bürgerrente“ sollten die Lohn- und Einkommensteuer sowie die Mehrwertsteuer angehoben werden. Der CDU-Parteivorstand und der CDU-Parteitag im März 1997 entschieden sich aber für den Erhalt der GRV und für eine weitere Reform von Arbeitsminister Norbert Blüm. (fis)