© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/18 / 19. Oktober 2018

Ein Hundepfleger wird zum Wolf
Wo das Gesetz des Stärkeren gilt: Matteo Garrones Kinofilm „Dogman“
Sebastian Hennig

In „Dogman“ erzählt Matteo Garrone von der tödlichen Verbindung zweier Außenseiter. Vor zehn Jahren hatte er sich bereits mit seiner Verfilmung von Roberto Savianos Roman „Gomorrha“ als Fachmann für die dunklen Seiten des sonnigen Südens empfohlen. Auf der Grundlage der Rechercheergebnisse von Savianos Buch hatte Garrone in seinem Film fünf persönliche Lebensgeschichten nebeneinander herlaufen lassen. „Dogman“ handelt von der Entgleisung eines weitgehend redlichen Lebens an den Sperren des ungesunden Milieus. Um zugrunde zu gehen, bedarf es gar nicht des Kraken organisierter Kriminalität. Eine schlechte Gesellschaft, die nur Kumpanei und keine Freundschaft verbindet, ist dafür völlig ausreichend. Der Harmlose wird von ihr darum wertgeschätzt, weil er allen nutzt und niemanden zu seinem Nutzen beansprucht.

Bei den Männern des Ortes ist der Hundefriseur Marcello (Marcello Fonte) aus diesem einfachen Grund recht beliebt. Mit seiner zurückhaltenden Art und seiner geringen Körpergröße stellt er eine personifizierte Schmeichelei für sein Gegenüber dar. Fonte ähnelt mit seinem stets willfährigen und ein wenig ratlosen Lächeln und der fahrigen Haltung einem Buster Keaton. Die Neigung einer von den Menschen abgeschlagenen Existenz zu den Vierbeinern erinnert an Vittorio de Siccas „Umberto D.“, wo der verarmte Rentner mit seinem Hündchen dem sicheren Untergang entgegenspaziert. 

Über die Dienstbereitschaft für fremde Köter ist ihm offensichtlich die eigene Familie abhanden gekommen. Gelegentlich wird ihm seine kleine Tochter Alida (Alida Baldari Calabria) von deren Mutter gebracht. Alida hilft dann dem Papa in der schauerlichen Werkstatt. Manchmal unternehmen sie gemeinsam Tauchgänge im Meer. Nur während dieser lichtgedämpften Ausflüge unter Wasser vermag Marcello so bei sich zu sein wie beim Hegen und Trimmen der Hunde im dämmrigen Salon.

Der Schauplatz der Handlung ist ein süditalienischer Küstenort, der aus einer verrottenden Ansammlung baulicher Häßlichkeit besteht. Inmitten dieser aus der Mode gekommenen Moderne geht jeder seiner verborgenen Leidenschaft nach. Kein touristischer Durchlauf mildert dieses Sieden im eigenen Saft. Wir schauen hinter die Kulissen der Fremdenverkehrsindustrie und erblicken in Europas Süden ein Drittweltland.

Im Ort ist er fortan ein Geächteter

Nicht nur weil Marcello nebenbei Kokain verkauft, zieht es den ehemaligen Boxer Simone (Edoardo Pesce) immer wieder in dessen Laden. Er wittert darüber hinaus einen Nutzen, der ihm von dieser arg- und wehrlosen Seele zufallen könnte. Zuerst muß Marcello bei einem Bruch Schmiere stehen. Kurz danach steigt er dort selber noch einmal ein, um ein Schoßhündchen aus dem Frostfach zu befreien, wo es die hartherzigen Einbrecher arretiert hatten.

Mit Marcellos Loyalität haushälterisch zu sein, liegt der überschäumenden Natur Simones fern. Wie ein überzüchteter Kampfhund vermag er sich vor lauter Kraftüberschuß kaum aufrecht zu halten. Bestien kann Marcello handhaben. Jedoch verfängt die klare Hierarchie, auf die er sich ihnen gegenüber berufen kann, bei Simone nicht, der sich als unberechenbarer erweist als jedes Tier.

Gleich zu Beginn des Films kündet ein bedrohliches Bild das kommende Unheil an. Während Marcello sich an einem Pitbull Terrier abrackert, steht dieser weiße Unhold angekettet in einem Trog und verwehrt sich mit allen Mitteln gegen die ihm zugedachte Reinigung. Als er schließlich den Lappen zu schnappen bekommt, setzt ein groteskes Ringen ein. Mit dem Besenstiel steht Marcello zwar am längeren Hebel, kann aber dennoch wenig ausrichten gegen eine Kreatur, die wie aus einem Muskel ist. Erst unter dem Luftstrahl des Föhns gibt sich das Vieh der Situation hin.

Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß, entspricht auch der Forderung von Simone an Marcello. Der versucht zu vermitteln, als Simone kurzerhand den Spielautomaten mit sich schleppen will, der ihm in kurzer Zeit viel Geld geraubt hat. Genüßlich läßt der Film das Unheil stückweise vom Stapel. Marcello landet an Simones statt im Gefängnis. Im Ort ist er fortan ein Geächteter, weil er als überführt gilt. In dem gleichen ruhigen Lauf, der zuvor seiner stoischen Duldernatur eigen war, verwandelt sich der Hundemann nun in einen Wolf. Wenn einem Menschen mit schier grenzenloser Geduld diese schließlich doch überspannt wird, dann geschieht Unheimliches. In ihren Käfigen schauen die Hunde stumm dem Menschenkampf zu. Da ringt ein Schmächtiger mit einem Golem an Kraft. Und nur die Heimtücke vermag die rohe Gewalt hinzustrecken. 

Mit einigem Wohlwollend ließe sich dem Film die Absicht einer heilsamen Beschwörung der menschlichen Abgründe unterstellen. Schlimmstenfalls kostet der Regisseur den Untergang eines Wehrlosen mit aller filmtechnischen und dramaturgischen Raffinesse aus und stellt sich in seiner Gleichgültigkeit neben die anderen Bewohner des Ortes, die mit dem ersten Anschein eines schlimmen Verdachts von Marcello abrücken. „Dogman“ beinhaltet die Tragödie mangelnder Menschenkenntnis. 

Kinostart am 18. Oktober 2018

 http://www.alamodefilm.de/