© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/18 / 26. Oktober 2018

„Die gehören in den Knast“
Rechtsausschuß: AfD will Strafverfahren beschleunigen und Abschiebung erleichtern
Jörg Kürschner

Nach über 30 Jahren als Staatsanwalt und schließlich Leitender Oberstaatsanwalt in Berlin ist sich Roman Reusch sicher: „Die allermeisten Menschen sind strafempfindlich“, scheuten Knastjahre. Und weil er seine Berufserfahrungen in die Politik einbringen wollte, sitzt er seit Herbst 2017 für die AfD im Bundestag, dem er jetzt einen umfangreichen Gesetzentwurf zur Verbesserung der inneren Sicherheit präsentiert hat. 

Um es gleich vorweg zu sagen, die Drucksache 19/5040 hat es in sich. Auf 45 Seiten geht es um zusätzliche Haftgründe und Straftatbestände sowie um eine erleichterte Abschiebung ausländischer Straftäter und beschleunigte Gerichtsverfahren. Von einer „Schande für das Hohe Haus“ war während der ersten Lesung des Entwurfs im Bundestag die Rede, die SPD sah gar einen „Abgrund des Rassismus“, dem der AfD-Politiker Vorschub leiste.

„Der Rechtsstaat wird mit       den Clans nicht fertig“

Der Jurist macht aus seiner Überzeugung kein Hehl, der wachsenden Kriminalität insbesondere mittels härterer Strafen und kürzerer Verfahren begegnen zu wollen. „Die strafrechtlichen Änderungen werden den Abschreckungseffekt der Strafe deutlich erhöhen“, heißt es in dem Gesetzesentwurf. Die geltenden Gesetze entsprächen oft nicht mehr der veränderten Lebenswirklichkeit, betonte Reusch im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. So habe die sozialliberale Koalition 1974 dafür gesorgt, daß die öffentliche Begehung des Raubes nicht mehr als schwerer Fall mit erhöhter Strafe bedroht wird. Doch mit Beginn der Massenmigration hätten Delikte wie der Diebstahl von Bargeld oder Handys zugenommen, deshalb will Reusch die Mindeststrafe erhöhen. Zugleich brauche es einen weiteren Haftgrund, damit die Polizei die Täter nicht laufen lassen müsse. „Straßenräuber und Messerstecher gehören in den Knast.“ 

Auf heftige Kritik im Bundestag stieß Reuschs Forderung, die Revision durch eine Annahmeberufung zu ersetzen. Vor einer Verletzung der grundgesetzlich geschützten Rechtsweggarantie warnte etwa der CDU-Parlamentarier Axel Müller. „Das heißt also, ich kann ein Urteil unter Umständen, wenn ich zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden bin, nicht überprüfen“. „Völliger Unsinn“, entgegnete Reusch später im Gespräch. Die zeitintensive Revision sei eine „irrsinnige Zumutung“ etwa für Vergewaltigungsopfer. „Ich habe das oft genug erlebt“, hielt der AfD-Politiker seinen Kritikern vor. 

Vehement lehnten diese auch Reuschs Plädoyer für Strafmündigkeit bereits mit Beginn der Volljährigkeit und gegen die geltende Strafmilderung für Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren ab. Deren geistige Reife und Verständnisfähigkeit müsse geprüft werden, erwiderte der Linken-Bundestagsabgeordnete Friedrich Straetmanns. Schließlich sei das Strafrecht die Ultima ratio staatlichen Handelns. Beim Thema Jugendstrafrecht stieß Reusch immerhin auf ein gewisses Verständnis der CDU. Der Abgeordnete Patrick Sensburg räumte ein, in der Regel würden die Gerichte ohne Prüfung unterstellen, daß Heranwachsende die Tragweite ihres Handelns nicht erkennen würden und das mildere Jugendstrafrecht anwenden. Er kündigte eine Initiative der Union an und forderte die AfD auf, diese zu unterstützen.

Bei dieser Annäherung blieb es aber während der einstündigen Debatte, die sich besonders am Begriff „Staatenlosigkeit“ entzweite. Staatenlosigkeit? Nach Ansicht der AfD sollen Ausländer ihre deutsche Staatsbürgerschaft wieder verlieren, wenn sie innerhalb von zehn Jahren „in erheblicher Weise“ straffällig werden. Das sei ein „Sonderrecht für Ausländer“, empörte sich der FDP-Abgeordnete Jürgen Martens, das gegen mindestens fünf völkerrechtliche Verträge verstoße. Reusch gibt sich ungerührt. Verträge könnten gekündigt werden, der Straftäter müsse seine Staatenlosigkeit einkalkulieren, betonte er gegenüber der JF. Ohne Grundgesetzänderung, die eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat voraussetzt, geht es allerdings nicht.

Als Aufreger-Thema erwies sich auch der Vorschlag der AfD, straffällig gewordene Asylbewerber, die zu einer mindestens einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sind und nicht abgeschoben werden können, zur Haftverbüßung in Drittstaaten zu bringen. Reusch denkt an Vereinbarungen mit „stan“-Ländern wie Kasachstan oder Turkmenistan, die allerdings eine menschenwürdige Behandlung der Häftlinge zusagen müßten. Reusch will mit dieser rigiden Regelung Ausländer dazu bringen, freiwillig in ihr Heimatland auszureisen. Eine eher theoretische Diskussion, räumt der Jurist ein, doch will er mit seinen tiefgreifenden Vorschlägen Denkanstöße geben, auch wenn der Rechtsausschuß diese ablehnen wird. „Das erinnert uns doch sehr stark an Guantánamo oder gar an den Madagaskar-Plan der Nazis“, meinte dann auch die Linken-Parlamentarierin Gökay Akbulut.

Und ein weiteres Reizwort hat die Parlamentarier beschäftigt: Sippenhaftung. Reusch will kriminellen, meist arabischen Clans das Handwerk legen. So soll die Einbürgerung von Angehörigen erschwert werden, wenn deren Familie bereits verstärkt kriminell in Erscheinung getreten ist. Seine Partei habe dafür gekämpft, daß es kein Sonderrecht für Juden gebe, erregte sich der SPD-Politiker Helge Lindh. Reusch will zur Abschreckung sogar eine öffentliche, beim Bundesinnenministerium geführte Liste von kriminellen Clan-Familien anlegen lassen. „Der Rechtsstaat wird mit den Clans nicht fertig.“ Vielleicht auch deshalb, weil seine gängige Einschätzung, Menschen seien strafempfindlich, bei Clan-Mitgliedern nicht gelte. „Für viele ist es eine Ehre, für die Familie in den Knast zu gehen.“