© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/18 / 26. Oktober 2018

„Ganz Deutschland blau gefärbt“
Er hat schon alternative Politik gemacht, lange bevor es die AfD gab: Der Politikveteran und hessische Vize-Landeschef Rainer Rahn will die Partei am Sonntag in den letzten noch „fehlenden“ Landtag führen
Moritz Schwarz

Herr Dr. Rahn, Hessen ist das letzte Bundesland, in dem sich die AfD nun erstmals zur Landtagswahl stellt ... 

Rainer Rahn: Da muß ich Sie gleich unterbrechen: Hessen war das erste Land, in dem die AfD zu einer Landtagswahl angetreten ist! Das war im September 2013 am selben Tag wie die Bundestagswahl. Damals sind wir mit 4,1 Prozent knapp an der Fünfprozenthürde gescheitert.

Allerdings ist Ihre Partei inzwischen ins Europäische Parlament, in den Bundestag und fünfzehn Landtage eingezogen. Mal ehrlich, ist die Hessen-Wahl für jemanden außerhalb des Landes noch interessant?

Rahn: Aber sicher, und zwar zum einen, weil Hessen das Ursprungsland er AfD ist – hier wurde die Partei im März 2013 gegründet. Zum anderen, weil mit Hessen der AfD-Siegeszug gekrönt werden wird. Denn keine andere neue Partei, weder die Grünen noch die Linke, hat es je zuvor geschafft, hintereinander weg in alle von Ihnen genannten Parlamente einzuziehen. Das ist historisch! 

Droht sich in Hessen der nur mäßige Erfolg in Bayern zu wiederholen, bei dem die starken Grünen der AfD obendrein die Schau gestohlen haben? 

Rahn: Das kann man nur bedingt vergleichen. In Bayern sind die Grünen auch deshalb so stark, weil die SPD unter zehn und die Linken unter fünf Prozent gelandet sind. Das gesamte linke Lager, mit SPD, Grünen und Linken, kommt dort auf magere dreißig Prozent. 

War es vielleicht der Spitzenkandidat, der der AfD in Bayern gefehlt hat?

Rahn: Das müssen Sie die Bayern fragen. 

In Hessen sind Sie der Spitzenkandidat der AfD. Wäre es für einen Wahlerfolg aber nicht förderlicher, einer der beiden Landesvorsitzenden hätte das übernommen? 

Rahn: Ich glaube nicht, daß dieser Umstand relevant ist, viele Wähler nehmen das noch nicht einmal wahr. Entscheidend ist vielmehr, daß der Spitzenkandidat die Inhalte der Partei überzeugend vermitteln kann. Ich habe mich übrigens keineswegs um diese Position beworben. Aber als sich die beiden Landesvorsitzenden nicht zur Wahl gestellt haben, kam die Partei auf mich zu. Und ich bin für diese Aufgabe ja auch nicht ungeeignet, habe ich doch, anders als die meisten in der AfD, schon mehr als zwölf Jahre parlamentarische Erfahrung. 

Wo haben Sie sich engagiert?

Rahn: Ich bin damals als Betroffener in der Bürgerinitiative gegen den Flughafenausbau aktiv geworden, die 2006 zur Kommunalwahl angetreten ist. Durch die anschließende Arbeit im Frankfurter Römer fand ich dann Freude daran, mich für öffentliche Belange einzusetzen, vor allem in Fragen, die mir besonders am Herzen liegen, nämlich Flughafen, Umwelt, Gesundheit, Bauen und Planung sowie Finanzen.

Zwei Jahre waren Sie auch bei der FDP. 

Rahn: Das wird zwar immer wieder kolportiert, stimmt aber nicht. Bei der folgenden Wahl 2011 verlor unsere Bürgerinitiative leider alle ihre Sitze, außer meinen. Ohne Fraktion aber ist man als Abgeordneter stark eingeschränkt. Also habe ich mich der FDP-Fraktion im Römer angeschlossen. Das hatte allerdings weniger mit einer politischen Nähe zu tun. Im Gegenteil, vielmehr damit, daß sie mir – und man muß sagen, da waren sie wirklich vorbildliche Liberale – ermöglicht haben, frei von ihrer eigenen politischen Haltung zu agieren, was bei den anderen Fraktionen nicht drin gewesen wäre. Nach zwei Jahren haben dann aber ein Grauer Panther, ein ausgetretener Sozialdemokrat und ich eine unabhängige Fraktionsgemeinschaft gebildet.

Warum sind Sie nie einer der etablierten Parteien beigetreten?

Rahn: Weil mich keine Partei je wirklich überzeugt hat. Bis ich im März 2013 auf die AfD gestoßen und Mitglied geworden bin und den Kreisverband Frankfurt und Landesverband Hessen mitgegründet habe. Heute möchte ich mich nicht nur kommunal, sondern auch für das Land politisch einbringen. Und ich habe sowohl das Kommunal- wie auch das Landesprogramm der AfD mitgestaltet.

Warum die AfD? 

Rahn: Der konkrete Anlaß war die Eurokrise, aber die Partei entspricht mir auch insgesamt, weil ich mich als bürgerlich-konservativ betrachte. Obwohl ich zuvor ein Wechselwähler war und von der Union über die SPD, Grüne und Linke fast alle Parteien schon mal gewählt habe – je nach dem momentan überzeugendsten Problemlösungs-angebot. 

Macht Ihnen als Bürgerlichem das schlechte Image der Partei Sorgen? 

Rahn: Natürlich, wobei daran vor allem die Medien schuld haben, die Äußerungen von AfD-Politikern in besonderer Weise skandalisieren. Nehmen Sie etwa die Aufregung um die Worte „jagen“ oder „entsorgen“, die auch Politiker anderer Parteien schon verwendet haben. 

Also keine Fehler von seiten der Partei? 

Rahn: Doch, es gibt bei uns schon auch einzelne, die sich in einer Art und Weise äußern, die nicht hilfreich ist oder die tatsächlich einem Spektrum jenseits des Bürgerlichen angehören. Insgesamt aber – zumindest soweit ich das beurteilen kann, also mindestens mit Blick auf den Landesverband Hessen – ist die AfD eine durch und durch bürgerliche Partei, mit Positionen, wie sie die Union vor zwanzig, dreißig Jahren vertreten hat.

Schadet Ihnen das schlechte Image im Wahlkampf? 

Rahn: Aber sicher! Das bekomme ich auf der Straße immer wieder zu hören – daß Wähler uns ihrer grundsätzlichen Sympathie versichern, aber meinen, es wegen dieses oder jenen Eklats dennoch nicht verantworten zu können, uns ihre Stimme zu geben. Fragen Sie mich nicht, wieviel Prozent uns das kostet, das kann ich nicht beurteilen – aber ganz sicher ist, daß nicht wenige Wähler so denken.  

Welches Thema wird die Wahl entscheiden? 

Rahn: Weder gibt es da in Hessen ein spezielles noch gar ein landesspezifisches Thema. Vielmehr sind es die üblichen Probleme, die die etablierte Politik überall in Deutschland hat entstehen lassen: Bildung, Infrastruktur, Verkehr, Wohnen, Innere Sicherheit und natürlich Einwanderung und Integration.

Wieviel Prozent holen Sie am Sonntag?

Rahn: Ich bitte Sie um Verständnis, aber solche Fragen sind für mich Kaffeesatzleserei, und daran beteilige ich mich nicht. 

In der jüngsten Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen liegen Sie bei zwölf Prozent. Rechnen Sie mit mehr oder weniger? 

Rahn: Ich muß Ihnen ehrlich sagen, daß mich Umfragen nicht interessieren, weil sie in der Regel viel zu ungenau sind und so oft danebenliegen. Deshalb werden Sie von mir keine Zahl hören. Ich halte alles andere für unseriös.

Oder haben Sie Angst, danebenzuliegen?

Rahn: Nein, Sie müssen meine Gründe schon respektieren, wenn ich sie Ihnen nenne. Aber ich kann Ihnen sagen, was ich als unser taktisches Ziel betrachte: möglichst die Grünen zu überholen. 

Die sind nach der Bayernwahl von 18 auf 22 Prozent hochgeschnellt. Ist das nicht völlig unrealistisch? 

Rahn: Ich sage, daß das unser Ziel ist, aber nicht, daß wir es erreichen werden. Doch wir kämpfen darum, ihm so nahe wie möglich zu kommen. 

Was, wenn Sie wie die Bayern merklich hinter den Erwartungen zurückbleiben?

Rahn: Ich glaube nicht, daß es so kommt, aber natürlich ist das überhaupt nicht auszuschließen. Dies ist schließlich eine Wahl, und da ist grundsätzlich alles möglich, und deshalb bin ich auch auf alles gefaßt – auch auf das, von dem ich weniger glaube, daß es eintritt. 

Wer wird die neue Fraktion führen?

Rahn: Der, der von ihr gewählt wird. 

Und werden Sie das sein?

Rahn: Ich weiß es nicht.

Welchen Sinn hat ein Spitzenkandidat, der hinterher weder die Partei noch die Fraktion führt – sprich, der wieder in der Versenkung verschwindet?

Rahn: Ich verschwinde ja nicht, sondern bin im Landtag, und ich werde wohl für das Amt kandidieren. Aber die AfD ist zum Glück eine überaus demokratische Partei und niemand kann voraussehen, für wen sich die Kollegen entscheiden werden. Es gilt, sein Bestes zu geben und ansonsten das Votum der Fraktion anzunehmen, gleich wie es ausfällt. 

Können Sie erklären, warum gerade die ehemals als besonders konservativ geltende Hessen-CDU – Stichwort: Dregger, Kanther, Koch – nun mit den Grünen koaliert? 

Rahn: Weil es ihr nur noch um den  Machterhalt geht. Das ist heute das einzige wirkliche Interesse dieser Partei. Sicher, angesichts ihres früheren Rufs mag es noch ein wenig überraschender erscheinen, als in anderen Bundesländern, wenn die hiesige Union so ganz problemlos mit den Grünen geht. Und Alexander Gauland erzählt auch immer wieder, wie vor Jahrzehnten er und Volker Bouffier gemeinsam unter dem damaligen Ministerpäsidenten Walter Wallmann Staatssekretäre waren und Bouffier damals als der „Schwarze Sheriff“ galt – wovon heute wirklich nichts mehr übrig ist. Bouffier will in Hessen das gleiche wie Merkel in Berlin – regieren, egal mit wem und wofür.

Im Bund hat die AfD mit 16 Prozent die SPD mit 14 Prozent inzwischen überholt. In Hessen dagegen rangiert letztere mit 20 Prozent weit vor Ihnen. Warum sind die Sozialdemokraten bei Ihnen noch so stark?

Rahn: Bedenken Sie, daß Hessen traditionell eine sozialdemokratische Domäne ist. Hier war die SPD bis 1999 ein halbes Jahrhundert lang – mit einem vierjährigen Intermezzo unter Walter Wallmann – zum Teil sogar mit absoluter Mehrheit und in Alleinregierung an der Macht. So gesehen ist die Hessen-SPD alles andere als stark, sondern höchstens noch stärker als in manch anderem Bundesland. Insgesamt aber ist sie hier ebenso im Niedergang wie anderswo. 

Erleben Sie den Wahlkampf als fair? 

Rahn: Nein, aber das sind wir leider nicht anders gewohnt. Es ist natürlich völlig in Ordnung, wenn Leute gegen uns demonstrieren. Aber dabei bleibt es oft nicht, sondern es wird massiv versucht, unsere Veranstaltungen zu stören, ja zu verhindern. Es beginnt damit, daß wir große Probleme haben, überhaupt noch Räumlichkeiten zu bekommen, weil allen, die bereit sind, uns zu beherbergen, Boykott, Einschüchterung oder gar Terror droht. Noch schlimmer aber ist die Gewalt gegen unsere Wahlkampfstände, ja immer wieder sogar gegen unsere Wahlkämpfer selbst. Inzwischen haben wir regelmäßig Leichtverletzte zu beklagen. Dazu kommen teils massive Angriffe gegen Hab und Gut unserer Funktionäre, deren Auto etwa in Brand gesetzt wird oder deren Hauswände übel beschmiert oder die Fenster eingeworfen werden – was allerdings kein spezielles Phänomen des Wahlkampfes ist. Am schlimmsten finde ich jedoch, daß sich die gewalttätigen Attacken sogar gegen Bürger richten, die unsere Veranstaltungen besuchen wollen. Selbst gegen solche, die uns vielleicht gar nicht wählen, sondern sich die AfD nur selbst mal ansehen möchten, oder solche, die noch unentschieden sind und von ihrem demokratischen Recht Gebrauch machen, sich zu informieren. Und schaut man sich an, wer die Veranstalter der Demonstrationen sind, in deren Verlauf es – nicht immer, aber immer wieder – zu Attacken auf uns oder unsere Besucher kommt, dann finden Sie da die Grünen, die SPD oder den DGB und viele andere etablierte gesellschaftliche Institutionen. 

Grüne, SPD, DGB und andere würden sich allerdings dagegen verwahren, daß Sie sie in Zusammenhang mit Gewalt bringen. 

Rahn: Das mag sein, aber hören Sie denen doch einmal zu. Es ist nicht übertrieben, festzustellen, daß unsere politischen Gegner, ebenso wie Teile der Medien, den Haß gegen uns schüren.  Natürlich rufen sie nicht offen zu Übergriffen auf, aber sie sorgen für ein entsprechendes enthemmendes Hintergrundrauschen. 

Empört Sie das?

Rahn: Nein, weil das müßig wäre. Allerdings erlebe ich immer wieder Bürger, die mir sagen, sie fühlten wegen des offensichtlich unfairen Verhaltens gegenüber uns geradezu an unsere Seite gedrängt. Unsere Gegner glauben, daß sie damit Bürger von uns fernhalten. Das mag in manchen Fällen stimmen, aber ich beobachte, daß die Empörung über die Ungerechtigkeit uns unter dem Strich mehr Sympathisanten und Anhänger bringt. Übrigens würden wir unsererseits niemals gegen eine Veranstaltung unserer politischen Gegner vorgehen, ja wir demonstrieren nicht mal gegen diese, denn natürlich ist es deren gutes Recht, sich zu versammeln und für ihre politischen Überzeugungen zu werben. 

Wie geht die Landtagswahl am Sonntag aus, wie geht es danach in Hessen weiter?

Rahn: Ich habe schon gesagt, daß ich keine Kaffeesatzleserei betreibe. Aber zweifellos wird uns der Einzug gelingen und damit dann die ganze Deutschlandkarte blau gefärbt sein, was es, wie gesagt, so vorher noch nie gegeben hat. Das ist ein Zeichen für eine tiefgreifende Veränderung der politischen Landschaft in Deutschland, die mit Hessen nicht endet, sondern die vielmehr erst begonnen hat.      






Dr. Dr. Rainer Rahn, ist stellvertretender Landesvorsitzender und Spitzenkandidat der hessischen AfD sowie ihr Fraktionschef im Frankfurter Römer. Der Allgemein- und Zahnmediziner mit der Fachrichtung Kieferchirurgie, der 1952 in Karlsruhe geboren wurde, lebt seit 56 Jahren in Hessen.

Foto: Spitzenkandidat Rahn: „Der Einzug in Hessen krönt den AfD-Siegeszug. Keine andere neue Partei ist je hintereinander in den Bundestag und alle Landtage eingezogen. Das ist historisch“ 

 

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