© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/18 / 19. Oktober 2018

Zollschranken zwingen zum Produktionsaufbau
Automobilmarkt: Der deutsche Fahrzeugexport nach Rußland wird vor allem durch staatliche Beschränkungen gehemmt
Albrecht Rothacher

Dieselskandal hin, US-Milliardenstrafen her, auch schärfere CO2-Vorschriften und Stickoxide konnten die einträgliche Exportbranche kaum bremsen: Die deutsche Pkw-Produktion läuft auf Hochtouren. Seit 2007 wurden jährlich jeweils über vier Millionen Fahrzeuge in alle Welt geliefert. Nur 2009 gab es finanzkrisenbedingt mit 3,4 Millionen einen temporären Exporteinbruch. Daß sich die Pkw-Ausfuhren 2017 auf 4,38 Millionen summierten, war vor allem Asien, Osteuropa sowie Brasilien und Mexiko zu verdanken. Hier gab es Absatzsteigerungen im zweistelligen Prozentbereich.

Bei der Ausfuhr in Länder, mit denen die Bundesregierung in Konflikt steht, gab es hingegen satte Einbußen: Im größen Exportmarkt USA sank der Absatz von 548.508 auf 493.643, das waren minus zehn Prozent. In der Türkei sank der Absatz um 18,9 Prozent auf 139.609, in Rußland um 16,6 Prozent auf 45.549. Dennoch sind deutsche Marken (oft als Gebrauchtwagen) weiter beliebt im größten Land der Erde.

Und: Rußland hat eine lange automobilistische Tradition. 1896 wurde von Jakowlew & Freze der erste Wagen mit Benzinmotor gebaut, und drei Jahre später von Hyppolite Romanow das erste Elektroauto und der erste elektrische Bus entwickelt. Aber erst 1966 beschloß dann das Moskauer Politbüro, erstmals Pkws für den Massenmarkt bauen zu lassen. In einem großangelegten Komsomolprojekt wurde im südrussischen Stawropol-Wolschskij (1964 zu Ehren des italienischen KP-Chefs in Togliatti umgenannt) an der Wolga auf 600 Hektar mit AwtoWAS die größte Automobilfabrik aller Zeiten gebaut.

Die riesige Lada-Fabrik auf dem absteigenden Ast

Die Montagebänder und die Technik wurden von Fiat gekauft, und der 124er wurde ab 1970 kaum verändert als Shiguli und für den Export als Lada produziert. 1975 folgte der auch im Westen beliebte Billiggeländewagen Niva und 1984 der mit Porsche entwickelte Samara mit Frontantrieb. 107.000 Arbeiter stellten jährlich 600.000 Pkws her. Das Ende der Sowjetunion traf auch AwtoWAS. Die Lohnzahlungen stockten, das Management etablierte eigene „Vertriebskanäle“. Die Belegschaft stieg in den Schwarzhandel mit Ersatzteilen ein. Das organisierte Verbrechen hinterließ in Togliatti mit seinen 700.000 Einwohnern bis 2005 etwa 500 Tote.

Im Jahr 2006 hatte Wladimir Putin genug. Der Präsident ließ AwtoWAS vom staatlichen Rüstungsgiganten Rosoboronexport übernehmen. Der bisherigen Unternehmensführung wurde fristlos gekündigt. Ein Putin-Kollege aus der DDR, Andrej Belianinow übernahm den Aufsichtsrat und der Spezialist für Kampfflieger Wladimir Artyakow den Vorstand. Beide hatten keine Ahnung vom Autobau, aber sie sorgten für Disziplin und fünf Milliarden Euro frischer Investitionen. Der seit 1998 auch in Togliatti gefertigte viertürige Geländewagen Chevrolet Niva entwickelte sich dennoch nicht zum Erfolg. Der Hinauswurf der Amerikaner von General Motors (GM) löste jedoch nicht das Problem des jahrzehntelangen technologischen Rückstands. Man arbeitet weiter mit Schraubenschlüssel, Muskelkraft nach Augenmaß und machte nach Lust und Laune Pausen. Bei Monatslöhnen von 500 Euro brutto ist die Arbeitsproduktivität zweifellos nicht das entscheidende Moment für die Gewinnträchtigkeit.

Im Zuge der Finanzkrise 2008, als GM und Chrysler zahlungsunfähig wurden, entwickelte sich ein merkwürdiger Rußland-Hype. Price-Waterhouse-Cooper sagte 3,8 Millionen und Ernst & Young fünf Millionen im Jahr 2012 verkaufter Pkws voraus –  mehr als in Deutschland. Tatsächlich hatte sich die Kaufkraft der russischen Mittelschichten seit 2000 dank höherer Ölpreise und Staatsausgaben stark verbessert, und sie motorisierten sich rasch: zuerst mit importierten oder gestohlenen Gebrauchtwagen, meist aus Japan und Deutschland. Als der Kreml 2009 mit 30prozentigen Sonderzöllen die Gebrauchtwagen verteuerte – was Krawalle in Wladiwostok auslöste –, ging die Nachfrage auf importierte Neuwagen über, denn beim Auto hört der Patriotismus auf.

Wer es sich leisten kann, kauft robuste Geländewagen von Toyota, BMW oder Mercedes. Nicht nur die schlechten Straßen und Schotterpisten des Ostens und Nordens legen dies nahe. Es ist auch eine Prestigefrage. Oft wird auf Kredit gekauft oder dann, wenn die Inflation den Warenwert des Rubels bedroht. So stürzten sich denn die ausländischen Hersteller im Krisenjahr 2009 auf den russischen Markt, dem einzigen auf dem sie noch auf Zuwächse hoffen konnten. Der Kreml jedoch zwang sie mit Importzöllen von damals 30 Prozent zur Endfertigung an russischen Standorten.

Gleichzeitig offerierten Moskau und die regionalen Gouverneure großzügige Finanzhilfen und Steuerbefreiungen, voll erschlossene Sonderwirtschaftszonen, sowie zollfreie Teileimporte, falls der Investor sich verpflichtete, binnen fünf Jahren mindestens 25.000 Fahrzeuge mit 30 Prozent russischer Wertschöpfung zu bauen. Das Problem war lediglich, daß es verläßliche Teilelieferanten in Rußland kaum gibt. Rohstoffe wie Stahl, Aluminium sind überreichlich vorhanden, nicht aber zum Beispiel hochqualitative Stahlbleche zum Karosseriebau.

Zwei Volkswagenwerke für den russischen Markt

Renault übernahm das insolvente Moskwitsch-Werk (1946 mit in Deutschland abgebauten Opel-Produktionsanlagen etabliert) bei Moskau. Zudem wurde für eine Milliarde Euro zu einem Viertel bei AwtoWAS eingestiegen. In Togliatti kündigte Konzernchef Carlos Goshn an, man wolle den Ausstoß mit Renault-Plattformen bis 2014 auf 1,5 Millionen verdoppeln.

Volkswagen investierte 500 Millionen Euro in die Motorenfertigung im 170 Kilomter südwestlich von Moskau gelegenen Kaluga, einem früheren Rüstungsstandort. Dort werden auch Polo und Tiguan sowie der Škoda Rapid montiert. Continental produziert dort seine Reifen für den russischen Markt. GM übernahm eine frühere Traktorfabrik in Jelabuga im östlichen Tatarstan, um nun Chevrolets zu bauen. Severstal-Auto fertigt dort in einer Gemeinschaftsfirma mit Isuzu und Fiat Lieferwagen für den boomenden Einzel- und Versandhandel.

Der kanadische Lieferant Magna von Frank Stronach siedelte sich in St. Petersburg mit seiner günstigen Hafenlage und Verkehrsanbindungen und gut ausgebildeten Facharbeitern für die Fertigung von Plastikteilen und Stoßstangen an. Auch Toyota, Nissan und Ford haben dort Fertigungen. Die gleiche Gunstlage spricht für Königsberg (Kaliningrad), wo Avtotor für BMW, Kia und Hyundai die Endfertigung betreibt. Die Firma Gaz des Aluminiumkönigs Oleg Derispaska schließlich erledigt in Nischni Nowgorod für Daimler, Škoda und VW Auftragsfertigungen, ist zudem Marktführer für Lkw und Busse.

Tatsächlich wuchs der russische Fahrzeugmarkt nicht in den Himmel. 2014/15 brach er ein. Doch alle blieben, nur Opel mußte auf Geheiß von GM seine 600-Millionen-Dollar-Investition in St. Petersburg 2015 abschreiben. Heute variiert der Markt um 2,6 Millionen verkaufter Einheiten, ist also weiter noch kleiner als Deutschland. Gut ein Viertel sind Importe, zumeist aus Korea und China. Von der Produktion in Rußland stammen zwei Drittel von ausländischen Firmen. Der Marktanteil der mit Bürgschaften, Sonderkrediten, öffentlichen Aufträgen und Steuergeschenken begünstigten russischen Hersteller liegt bei einem Fünftel.

In Rußland arbeiten derzeit etwa 600.000 Menschen in der Branche, und 2017 verließen 1,34 Millionen Pkw und 203.264 Lkw russische Fabriken. Das Land liegt damit im Produktionsniveau hinter Großbritannien und der Türkei und knapp vor dem dem Iran. Das kleine Südkorea kommt hingen auf 4,1 Millionen und Deutschland auf über 5,8 Millionen Pkws, Lkws und Busse.

BMW-Produktion in Königsberg:  www.avtotor.ru/

Volkswagenwerk in Kaluga:  vwgroup.ru/