© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/18 / 26. Oktober 2018

Der Flaneur
Adoptivkind aus Stein
Elke Lau

Dresden gehört zu unseren Lieblingsstädten. Kurz nach der Wende besuchten wir die sächsische Metropole, natürlich auch den Neumarkt. Der Anblick der Frauenkirche – ein Trümmerberg mit Unkraut überwuchert – war schockierend und sollte damals als Mahnmal auf ewig an die Grausamkeiten des Krieges erinnern. 

Einige Jahre sind dann ins Land geflossen, bis wir mal wieder am Neumarkt vorbeischauten. Die Schutthügel waren verschwunden, das Gelände umzäunt, Hochregale errichtet, die nun die ordentlich mit Nummern versehenen Steine beherbergten. Ein Schild kündigte den Wiederaufbau des berühmten Gotteshauses an. „Das wird nie etwas“, dachten wir skeptisch und glaubten unseren Glashütter Freunden kein Wort, als sie einige Zeit später triumphierend verkündeten: „Das Untergeschoß der Frauenkirche steht.“ 

Wir hatten die Sachsen einfach unterschätzt und wollten nun Teil der Bewegung sein.

Also nüscht wie wieder hin. Das Staunen war groß und die Bewunderung für die bisherige Meisterleistung noch größer. Wir hatten die Sachsen schlicht und einfach unterschätzt. In einem Bauwagen wurden geduldig Pläne und Finanzierungsmöglichkeiten erklärt. Ehrenamtliche Kämpfer waren unermüdlich im Einsatz, um Menschen für dieses sensationelle Vorhaben zu begeistern und für Spenden zu werben. Die Phantasie, auf legalem Weg Gelder einzusammeln, kannte keine Grenzen. 

Wir wollten Teil dieser Bewegung sein. Und so ist uns Dresden in den folgenden Jahren immer vertrauter geworden, in denen wir regelmäßig unser Adoptivkind besuchten: D/E-HF 159 ist sein Name. 

Heute ist es mal wieder soweit. Vom Bahnhof sind es nur ein paar Gehminuten, bis wir vor der Hauptfassade der Frauenkirche stehen und stolz unserem Stein zuwinken. Sofort bleiben auch weitere Touristen stehen, schauen neugierig in die gleiche Richtung wie wir und mustern uns anschließend kopfschüttelnd. Dann tippen sie sich an die Stirn und schlendern weiter.