© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/18 / 26. Oktober 2018

Ruf des Reformators in Gefahr
Saudi-Arabien: Die Ermordung Jamal Khashoggis entsetzt nicht nur die mit Riad verbündete US-Regierung, sie wandelt auch den Blick auf Kronprinz Salmans Politikstil
Marc Zoellner

Für das Wohl seiner Gäste ließ sich das saudische Könighaus nicht lumpen: Allein in den vergangenen drei Jahren, enthüllte der britische Guardian am vergangenen Wochenende, hatte die devisenreiche Petromonarchie gleich Dutzende Abgeordnete sowohl der regierenden Tories als auch der oppositionellen Labour Party in ihr Land geladen. Der Kostenaufwand, finanziert von Saudi-Arabiens jungem Kronprinzen Mohammed bin Salman, soll bei weit über 200.000 Pfund, umgerechnet rund 230.000 Euro, gelegen haben. 

Riad spricht von „großem Fehler“

Der Zweck dieser üppigen Präsente ist unschwer zu erraten: Seit seiner Ernennung zum Nachfolger des altersschwachen Salman ibn Abd al-Aziz im Juni 2017 arbeitet bin Salman innen- wie außenpolitisch mit geradezu revolutionärem Elan an seinem Ruf als Reformator des absolutistischen Königreichs. 

Er söhnte sich mit Israel aus, beschnitt die Befugnisse der Religionspolizei, gewährte Frauen das Recht, Auto zu fahren, und verkündete zuletzt mit der Präsentation „Neoms“, einer 500 Milliarden US-Dollar teuren Modellstadt am Roten Meer, die Öffnung seines Landes für westliche Touristen und Investoren (JF 4/18). Doch zunichte könnte sein, was bin Salman bislang aufzubauen gelang; spätestens seit dem Tod von Jamal Khashoggi, dessen Ermordung jüngst für weltweites Entsetzen sorgte.

„Es ist die Geschichte eines Mannes, der in die saudische Herrscherfamilie, die wie die Mafia agiert, verwickelt wurde“, berichtet John Bradley, langjähriger journalistischer Weggefährte Khashoggis bei diversen arabischen Medienunternehmen, im britischen Spectator. 

Am 2. Oktober hatte der 59jährige, der seit Mitte 2017 im Exil in den USA und der Türkei lebte, das saudische Konsulat in Istanbul betreten, um sich eine Scheidungsurkunde ausstellen zu lassen. Seine Verlobte, die türkische Journalistin Hatice Cengiz, wartete indessen vor dem Eingang zum Gelände. Doch Khashoggi kehrte nicht zurück.

Eine Woche später verkündeten türkische Medien unter Berufung auf Ermittlungsergebnisse der Polizei die Ermordung Khashoggis. Ein saudisches Sonderkommando, bestehend aus fünfzehn Auftragsmördern, sei am Tag des Verschwindens Khashoggis mit einem Privatjet in Istanbul gelandet und in derselben Nacht wieder abgereist. Das Kommando, so der türkische Präsident   Recep T. Erdogan, habe Khashoggi „bestialisch ermordet“ und die Leichenteile verschwinden lassen. 

Bis zuletzt wurde Riad nicht müde, den Vorfall zu bestreiten. „Wo es keine Leiche gibt, gibt es auch kein Verbrechen“, erklärte ein Regierungsmitarbeiter.  

Doch seit vergangenem Wochenende rollen auch in Riad Köpfe – Mohammed bin Salman, dessen Generalstaatsanwalt in der Nacht zum Samstag die Tötung Khashoggis bestätigte, entließ einen engen Berater sowie den stellvertretenden Geheimdienstchef. Achtzehn Verdächtige wurden vorläufig festgenommen. Ein saudischer Luftwaffenleutnant, der sich zum Zeitpunkt der Tat im Istanbuler Konsulat aufgehalten hatte, starb in Riad während eines Autounfalls. 

Der saudische Außenminister Adel al-Jubeir erklärte gegenüber Fox-News, daß Khashoggi einer „kriminellen“ Tat zum Opfer fiel, die von Personen verübt wurde, die „außerhalb ihrer Befugnisse“ tätig gewesen seien. „Es wurde offensichtlich ein großer Fehler gemacht, und der Fehler wurde verschwiegen. Das ist in keiner Regierung akzeptabel“, erklärte der ehemalige Botschafter in den USA und bezeichnete das Töten als „Verirrung“, die nicht zum Verhalten der saudischen Regierung passe.

Ein fundamentaler Kritiker war Khashoggi nie 

Scheint der Tathergang mittlerweile Aufklärung zu finden, so liegen die Motive noch immer im dunkeln: Ein fundamentaler Kritiker des Riader Königshauses war der Journalist, der sich zeitweise gar als außenpolitischer Berater Riads in Washington verdingte, nämlich keineswegs. „Ich sehe mich nicht als Oppositionellen“, erklärte Khashoggi noch im August im Interview mit seiner israelischen Kollegin Rula Jebreal. „Ich rufe nicht zum Umsturz der Regierung auf. Ich möchte ihr nur sagen, daß sie aufhören sollen, nutzlose Mammutprojekte zu planen, um stattdessen lieber einen Blick auf die Armenviertel von Dschidda und Riad, auf die armen Menschen dort zu werfen.“

Es sind tiefgreifende Reformen, die Mohammed bin Salman tatsächlich scheut: Denn auch eine Fahrerlaubnis für Frauen kann nicht über den Umstand hinwegtäuschen, daß es in Saudi-Arabien keine freien Wahlen, keine freien Medien und keine faire Gerichtsbarkeit gibt – und daß derartige Rechte vom „jungen Reformer“ bin Salman auch gar nicht gewünscht sind. Noch immer rangiert das Königreich in der Rangliste der Pressefreiheit der Reporter ohne Grenzen (RSF) auf Platz 169 von 180 erfaßten Ländern. 

Seit dem Beginn des Arabischen Frühlings 2011 ist Riad bestrebt, insbesondere den politischen Aufstieg der Moslembrüder in ihrer regionalen Nachbarschaft zu unterbinden; und ebenso von Medien wie dem katarischen Nachrichtensender Al Jazeera, die diese Bewegung begünstigen. Seine nie geleugneten Sympathien zur Moslembruderschaft könnten Khashoggi letzten Endes zum Verhängnis geworden sein. 

Indes könnte die Ermordung Kha-shoggis bin Salman nicht nur seinen hart erstrittenen Ruf kosten, sondern Riad auch bares Geld: „Unbestreitbar gibt es Täuschung und Lüge“, erklärte US-Präsident Donald Trump nach einer fruchtlos verlaufenen Krisenreise seines Außenministers Mike Pompeo nach Riad. Wie dessen französische und niederländische Amtskollegen zog auch US-Finanzminister Steven Mnuchin seine Zusage zur Teilnahme am Wirtschaftsgipfel „Future Investment Initiative“ in Riad zurück – und ebenso die eingeladenen Vertreter der US-Rüstungsindustrie.