© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/18 / 19. Oktober 2018

Pankraz,
S. Riley und die Romantik der Trucker

Richtig melancholisch wurde Pankraz zumute, als er bei einer Urlaubsreise in Alberta im dortigen Calgary Herald eine Reportage von Sharon J. Riley las. Die Dame begleitete einen noch recht jungen Lastwagenfahrer (Trucker) auf seiner letzten Fahrt durch die Weiten Kanadas – und mußte von ihm nichts als bittere Klagen anhören. Der Mann hatte seine Entlassungspapiere bereits in der Tasche, obwohl er sich nie etwas habe zuschulden kommen lassen, sogar ein erstklassiger Mitarbeiter gewesen sei, wie die Firma bestätigte. Aber der „technische Fortschritt“ mache die Maßnahme nun einmal nötig, sorry. 

Mehr als 300.000 Trucker hätten noch bis vor kurzem in Kanada gearbeitet, erfuhr Pankraz aus Rileys Reportage, das Truckergewerbe sei jahrzehntelang der zweitgrößte Erwerbszweig des Landes gewesen. Doch mit selbstfahrenden, mit Künstlicher Intelligenz (KI) ausgerüsteten Wagen würden nun diese Arbeitsplätze wegfallen – wenn möglicherweise auch etwas langsamer, als „ihr“ junger Trucker glaube. Die Einsparquote bei den Firmen, die in scharfer Konkurrenz zueinander lägen, sei eben allzu verführerisch, schütze vor ständig drohender Insolvenz. Was will man mehr? 

Und die Trucker stehen mit ihrem Schicksal ja nicht allein! Nach einer Studie des Brookfield Institute for Innovation werden, so Riley, in den nächsten zwanzig Jahren 40 Prozent aller Jobs allein in Kanada der Digitalisierung zum Opfer fallen, Kassierer, Verkäufer … Doch beileibe nicht nur solche Routinejobs sind gefährdet. Der Oxforder Trendforscher Logan Graham prophezeit, daß durch den technischen Fortschritt weltweit auch 140 Millionen sogenannte „Wissensarbeiter“ – Übersetzer, Rechtsberater, auch Ärzte und Krankenschwestern – ihre Arbeit verlieren werden.


Man hat sich mittlerweile an solche dramatischen Zukunftszahlen irgendwie gewöhnt, auch Pankraz beäugt sie seit geraumer Weile mit Fassung. Weshalb jetzt aber seine momentane Melancholie à propos einer simplen Truckerreportage aus Kanada? Liegt es etwa an der romantischen Aura, die derlei Texte umweht, besonders wenn ihr Leser aus dem fernen Deutschland stammt? Lastwagenfahrer für Ferntransporte kreuz und quer durch Kanada – das bedeutet ja meistens schier endlose Fahrt auf guter Straße durch herrliche, gewaltig sich hinstreckende Wälder, Alleinsein mit der Natur, Abenteuer pur.

Zu denken, daß diese Idylle nun bald beendet sein wird, weil nur noch robotergesteuerte KI-Laster durch die Wälder rumpeln, denen es völlig egal ist, ob eine bedachtsame Elchkuh mit ihrem Kälbchen über die Straße eilt oder ein voll ausgewachsener, wilder Grizzlybär sich ausführlich auf ihr zu schaffen macht – dieser Gedanke  tötet jeden Anflug von Romantik vollkommen ab. Da hilft auch der Umstand nicht, daß dem  Truckerberuf selbst und in allen Lebenslagen ein Moment von Romantik innewohnt, der an sich Bestand hat, auch wenn die Wälder sehr viel kleiner und der Betrieb auf der Straße sehr viel größer ist.

Ältere Fernsehkonsumenten werden sich an die ARD-Vorabenderie „Auf Achse“ über die Erlebnisse eines Lastwagenfahrers in Deutschland erinnern, die von 1977 bis 1996 lief, mit Manfred Krug in der Hauptrolle als Trucker. Die Straßen in dieser Serie waren oft überfüllt, statt von Elchen und Bären wimmelte es von überstrapazierten Stop-and-go-Fahrern. Und trotzdem strahlte jeder der Filme eine geradezu herzerwärmende Romantik aus, was gewiß nicht nur an Krugs Schauspielkunst lag.

Was ist überhaupt Romantik?  Rüdiger Safranski versuchte einst, den Begriff  rapide einzuschränken. Romantik, konstatierte  er allen Ernstes, sei eine spezifisch „deutsche Affäre“, verursacht nicht zuletzt durch den während der großen Epoche der deutschen Literatur um 1800 ausbrechenden Streit zwischen den „Klassikern“ Goethe und Schiller auf der einen Seite, den Gebrüdern Schlegel, Ludwig Tieck und Joachim von Arnim auf der anderen. Der Streit war real, doch es ging dabei nie um ein absolutes Entweder-Oder, immer nur um die Frage, wieviel Grundmenge des einen oder des anderen zu einem guten Leben dazugehört.


Als Romantik, wagt Pankraz zu sagen, verstanden und verstehen faktisch alle Menschen stets dasselbe, nämlich die Welt des Unabzählbaren und nicht voll Logifizierbaren. Romantik ist der Aufstand der lebendigen Seelen gegen einen allzu eingeschränkten Vernunftbegriff, die Selbstbehauptung des Subjekts gegen Gleichmacherei und flachköpfiges Spießertum, das bewußte Eintauchen in die unauslotbaren Tiefen der Existenz, in Nacht, Traum, Rätselwesen. Dergleichen kommt zu allen Zeiten bei allen Völkern vor.

Die Romantik des Trucker-Berufs  – so läßt sich formulieren – ist tatsächlich auch in allen anderen Berufen lebendig, sofern es sich bei ihnen nicht um ödes Knöpfedrücken ohne jede eigene Verantwortlichkeit und ohne jede Freude am Gestalten handelt. Die englische Sprache kennt dafür eine drastische Unterscheidung: „to work“ heißt in ihr „richtig arbeiten“, gewissermaßen mit voller Seelenbeteiligung, „to job“ hingegen bloßes, oft unter Zwängen stattfindendes Geldverdienen. Man arbeitet, um wirklich zu leben, aber man „jobbt“, um schlicht zu überleben.

Herkunft und Etymologie des Wortes „Job“ sind ungeklärt; es entstand irgendwann im späten 17. Jahrhundert als Begleitvokabel der sich damals rapide entwickelnden Technik. Die Jobber brauchten keinen besonderen Beruf zu erlernen, sie waren nichts anderes als Bestandteile von Maschinen und wurden zunehmend freigesetzt, je weiter die Maschinen sich verfeinerten und immer komplexer wurden.

Heute nun sind sie dabei, uns die Arbeit nicht nur zu erleichtern, sondern sie uns aus der Hand zu nehmen, körperlich wie geistig. Einen Gefallen tun sie uns damit nicht, letztlich auch den entlassenden Firmen nicht. Richtige Arbeit gehört zu jedem guten Leben dazu, keine „Freizeitbeschäftigung“ kann sie ersetzen, höchstens (schlecht) imitieren.