© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/18 / 26. Oktober 2018

Auf die Qualität kommt es an
Ausstellung: „Ostdeutsche Malerei und Skulptur von 1949–1990“ im Albertinum Dresden
Sebastian Hennig

In regelmäßigen Abständen flammt die Diskussion über die Einordnung der während der DDR-Zeit entstandenen Kunstwerke auf. Im vergangenen Herbst wurde die einseitige Präsentation der Kunstsammlungen Dresden im Albertinum erneut zum Anlaß heftiger Polemik. Diese Aufregung läßt sich nur durch stille Sichtung der Bestände überwinden. Im Wegschließen der Bilder besteht auch der größte Vorwurf. Die Dresdner Galerie reagiert mit der Ausstellung „Ostdeutsche Malerei und Skulptur 1949–1990“ auf angemessene Weise.

Schon der Ausstellungsort ist beziehungsreich. Bald vier Jahrzehnte lang wurden im Albertinum auf der Brühlschen Terrasse die zentralen Kunstausstellungen der DDR ausgetragen. Nur die ersten beiden „Allgemeinen Deutschen Kunstausstellungen“ 1946 und 1949 fanden noch in der Nordhalle statt, die heute das Militärhistorische Museum beherbergt. Tatsächlich ergaben damals die unter anderem von Carl Hofer, Max Pechstein, Josef Hegenbarth und Herbert Volwahsen ausgewählten Werke einen Überblick des aktuellen Kunstschaffens.

Mit der deutschen Teilung geriet die bildende Kunst in den Sog des Kalten Krieges. In Dresden schlug sich das am deutlichsten in der „Dritten Deutschen Kunstausstellung“ von 1953 nieder. Auch die folgenden Ausstellungen bezogen sich noch auf das gesamte Deutschland. Erst ab der VII. Kunstausstellung von 1972 erscheint dann im Titel die DDR. Im gegenwärtigen Ausstellungstitel wird sie weggelassen. Gleichwohl umfaßt die Auswahl exakt die von 1949 bis 1990 entstandene Kunst. Offenbar zeigt sich daran der Wille, diese nun endlich ungeachtet der damaligen politischen Situation als natürlichen Teil der gesamtdeutschen Kunst anzuerkennen. Die Maler und Bildhauer haben sich freilich das Bezugssystem nicht selbst ausgesucht.

Eines der bedeutendsten Gemälde der Nachkriegsjahre ist Theodor Rosenhauers „Kind auf gelbem Stuhl“. Bereits 1948 gemalt, wurde es im Jahr darauf angekauft und 1952 in Köln zur Ausstellung des Deutschen Künstlerbundes ausgeliehen. Zwanzig Jahre darauf war es sogar in Florenz zu sehen. Im eindringlichen Porträt dieses ausgelieferten Mädchens offenbart sich der Geist der Zeit ohne jede modische oder ideologische Einkleidung.

Anders ist das Gemälde „Das Hausfriedenskomitee“ von Rudolf Bergander beschaffen. Das Musterbild der indoktrinierenden Ausstellung von 1953 gruppiert fünf Personen verschiedenen Alters an einen Tisch um den Leitartikel der Parteizeitung Neues Deutschland. Solche aufdringliche Politisierung des Privaten wurde rasch aufgegeben. Den Verantwortlichen muß wohl selbst die mangelnde Glaubwürdigkeit solcher oberflächlichen Darstellungen aufgefallen sein. Gleichwohl begleitete die Künstler lang noch die Maßregelung durch linientreue Banausen. Die Hartnäckigkeit einzelner erweiterte den Rahmen nach und nach für unterschiedliche Haltungen und Handschriften. Beim Publikum kam das an. Entsprechend vervielfachten sich die Besucherzahlen der großen Ausstellungen.

Die gegenwärtige Schau vermittelt tatsächlich einen einigermaßen repräsentativen Eindruck vom Schaffen jener Jahre. Im Original sind Bilder zu sehen, deren Reproduktionen im Verbreitungsgebiet nahezu jeder einmal zu Gesicht bekam. Walter Womackas „Am Strand“ und Harald Hakenbecks „Peter im Tierpark“, beide 1962 gemalt, wurden en miniature millionenfach als Briefmarken verklebt. Die idyllische Darstellung des jugendlichen Paares vor der Ostsee erhielt Walter Ulbricht zum Geburtstag geschenkt. Er reichte es an die Dresdner Galerie als Dauerleihgabe weiter. Die Reproduktion schmückte selbst zahlreiche Wohnräume im westlichen Ausland. Ähnlich verhält es sich mit dem eingemummelten Knaben neben dem Pfau, über dessen Schultern im Schnee äsende Wildschweine und ein Kamel zu erblicken sind. Diese Machwerke gehen nicht über die Anforderungen des Raumschmucks hinaus.

Später hat dann Wolfgang Mattheuer diesen simplen Anspruch halb ironisch übernommen. Übers Eck zu den beiden Ikonen der frühen DDR-Kunst strahlt Hans Jüchsers „Bildnis Helga mit schwarzem Tuch“(1964) eine gefährliche Erotik aus. Abgesehen davon liegt der Handlungsschwerpunkt dieses Bildes eher in der Farbe und der Form als im Sujet. Das gleiche gilt für die „Näherinnen“ (1982) von Harald Metzkes. Der Maler zeigt darin, was aus der Wirklichkeit unter allen Umständen für die Malerei herauszuholen sei.

Die Situation eines Ost-Berliner Malers war damals kaum verschieden von jener Rembrandts bei der Darstellung der  Schützenkompanie im Amsterdam von 1642. Die Zeitgenossen formulierten ein Ansinnen an die Künstler. Wie weit die diesem nachkamen, wurde durch ihre Befähigung bestimmt. Rembrandts Gemälde wurde dann 1715 großzügig am Rand beschnitten, um es für den Rat-haussaal passend zu machen. Die Bilder der Späteren verschwanden nach 1990 in den Depots. Von dort werden sie nun nach und nach wieder auftauchen. Es bleibt zu hoffen, daß dazu fortan nicht länger feuilletonistische Debatten nötigen, sondern die Qualität der jeweiligen Werke. Weder eine Darstellung von Arbeiterinnen, wie bei Metzkes, noch ein monumentales Wandbild diskreditiert sich.

Lothar Zitzmanns „Frauen der Welt“ (1974) haben mehr mit David Alfaro Siqueiros, Aristide Maillol und Fernand Léger gemeinsam als mit Willi Neubert. Dagegen garantiert eine mechanische Übernahme der im Westen präferierten Experimente, zum Beispiel bei Max Uhlig und Ralf Kerbach, ebensowenig die Qualität der Kunst wie die äußerliche Kritik an den Verhältnissen der DDR, wie zum Beispiel in Annette Schröters „Frau in Uniformkleid“ (1984) mit ihrem verhaltenen Einspruch gegen den Frauen-Wehrdienst. Eher geben letztere ein Zeugnis für eine erstaunliche Praxis der Duldung gegenüber den Künstlern. Wenn diese auch eher abgetrotzt als freiwillig gewährt wurde, so bleibt doch das darin Geschaffene eine künstlerische Tatsache.

Vorherrschend bleibt in der Ausstellung allenthalben der Eindruck eines ehrlichen Ringens der meisten Künstler. Sie waren überwiegend bemüht, der aktuellen Wirklichkeit, denn eine andere stand ihnen nicht zur Verfügung, bildnerische Gestalt abzugewinnen. Dabei schielten die einen mehr auf die Erwartungen und Vorgaben des DDR-Regimes, die anderen weniger oder gar nicht. Geändert haben sich seither nur die Adressaten. Ai Weiwei lechzt in eine andere Richtung als Willi Sitte nach Beifall. Etwas weiteres unterscheidet sie. Selbst an den lauten Bildern jener Zeit bleibt der Grad der handwerklichen Umsetzung bemerkenswert. Wenn die damaligen Opportunisten auch nicht auf hohem Niveau scheiterten, so doch überhaupt auf einem von nach den Kriterien der Kunst bemessenen Niveau. Sie verfehlten ihr Ziel nach den Graden einer Skala, die auf den heutigen Publikumsliebling gar nicht mehr anschlägt.

Seit einigen Jahren strömen deutlich mehr Menschen ins Museum. Da kann es nicht ausbleiben, daß ein Teil von ihnen sich, teil uneingestanden, zu langweilen beginnt. Denn das pädagogisch assistierte Entziffern einer mächtig arrangierten Subkultur kann auf Dauer nicht viel Aufmerksamkeit binden. So mancher würde lieber wieder Gemälde an der Wand sehen, von denen er sich unmittelbar angesprochen fühlt. Dahin weist die Dresdner Ausstellung einen Weg.

Die Ausstellung „Ostdeutsche Malerei und Skulptur 1949–1990“ ist bis zum 7. Januar 2019 im Albertinum Dresden, Tzschirnerplatz 2, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Tel.: 03 51 / 49 14 20 00

 https://albertinum.skd.museum