© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/18 / 02. November 2018

Schwarze Zeiten für braunes Gold
Kohle I: Die eigens eingesetzte Expertenkommission soll bis Ende des Jahres ein Ausstiegsszenario vorbereiten
Paul Leonhard

Die französische Regierung verlängert die Laufzeit von Atomkraftwerken, die polnische setzt auf die Modernisierung der Kohlekraftwerke – der deutsche Nachbar steht mit seiner Energiepolitik in Europa isoliert da. Trotzdem hält die Bundesregierung unbeirrt an ihren Kohleausstiegsplänen fest: Spätestens 2045 soll das „braune Gold“ in Deutschland nicht mehr gefördert werden. Geschätzte 40 Milliarden Tonnen werden in der Erde bleiben.

Wie es gelingen soll, die ehrgeizigen deutschen Klimaschutzziele zu erreichen, ohne die bisher stabile Energieversorgung zu gefährden, bei gleichzeitiger Absicherung des Strukturwandels in den betroffenen Kohleabbauregionen und ohne einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen, das ist die Aufgabe, die die Kanzlerin der von ihr eingesetzten Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“, kurz „Kohlekommission“, übertragen hat. Die soll Ende des Jahres ein Ausstiegsszenario vorlegen.

Noch gibt es kein konkretes Datum. „Wir haben darüber noch nicht gesprochen“, sagt Kommissionsmitglied Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Anvisiert sind die Jahre zwischen 2030 und 2040. Wenn die Bundesregierung ihre Hausaufgaben mache, sei das zu schaffen, gibt sich Michael Vassiliadis optimistisch. 

Gleichzeitig forciert der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (BCE) den Druck auf Berlin, indem er die Kumpel wie im nordrhein-westfälischen Elsdorf aufforderte, gegen den Kohleausstieg und für eine „Energiewende mit Vernunft“ zu demonstrieren.

Fest steht, daß Merkels Ziel eines grundlegenden Strukturwandels in den Kohlerevieren nicht nur den Staatshaushalt auf viele Jahre belasten wird – auf mindestens 60 Milliarden Euro schätzen die betroffenen Ministerpräsidenten die Höhe der benötigten Strukturhilfen –, sondern auch für die Stromkunden. Die Experten sind sich einig, daß ohne Kohleverstromung der Strompreis weiter steigen wird. Strom aus Gaskraftwerken und erneuerbaren Energien ist teurer als Braunkohlestrom. 

Auch sind die Erfahrungen der bisher vom Strukturwandel betroffenen Regionen nicht positiv. „Auch Jahrzehnte nach dem Beginn des Endes des Kohlebergbaus liegt beispielsweise im Ruhrgebiet die Wirtschaftskraft weiter deutlich hinter der gesamtdeutschen Entwicklung zurück“, heißt es im Berichtsentwurf der Kommission. Noch schwieriger ist die Situation in der Lausitz mit ihrem überproportional hohen Anteil der Energiewirtschaft. Allein im Landkreis Görlitz erwirtschaftet die Energiewirtschaft derzeit nahezu die Hälfte der Wertschöpfung im produziertenden Gewerbe. Aber auch das Rheinische und das Mitteldeutsche Revier weisen einen unterdurchschnittlichen Industrialisierungsgrad auf.

Gleichzeitig warnen Industrievertreter vor einer Abschaltung der Kohlekraftwerke. Die erneuerbaren Energien könnten nicht die zwingend erforderliche Stabilität in der Stromversorgung garantieren, mahnt der Verband der Chemischen Industrie. Die Kohlekraftwerke hätten bisher die Grundlast und wettbewerbsfähige Stromkosten garantiert. Ähnlich sieht es die Stahl- und Aluminiumindustrie. Als Beispiel gilt Belgien, wo die Kraftwerke abgeschaltet wurden und Deutschland nun helfen müsse, damit im Winter nicht die Stromversorgung zusammenbricht. 

Reviere sollen führend      bei Mobilfunk werden

Aus einer Presseerklärung der Bundesregierung läßt sich herauslesen, daß den Kommissionsexperten – unter ihnen die ehemaligen Ministerpräsidenten Brandenburgs und Sachsens, Matthias Platzeck (SPD) und Stanislaw Tillich (CDU) – bis zu einem Vororttermin  nicht bekannt war, „daß das Rheinische Revier einen wichtigen Beitrag für eine sichere Energieversorgung, auch über Nordrhein-Westfalen hinaus“ darstellt.

Vom geplanten Aus für die Kohle sind rund 60.000 Menschen in den Revieren in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen betroffen. Für sie sollen neue Jobs entstehen. Voraussetzung für diese sind aus Sicht der Kommission  Infrastrukturprojekte für Verkehr und Digitalisierung. So sollen die Reviere Modellregionen für die Einführung des neuesten Mobilfunkstandards werden. „Der Idealfall wäre, Industrie durch Industrie zu ersetzen“, sagt Gewerkschaftschef Vassiliadis. Er verweist auf die in den Revieren vorhandenen Industrieflächen.