© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/18 / 19. Oktober 2018

Die Zukunft der Wale
DNA-Analysen klären über die Evolution und Verwandtschaften der großen Meeressäuger auf
Dieter Menke

Warum heißen die weiblichen Meeresgiganten Walkühe? Dies sei ein Hinweis auf ihre pflanzenfressenden Landverwandten, sagen Evolutionsbiologen. Wale haben sich vor 55 Millionen Jahren von den Paarhufern (Artiodactyla) abgespalten, zu denen auch Giraffen, Rinder, Hirsche und Flußpferde gehören. Vor 32 Millionen Jahren unterteilte sich dann diese eigene Ordnung mit insgesamt 90 Arten in zwei Gruppen: in räuberische Zahnwale (Odontoceti) mit Delphinen, Orcas und Pottwalen, und in Bartenwale (Mysticeti), die im Meerwasser nach Kleintieren und Fischen filtern.

Paarung auch über Artgrenzen hinweg möglich?

Zu sehr viel mehr als zu dieser Erkenntnis hatte es die 200 Jahre alte Walforschung nicht gebracht. Úlfur Árnason fand das schon als Student unbefriedigend, und darum schlug er schon vor vier Jahrzehnten neue Wege ein, um „Wal-Verwandtschaften“ genetisch präziser zu bestimmen. Mit dem Isländer, der 1993 die Evolutionäre Molekulare Systematik an der schwedischen Universität Lund etablierte, taten sich jetzt der Genetiker Axel Jantke (Senckenberg-Forschungszentrum) und dessen Schüler Fritjof Lammers (Uni Münster) zusammen, um mittels in den 1970er Jahren von Walen im Nordatlantik genommenen Gewebeproben – ein Schatz an Zellkulturen, in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad seit Jahrzehnten „frisch“ gehalten – die Populationsgeschichte von acht Furchenwalen (Blau-, Buckel-, Grau- und Finnwal) sowie – zum Vergleich – einem Flußpferd zu rekonstruieren.

„Mit der Analyse der Genomsequenzen konnten wir ein lang ungelöstes Rätsel der Walevolution klären“, resümieren die Forscher ihre Untersuchungen (Senckenberg. Natur – Forschung – Museum, 7-9/18). Der Grauwal war nämlich aufgrund seiner Morphologie einer eigenen Familie und Gattung zugeordnet worden. Ursache dieser Eigentümlichkeit war seine von anderen Furchenwalen abweichende Nahrungsaufnahme. Grauwale filtern ihre Beute nicht aus dem Wasser, sondern nehmen sie vom Meeresboden auf. Die DNA-Analyse zeigt nun, daß die Systematiker sich irrten, als sie für den Grauwal, ebenso wie für den Buckelwal, eine eigene Gattung schufen.

Doch Genomanalysen können noch mehr. Sie weisen einerseits nach, daß Wale sich über Artgrenzen hinweg – wenn auch selten – paaren. Ein Phänomen, das das biologische Artkonzept relativiert, wonach Arten sich nur untereinander fortpflanzen. Und zum anderen ermöglichen sie Einblicke in die genetische Variabilität, die Anpassungsfähigkeit von Arten gegenüber Umweltveränderungen. Und dazu warten Árnason, Jantke und Lammers mit einer Überraschung auf: Vom genetischen Standpunkt aus gesehen haben die wachsenden Populationen der Furchenwale eine aussichtsreiche Zukunft.