© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/18 / 19. Oktober 2018

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Eine Bekannte drückte mir kürzlich das bereits 2014 erschienene Buch „Als wir unsterblich waren“ von Charlotte Roth in die Hand mit der Bemerkung, ich solle es lesen, obwohl es sich um einen Frauenroman handele. Die Geschichte bewege sich auf zwei Zeitebenen, die mich interessierten und geschickt miteinander verwoben seien. Der Roman soll zu einem Teil auf der Familiengeschichte der Berliner Autorin basieren. Die beiden Handlungsstränge spielen während der Wiedervereinigung im November/Dezember 1989 und in der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg bis zum Ende der Weimarer Republik. Es geht um den Kampf für Frauen- und Arbeiterrechte, erzählt wird aus sozialdemokratischer Perspektive. Obwohl noch mittendrin in der Lektüre, weiß ich die Lese-Empfehlung bislang zu schätzen. Charlotte Roth, Jahrgang 1965, studierte Literaturwissenschaftlerin, schreibt zwar historisch nicht immer ganz sattelfest – die sogenannten Moabiter Krawalle zwischen streikenden Kohlearbeitern und der Polizei fanden nicht 1912 statt, sondern zwei Jahre früher –, dafür aber ungemein atmosphärisch kompakt.


Michael Klonovskys Diarium verdanke ich den Hinweis auf den Aphorismen-Band „Kleines Handbuch für den Umgang mit Unwissen“ von Nassim Nicholas Taleb. Darin finde ich die schöne Sentenz: „Ein Gelehrter ist jemand, der nicht alles zur Schau stellt, was er weiß; bei Journalisten oder Beratern verhält es sich umgekehrt.“


Seltsame Koinzidenz: Es ist noch nicht lange her, daß ich mich zu „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“ habe überreden lassen (Streifzüge vom 5. Oktober), da begegnet mir das Sujet erneut. Zunächst in besagtem Buch von Charlotte Roth als einem Kapitel vorangestelltes Zitat aus der „Dreigroschenoper“, dann in einer Ankündigung des Berliner Ensembles. Dorthin kehrt das 1928 im Haus am Schiffbauerdamm uraufgeführte Brecht-Stück mit der Musik von Kurt Weill in der Inszenierung von Robert Wilson für sechs Vorstellungen im Dezember zurück. Nach der Premiere im Herbst 2007 überschlugen sich die Kritiker förmlich. Stellvertretend für andere hieß es in der Welt am Sonntag: „Und wir dürfen erregt rufen: Wilsons frappierend zarte, vornehmlich im Piano-Ton kammermusikalisch fein witzig ziselierte sowie elegant expressionistisch und überraschend minimalistisch zelebrierte ‘Dreigroschenoper’ dürfte zum Schönsten, Trefflichsten, Entstaubtesten gehören, das wir je sahen an Produktionen dieses allerorts gegebenen Klassikers.“ Also heißt es jetzt für mich: Karten buchen!