© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/18 / 26. Oktober 2018

Die Mutter aller Fake News
Vor 80 Jahren: Orson Welles’ „Krieg der Welten“
Thomas Schäfer

Am Abend des 30. Oktober 1938, es war der Sonntag vor Halloween, saßen viele US-Amerikaner vor dem Radio und genossen die beliebte Comedy-Sendung „The Chase and Sanborn Hour“ bei NBC. Gegen 20.15 Uhr wurde diese durch eine Werbepause unterbrochen, weswegen viele Hörer zum weniger populären Konkurrenz-Sender CBS wechselten. 

Dort berichtete der Sprecher gerade mit panischer Stimme und scheinbar direkt vom Ort des Geschehens, daß ein riesiges flammendes Objekt bei Grover’s Mill in New Jersey niedergegangen sei, aus dem nun Außerirdische vom Mars hervorkriechen und mit ihren Hitzestrahlen Autos, Häuser und Menschen in Brand setzen würden. Hierdurch machte sich in einigen abgelegenen Ortschaften Panik breit, so beispielsweise in Concrete (Washington), weil dort zufälligerweise gerade der Strom ausgefallen war. Andere Radiohörer riefen verängstigt bei der Polizei an oder flüchteten aus ihren Häusern.

Bei der vermeintlichen „Life-Reportage“ handelte es sich jedoch nur um ein Hörspiel, das der junge experimentierfreudige, damals kaum bekannte Autor und Schauspieler Orson Welles in Anlehnung an den Roman „Der Krieg der Welten“ von Herbert George Wells aus dem Jahre 1898 inszeniert hatte. Und das wurde zu Beginn und während der 60minütigen Sendung auch mehrmals gesagt. Dennoch beschuldigte die US-Presse – allen voran die New York Daily News – CBS später, in unverantwortlicher Weise für eine Massenpanik gesorgt zu haben: „Terror per Radio“ lautete der Vorwurf. 

Tatsächlich jedoch verlief das Ganze deutlich undramatischer als behauptet. Wahrscheinlich hörten nur etwa zwei Prozent der US-amerikanischen Radiobesitzer den „Bericht“ von der Ankunft der Marsianer. Und es kam auch zu keinen Unfällen, Suiziden oder Herzinfarkten. Deshalb blieben alle Klagen gegen CBS erfolglos: Kein einziger Richter erkannte wegen der Sendung auf Schmerzensgeld oder Schadensersatz. Hinter der Verbreitung des Mythos von der Massenpanik stand die Absicht einiger Zeitungsmacher, das neue und immer erfolgreicher auftrumpfende Konkurrenzmedium Radio um jeden Preis schlechtzureden. Schließlich drohte eine Abwanderung der Werbekunden.

Welles’ Karriere schadete die Diskussion um die Ausstrahlung nicht. Vielmehr bekam er höchst lukrative Angebote aus Hollywood und konnte dort sein filmisches Meisterwerk „Citizen Kane“ drehen. Darin rechnete der Regisseur mit dem Zeitungsmagnaten William Randolph Hearst ab – sicher auch aus Rache für die schlechte Presse im November 1938.