© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/18 / 26. Oktober 2018

Jenseits von Ahle Wurst und Äppelwoi
Landtagswahl: Hessens einst konservative CDU bekommt Konkurrenz / JF-Reporter unterwegs mit Wahlkämpfern zu Lande und zu Wasser
Hinrich Rohbohm

Endspurt im hessischen Landtagswahlkampf. Es ist Samstag, eine Woche vor dem Urnengang. Auf dem Fuldaer Universitätsplatz haben die Parteien ihre Infostände aufgebaut. Nicht irgendeine Abstimmung steht bevor. Gerade für die einstmals großen Volksparteien steht nach ihren hohen Verlusten in Bayern viel auf dem Spiel. 

Sollte die Union in Hessen ein ähnlich schwaches Ergebnis einfahren und sogar ihre Regierungsmehrheit verlieren, ist nicht auszuschließen, daß Angela Merkels Tage als Parteivorsitzende gezählt sein könnten. Ähnliches dürfte für die SPD gelten. Sollte sie am kommenden Sonntag ein erneutes Desaster erleben, wird es auch für deren Parteichefin Andrea Nahles eng.

Entsprechend aufmunitioniert gestaltet sich der Wahlkampf in Hessen. Insbesondere in der CDU-Hochburg Fulda. Die Bundeskanzlerin kommt in den Wahlkreis; ihr Kanzleramtsminister Helge Braun, ebenso Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Und auch der neue CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus hat sich angekündigt. Eine Anzahl an prominenten Unionspolitikern, auf die so manch anderer CDU-Kreis-Chef mit Neid blicken dürfte. Das unterstreicht nur, wie wichtig diese Wahl für die Berliner Parteiführung ist.

Auf dem Land muß der    Kandidat Präsenz zeigen

„Dann will ich mal die Junge Union begrüßen“, ertönt eine bekannte Stimme am Infostand der Fuldaer CDU. Nicht die des örtlichen Landtagskandidaten Markus Meysner. Auch nicht die eines anderen CDU-Politikers. Es ist Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel, der als Prominenter für seine Partei in die Domstadt gekommen ist.

„Ich war mal 24 Stunden in der Jungen Union“, erzählt er. Auf einer Feier sei er eingetreten. Das Problem: Damals war er bereits für die SPD niedersächsischer Ministerpräsident. „Die JU und ich, wir fanden’s spaßig, aber beide Seiten, sowohl CDU als auch SPD fanden das gar nicht witzig“, schmunzelt er. Gelächter am CDU-Stand, bevor es Gabriel dann doch zu heikel wird und er sich in Richtung der Sozialdemokraten begibt. 

Unterdessen telefoniert der JU-Kreisvorsitzende Benedikt Stock mit seinem CDU-Landtagskandidaten Markus Meysner. „Wann kommst du?“ fragt er. Meysner ist noch auf anderen Infoständen in seinem Wahlkreis unterwegs. „Etwa gegen zwölf Uhr bin ich da“, kündigt er an. Eine Stunde danach eilt er schon zum nächsten Termin, eine Baumpflanzaktion in einem der Fuldaer Nachbarorte. Abends hat die Junge Union eine Kneipentour mit ihm in dem 2.000-Einwohner-Ort Hofbieber organisiert. Ein Bier vor der Bäckerei, eines in der Pizzeria, Bier und Tomatensüppchen in einem bürgerlich-deutschen Restaurant. Später Einkehr in einer urigen Kneipe mit runder Holztheke, Holzkreuz an der Wand sowie einem Raucherkeller mit Dartscheibe und künstlichem Kaminfeuer. 

Es geht ums Gesehenwerden. „Hier im ländlichen Raum wird sehr genau registriert, ob der Kandidat auch präsent ist“, sagt Markus Meysner im Kreise der JU. Der 52jährige ist seit 2013 Landtagsabgeordneter, vertritt den Wahlkreis Fulda II. Eine Hochburg der Christdemokraten. Meysner ist hier geboren und aufgewachsen, absolvierte sein Studium zum Diplom-Verwaltungswirt, begann eine Beamtenlaufbahn in der Gemeinde Petersberg. 1996 tritt er in die Partei ein. Nur wenige Jahre später wird er gefragt, ob er Bürgermeister von Tann werden möchte, einem kleinen Städtchen im Fuldaer Landkreis. Meysner will, gewinnt 2001 die Wahl und entreißt der SPD nach zwölf Jahren das Bürgermeisteramt. 

Zwölf Jahre später zieht er mit 60,7 Prozent als Direktkandidat in den Hessischen Landtag ein. Es ist das landesweit beste Ergebnis für seine Partei. Im Parlament gehört er zu den „Galloleros“, wie er sagt. Ein Zirkel von Abgeordneten, der sich regelmäßig in der Landtagskantine zum Hühnchenessen trifft und dazu das Rhöner Landbier „Schwarzer Hahn“ trinkt. Bis zu 30 Abgeordnete sind dabei, auch schon mal der eine oder andere Minister. Eine Art der Zusammenkunft, bei der eben auch Landespolitik gemacht wird. Mit der ist Markus Meysner in Hessen zufrieden. „Die Grünen halten sich an die Koalitionsdisziplin.“ Er erinnert sich noch, wie die CDU im Landtag die Homo-Ehe ablehnte und die Grünen als Regierungspartner mitziehen mußten. „Die hatten Tränen in den Augen.“ Wenig erfreut zeigt er sich über die Bundespolitik. „Wir müssen in Hessen ausbaden, was in Berlin schiefläuft“, klagt Meysner, der in Fulda auch CDU-Kreisvorsitzender ist. Mit über 3.000 Mitgliedern ist sein Verband der größte in der Hessen-CDU. 

Fulda gilt seit jeher als konservative Hochburg. Es ist der Heimatkreis des einstigen CDU-Fraktionsvorsitzenden Alfred Dregger. Meysner zeigt der JU Fotos von Dregger und seinem Großvater, als beide in den siebziger Jahren noch zusammen mit ihren Pferden ausgeritten waren. Heute, in Zeiten einer schwarz-grünen Koalition, haben es Konservative in der einst „rechten“ Hessen-Union besonders schwer, gelten der Parteiführung eher als Belastung. Das könnte sich nach der Landtagswahl ändern. 

Denn gerade konservative Wähler hat der Linksschwenk der Partei verprellt. Mit der AfD steht nun seit einigen Jahren eine Alternative zur Wahl, die sich am Sonntag endgültig im deutschen Parteiensystem etablieren könnte. Hessen ist das letzte Bundesland, in dem sie bisher noch nicht im Landesparlament vertreten ist. Der Einzug aber – mit einem zweistelligen Ergebnis – gilt als sicher.

„Wir sind eine Gefahr –    für das CDU-Ergebnis“

Volker Bouffier hatte die AfD während einer Plenarsitzung als Gefahr für die Demokratie bezeichnet. „Ja, wir sind eine Gefahr, aber ausschließlich für das Wahlergebnis der CDU“, ruft Robert Lambrou an Bord der „Rhein Star“ seinen etwa hundert Zuhörern entgegen. Der hessische AfD-Chef ist ganz in seinem Element. „Wir werden den arroganten Altparteien eine Niederlage bereiten, und zwar die Mutter aller Niederlagen.“ Gelächter unter den Passagieren. Die AfD hat sich zu Wahlkampfzwecken ein Schiff gechartert und an den Seitenwänden große blaue Transparente befestigt. „Hessen. Aber sicher!“, steht mit AfD-Logo versehen darauf. Damit schippert sie zwischen Rüdesheim und Wiesbaden den Rhein auf und ab. 

Auch hier geht es um das Gesehenwerden. Reaktionen bleiben nicht aus. Winkende Fahrgäste am Ufer und auf vorbeifahrenden Schiffen. Andere zeigen der AfD den Stinkefinger. „Sch... AfD“, schreit jemand, als das Schiff in Wiesbaden anlegt. „Wir haben dich auch lieb“, entgegnet einer der Passagiere. 

Robert Lambrou gehört zu den ruhigen und besonnenen Köpfen der Partei, gilt als umgänglicher Typ. Der 50 Jahre alte Diplom-Kaufmann mit griechischen Wurzeln hatte in den achtziger Jahren noch die Grünen gewählt, war zu Beginn der Neunziger sogar der SPD beigetreten. „Wegen Willy Brandt“, sagt er. Dessen Satz zur deutschen Einheit „Nun wächst zusammen, was zusammen gehört“ habe ihn tief bewegt. Eineinhalb Jahre hält er es in der SPD aus. Dann sagt er der Partei wieder adieu. 

Auslöser ist ein Kreisparteitag der SPD in Münster gewesen, den Lambrou besuchte. Er erlebt Kandidaten, die per Blockwahl und ohne Vorstellung in Parteiämter gewählt werden. Für ihn ein Anlaß, die Wahl zu boykottieren. „Kann die Kandidaten nicht wählen, weil sich keiner vorgestellt hat“, schreibt er auf seinen Wahlzettel. „Plötzlich lief dann einer zum Versammlungsleiter und flüsterte ihm etwas zu“, erinnert sich der 50jährige. „Wir haben hier einen, der schreibt andauernd auf den Wahlzettel ‘Kann nicht wählen, weil sich keiner vorgestellt hat’“, verkündet der Versammlungsleiter. 

„Da brach ein regelrechter Shitstorm los“, erzählt Lambrou. „Wer ist das? Das ist unmöglich. Schweinerei“, hatten Parteimitglieder gerufen, bis der Versammlungsleiter öffentlich einräumen mußte, daß der anonyme Schreiber recht hatte. „Da brach dann über den Versammlungsleiter eine Empörungswelle hinweg. Und da sagte ich mir dann, das war’s.“

Bis 2011 wählt er die Sozialdemokraten, dann bleibt er zum ersten Mal der Wahlurne fern. Als sich im März 2013 in Oberursel mit der AfD eine eurokritische Partei formiert, denkt er nur: „Endlich.“ Lambrou ist unter den 1.300 Zuhörern, die gekommen waren. Den Mitgliedsantrag bereits ausgefüllt in der Tasche. „Ich wollte mich nur noch vergewissern, ob die Partei bürgerlich genug ist.“ Für ihn war sie es. Seinen Antrag gibt er einer Frau mit kurzen schwarzen Haaren. „Die stand da etwas abseits von dem Trubel um Bernd Lucke.“ Eine Dame mit Namen Frauke Petry. 

Wenige Jahre später wird er in den Stadtrat von Wiesbaden gewählt. Er gibt seinen Job auf und wird hauptamtlicher Geschäftsführer der AfD-Stadtratsfraktion. Demnächst dürfte er auch dem Hessischen Landtag angehören. „Wenn ich etwas mache, dann voll und ganz“, erklärt er, auch Gehaltseinbußen für sein neues Politikerleben in Kauf zu nehmen. Weite Wege werden ihm erspart bleiben. Der Landtag liegt gleich gegenüber dem Wiesbadener Rathaus.