© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/18 / 26. Oktober 2018

Der Dexit ist möglich
Brüssel: Hochkarätige Konferenz diskutiert Austritt aus der Eurozone
Christian Dorn

Strahlender Sonnenschein. Vor dem Eingang „Altiero Spinelli“ des Brüsseler EU-Parlaments sammelt sich eine Jugendgruppe zum „Internationalen Tag für die Beseitigung der Armut“. Wenige Meter weiter stellt sich der Parlamentspräsident, der Italiener Antonio Tajani, den Fragen einer Handvoll Journalisten zum gleichentags eröffnenden EU-Gipfel. Angesichts des hiermit regelmäßig auftretenden Ausnahmezustands in der belgischen Hauptstadt ist das Presseinteresse auffällig gering. Dabei ist Italiens vertragswidriger Finanzhaushalt – neben dem Brexit – das Thema, an dem sich die Zukunft des EU-Kosmos entscheidet. Ebenso unscheinbar wirkt die Gruppe, die fast heimlich zum Sitzungssaal geführt wird, wo ein Dutzend Wissenschaftler und Politiker – vor rund hundert Gästen (bei 48 Übersetzern) – nichts Geringeres als den Austritt aus der Eurozone erörtern.

Die eigentlichen Freunde Europas sind Euroskeptiker

Unter dem Motto „Leaving the Eurozone“ werden an diesem Nachmittag ökonomische, rechtliche, politische und historische Aspekte diskutiert. Dabei gibt Nigel Farage, Vorkämpfer des Brexit, in seiner Begrüßung das Selbstverständnis vor: „Wir euroskeptischen Parteien sind die eigentlichen Europafreunde.“ Der gastgebende AfD-Chef Jörg Meuthen, wie Farage Mitglied der EU-Parlamentsfraktion EFDD (Europa der Freiheit und der direkten Demokratie), sieht den Briten dabei als Vorbild: Wie dieser sein Land zurückgenommen habe, „wollen wir unsere Währung zurück“. Denn, so Meuthen: „Der Euro ist gescheitert. Eine Währung, die gerettet werden muß, und das in Permanenz, ist keine vernünftige Währung.“

Dies ist das Stichwort für den Wirtschaftswissenschaftler Roger Bootle vom Forschungsinstitut Capital Economics, das bereits 2012 den Wolfson Economics Prize für den besten Vorschlag zum Euro-Austritt gewann. Was damals als das eigentliche Problem galt, die Deutsche Mark, sei eigentlich die Lösung gewesen, so Bootle, da dadurch Weichwährungsländer wie Frankreich und Spanien wettbewerbsfähig blieben.

Mojmír Hampl von der tschechischen Nationalbank, bekennender Euro-Skeptiker, empfindet seinen Auftritt fast so, als hielte er im Kreml eine Rede zum Ende von Putins Regentschaft. Aus seiner Sicht zeigte die Geschichte von Währungsunionen verschiedener Länder, daß diese generell instabil seien. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges habe fast jährlich ein Land oder Gebiet eine Währungsunion verlassen. Auch gebe es in Eu­ropa mehrere, so zwischen der Schweiz und Liechtenstein oder bei Monaco und Andorra mit Frankreich. Selbst der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis wurde zum Gewährsmann, der die Eurozone mit dem „Hotel California“ verglichen hatte, in das es rein, aber nicht mehr rausgeht. Der dänische Finanzexperte Lars Christensen sah, wie auch andere Teilnehmer, bei Italien die wahrscheinlichste Bruchstelle der Eurozone. Indes sei die Euro-Befürwortung in Tschechien am geringsten ausgeprägt, während die Slowakei versuche, sich mit dem Euro „Glaubwürdigkeit zu kaufen“. Der Faktor Nationalstolz, wie in Tschechien, werde in den Wirtschaftswissenschaften nicht hinreichend gewürdigt.

Politisch höchst brisant war die Expertise des in London lehrenden Rechtswissenschaftlers Gunnar Beck, der darlegte, warum Deutschland bereits jetzt legitimiert sei, den Euro zu verlassen, ohne aus der EU auszutreten. Grundlage bildeten die Artikel 5, 60 und 72 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge. Diese räumten das Recht ein, eine Mitgliedschaft bis auf weiteres zu suspendieren, solange andere Staaten vertragsbrüchig sind. Das gelte auch bei der Verletzung der Regeln zu solider Staatsfinanzierung.

Entsprechend könne Deutschland eine de jure befristete (faktisch endgültige) Parallelwährung einführen. Als Gläubiger der EZB wäre Deutschland ebenso berechtigt, vor einem Gericht hierzulande seine Forderungen einzuklagen. Überdies wäre die EZB zur offiziellen Bad Bank zu erklären, „die sie unter Draghi aber längst ist“.

Auch sei der Euro für die deutsche Exportindustrie aus WHO-Sicht eine rechtswidrige Exportsubvention. Zudem hätten die Deutschen das geringste Privatvermögen in der Eurozone, „geringer als das der Griechen, Spanier, der Zyprioten und weit, weit geringer als das der Italiener und der Iren“. Weiter verursache die Nullzinspolitik der EZB bei den deutschen Sparern von 2010 bis heute einen Verlust von über 600 Milliarden Euro an Zinseinnahmen. Dies sei „ein gewaltiger Vermögenstransfer von Deutschland zugunsten Südeuropas, maroder Banken und auch des deutschen Fiskus.“ Trotz bemerkenswerter Exportüberschüsse sei die deutsche Bevölkerung ein EuroVerlierer. So seien seit 2002 die Löhne und seit 2000 das BIP kaum gestiegen. Ein „Dexit“ würde die Kaufkraft und den Lebensstandard erhöhen, ebenso das Sparvermögen. „Der Euro-Austritt ist für Deutschland rechtlich nicht nur möglich, sondern auch ein Gebot der praktischen Vernunft.“

Die Botschaft, daß ein Euro-Austritt möglich sei, relativierten zugleich die beiden EU-Parlamentarier Jörg Meuthen und Joachim Starbatty. Während ersterer  besonders in Deutschland Widerstand befürchtet, da nirgend sonst die Menschen derart im Namen der vermeintlichen Friedenswährung indoktriniert worden seien, sieht Euro-Kläger Starbatty beim Austritt bereits die zu erwartende Schlagzeile: „Deutschland zerstört Europa wieder.“ Entscheidend sei es, so Meuthen, den Menschen klarzumachen, daß das Eurosystem eine Lose-Lose-Situation ist, bei der es nur Verlierer gebe.

Mitschnitt: „Leaving the Eurozone“  www.bit.ly/2OHN1oI