© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/18 / 26. Oktober 2018

Verluste kaschieren
Auflagenmessung: Verlage wollen die Regeln der IVW-Erhebung aufweichen
Ronald Berthold

In jedem Quartal fallen die Auflagen rapide. Erst vergangene Woche mußten viele Zeitungen wieder hohe Verluste, teilweise im zweistelligen Prozentbereich, hinnehmen. Nun drängen Verlage die mit der Messung der verkauften Exemplare betraute „Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern“ (IVW), die Statistik zu verändern. Am Ende sollen die Zahlen für die im Niedergang begriffenen Medienhäuser attraktiver aussehen. Der Trick: Auch stark rabattierte Angebote sollen als Abonnement und nicht als „sonstige Verkäufe“ gewertet werden.

Dabei ist die IVW den Verlagen schon bei der Ausweisung der E-Paper stark entgegengekommen. Diese dürfen in die verkaufte Auflage eingerechnet werden, obwohl sie teilweise gemeinsam mit dem Printprodukt verkauft worden sind. Das heißt: In nicht wenigen Fällen wird ein verkauftes Abonnement doppelt gezählt – als gedruckte Zeitung und zusätzlich als E-Paper. Damit können viele Blätter ihre Statistik kosmetisch aufbessern und tatsächliche Verluste kaschieren.

Online-Kunden sollen die Zeitungen retten

Besonders profitieren davon das Handelsblatt und die taz. 43.989 Abonnenten der Wirtschaftszeitung lesen inzwischen angeblich das E-Paper – das sind mehr als die Hälfte der Gesamtauflage von 83.155. Die taz weist 8.963 ihrer  verkauften Auflage von 48.609 als E-Paper aus – immerhin 18 Prozent. Als Quartalsverlust steht hinter dem Namen des linken Blattes jedoch nur ein Minus von 4,7 Prozent. Ähnlich gehen inzwischen Die Zeit (+ 0,5 Prozent) und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (+1,1 Prozent) vor. Ihre E-Paper-Anteile sind überproportional hoch. Auch bei der Süddeutschen Zeitung (- 4,8 Prozent)erreichen die E-Paper unter den Abos inzwischen einen Anteil von 18,9 Prozent. Zum Vergleich: Bei der JUNGEN FREIHEIT sind lediglich 4,2 Prozent aller regulär verkauften Abonnements E-Paper. 

Das E-Papier darf nicht mit einem bezahlten Digital-Angebot verwechselt werden. Es zeigt auf dem Endgerät in derselben Aufmachung die jeweilige Print-Ausgabe an. Es darf auch nicht durch Bewegtbilder oder ähnliches aufgepeppt werden, wenn es von der IVW mitgezählt werden soll. Jedenfalls bisher nicht – auch das wollen die Verlage nun ändern, um die elektronischen Ausgaben attraktiver zu machen.

Am drängendsten erscheint den Zeitungen jedoch, die Abo-Zahlen durch das Einbeziehen sogenannter „sonstiger Verkäufe“ aufzuhübschen. Hintergrund: Um die fallende Auflage wirtschaftlich kompensieren zu können, haben sie die Preise in den vergangenen Jahren deutlich und stetig erhöht. Ein FAZ-Print-Abo kostet zum Beispiel jetzt 71,90 Euro monatlich. Doch diese Teuerung hat sich als Handicap beim Gewinnen neuer Kunden erwiesen. Die Verlage locken Leser daher mit deutlich niedrigeren Angeboten. Die IVW läßt bisher nur für den regulären Preis verkaufte Exemplare in der Rubrik „Abonnement“ zu. Bei Werbekunden ist diese Zahl und nicht „sonstige Verkäufe“ entscheidend. Das Argument der Verleger hat dabei durchaus etwas für sich: Auch ein Leser, dem ein Rabatt eingeräumt wurde, sieht die Anzeige genauso wie ein Altkunde, der mehr bezahlt.

Während vor allem bei den Springer-Zeitungen Bild und Welt Quartal für Quartal die Auflagen einbrechen, haben diese Blätter relativ erfolgreich ihre bezahlten Digital-Auftritte aufgebaut. Der sogenannte „Paid Content“ wird hinter den Bezahlschranken der Online-Seiten angeboten. Inzwischen zählt der Verlag 411.431 „BILDplus“-Kunden und 82.411 „WELTplus“-Kunden.

Die Welt hat damit nun erstmals mehr für die Digital-Angebote zahlende Leser als Käufer am Kiosk und Abonnenten (81.837, -9,7 Prozent/ Gesamtverkauf inklusive „Sonstige“ -5,1 Prozent). Bild hat sogar 9,2 Prozent bei den insgesamt verkauften Print-Exemplaren verloren. Die IVW weist nun nur noch 1,425 Millionen Stück aus. Daß die Zeitung aber fast eine halbe Million zahlende Online-Leser hat, dürfte das wirtschaftliche Minus etwas abfedern.

Wie erfolgreich das Digital-Geschäft laufen kann, macht gerade die New York Times vor. Sie gewann im vergangenen Quartal in diesem Bereich 100.000 Kunden auf jetzt 2,9 Millionen hinzu. Damit setzte sie 99 Millionen Dollar um – ein Viertel des Gesamtumsatzes. Mit der großen Zahl von Digital-Lesern steigen dort auch die Werbeeinnahmen. Diese liegen bei 43 Prozent, wenn man die Anzeigenerlöse von Print-Ausgabe und Online-Auftritt zusammenzählt. Ein Geschäftsfeld, das deutsche Verlage – von Axel Springer abgesehen – bisher eher stiefmütterlich beackern.