© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/18 / 02. November 2018

Die Freiheit, abzuschalten
AfD versus ARD und ZDF: Chefredakteure stellen sich auf Dresdner Medienkonferenz der Diskussion
Christan Dorn

Wir haben eine ganze Menge zu erzählen“, erklärt ZDF-Chefredakteur Peter Frey vor Veranstaltungsbeginn noch selbstbewußt gegenüber einem TV-Team. Er freue sich auf die Gelegenheit, „das mal darstellen zu können, was wir für die Leute leisten“. Sein Kollege Kai Gniffke, Chefredakteur von „ARD aktuell“, welche die „Tagesschau“ und die „Tagesthemen“ verantwortet, ergänzt zuversichtlich: „Ich glaube nicht, daß das eine tiefgreifende medienpolitische Debatte wird.“ 

Tatsächlich beweist der Verlauf der eine Viertelstunde später beginnenden Veranstaltung vor allem das Gegenteil, gerät der Abend doch – akustisch beglaubigt durch das wiederholt höhnische Lachen des Saalpublikums – zu einem Armutszeugnis, wenn nicht gar Offenbarungseid der Öffentlich-Rechtlichen. Anlaß ist die im Gartensaal der Börse auf der Messe Dresden vom örtlichen AfD-Kreisverband ausgerichtete Podiumsdiskussion „Medien und Meinung“, deren Ergebnis bereits vorab mit 2:4 anzugeben wäre: Sitzen den beiden Chefredakteuren doch mit Nicolaus Fest und Michael Klonovsky nicht nur die beiden intellektuell schlagfertigsten Köpfe der AfD gegenüber, auch die zwei Moderatoren, die Publizisten Klaus Kelle und Andreas Lombard, beziehen immer öfter Stellung gegen die Öffentlich-Rechtlichen.

Bereits zur Begrüßung macht der Vorsitzende des AfD-Kreisverbandes Dresden Reinhard Günzel die im berüchtigten „Kampf gegen Rechts“ entstandene Schieflage deutlich: Während eine Stigmatisierung der AfD durch eine sich als links bezeichnende Partei nachvollziehbar ist, sei von den Medien eine neutrale Berichterstattung zu erwarten. Stattdessen werde die AfD stereotyp als rechtsradikal oder rechtsextrem bezeichnet und somit aus dem Diskurs ausgegrenzt. Vor diesem Hintergrund fordert der Schriftsteller und einstige Focus-Redakteur Michael Klonovsky, heute Redenschreiber von AfD-Sprecher Alexander Gauland, vom ZDF-Chef Frey, dieser möge doch bitte einmal aus seiner Sicht den Unterschied zwischen rechts und rechtsradikal definieren. Rhetorisch geschickt umschifft Frey diese nur zu berechtigte Frage und wirft den Ball zurück: „Ich finde es kurios, daß Sie von mir verlangen, die Trennung zwischen rechts und rechtsradikal vorzunehmen – das müssen Sie!“, erklärt der ZDF-Mann unter Verweis auf die AfD-Demonstration in Chemnitz.

„Fahndungsaufrufe? Das wäre keine Tagesschau“

Dabei gelingt es den öffentlich-rechtlichen Vertretern kaum, die vorgebrachten Defizite auszuräumen. Selbst Kai Gniffkes Entgegnung auf die Vorhaltung Lombards ob des Attributs „populistisch“ wirkt am Ende nicht überzeugend. So verweist Gniffke zunächst auf den Parteivorsitzenden Gauland, der die AfD als eine „populistische Partei“ bezeichnet habe. Gniffkes Ergänzung, daß der Begriff „Populist“ jedoch wertfrei sei, nimmt ihm das Publikum nicht ab.

Auch die Anworten auf die exemplarisch benannten Fehlleistungen der Öffentlich-Rechtlichen bringen die Debatte nicht weiter, da die beiden Chefredakteure fast ausnahmslos aus ihren hehren Programmrichtlinien zitieren, woraufhin mancher im Publikum aufstöhnt, so der Nebenmann, sichtlich verzweifelt: „Der redet immer nur vom Soll-Zustand, nicht vom Ist-Zustand!“ Ein anderer kommentiert ironisch: „Am Ende sind die noch unsere Freunde?!“

So hatte zuvor der einstige BamS-Vize-Chef Nicolaus Fest drei Arten medialen Fehlverhaltens benannt: Erstens die Nicht-Berichterstattung wie im Fall der Morde von Freiburg und Offenburg, zweitens die Falschberichterstattung wie am Beispiel Chemnitz und drittens die voreingenommene Berichterstattung, die in Deutschland beispielsweise nur Rechts-, aber keine Linkspopulisten kenne und die bei rechten Demonstrationen konsequent von Aufmärschen spreche.

Am Beispiel Chemnitz erinnerte Klaus Kelle an die Grundtugend des Journalisten, bei einer Geschichte immer beide Seiten zu Wort kommen zu lassen. Stattdessen habe die „Tagesschau“ in ihrem Bericht über die beiden Demonstrationen – eine große rechte Demonstration mit 8.000 Teilnehmern und eine deutliche kleinere Manifestation für das bunte, weltoffene Deutschland – fünf O-Töne von Teilnehmern der kleinen Demonstration gebracht, aber nicht einen einzigen von der großen. Im Fall des Mordes von Freiburg rechtfertigt Frey die Nicht-Berichterstattung mit seiner Bekanntschaft mit dem Vater des Opfers, der keine Berichterstattung gewollt habe. Überdies sei es nicht ihre Aufgabe, „Verdächtigungen zu bringen“, so Frey, und Gniffke ergänzt: „Das wäre nicht mehr unsere ‘Tagesschau’, wenn wir jeden Tag Fahndungsaufrufe machen.“ Dabei dürften es gerade AfD-Leute erlebt haben, wie allein die Berichterstattung über die AfD bereits von Beginn an über weite Strecken einer Verdachtsberichterstattung des Spiels „Such den Nazi“ gleichkam.

Entsprechend ernten zahlreiche Rechtfertigungen der ARD- und ZDF-Macher an diesem Abend höhnisches Gelächter, etwa wenn Gniffke die „ausgewogene“ Berichterstattung  zum „journalistischen Grundprinzip“ erklärt: „Wir haben weder positiv noch negativ zu berichten. Das ist nicht unsere Aufgabe, Ihnen nahezulegen, Ihnen vorzuschreiben, was gut und was schlecht ist.“

Und natürlich müßten sie den Zuschauern „nicht vorschreiben, wie sie zu denken haben“. Dabei räumt der ARD-Mann später ein, wie sein Sender bei der Pegida-Berichterstattung seinen Beitragszahlern zumindest anfänglich unterschwellig eine Botschaft vermittelt habe nach dem Motto: „Ihr sollt das bitte blöd finden!“ Inzwischen, so Gniffke selbstkritisch – nach einer Intervention eines altgedienten leitenden Mitarbeiters der „Tagesschau“-Redaktion – sei auch ihm klar: „Nicht jeder, der bei Pegida mitläuft, ist ein Nazi.“

Gleichwohl führt Gniffkes Bekenntnis: „Was wir nicht wollen, ist Gesinnungsschnüffelei“ abermals zu Kopfschütteln und Gelächter, schließlich sind die öffentlich-rechtlichen Beiträge berüchtigter Antifa-Journalisten Legion. Auch beim Beispiel der Kölner Silvesternacht überzeugt Gniffkes Erklärung nicht: So hätten sie nicht über die Vergewaltigungen berichtet, da sie sich auf den offiziellen Polizeibericht verlassen hätten, und weil bekannte feministische Stimmen geschwiegen hätten.

Sowenig diese Erklärung glaubwürdig erscheint (angesichts der regionalen WDR-Journalisten, die entweder völlig inkompetent oder politisch-korrekt verlogen sein müssen), sowenig überzeugt Gniffkes Plädoyer für die „Demokratie-Abgabe“ – eine Wortschöpfung des WDR-Chefredakteurs Jörg Schönenborn –, als der ARD-Mann treuherzig erklärt, daß er ja auch den  Rundfunkbeitrag bezahle. Die Frage des Videobloggers Feroz Khan nach Vorstellungen für ein Fernsehmodell, das nur die bezahlen sollen, die es auch nutzen, wird so schlicht übergangen.

„Wer nicht Meinung und Bericht trennt, fliegt“

Auch die Einwände von Andreas Lombard, Kritiker der Homoehe und der Gender-Ideologie würden schnell als homophob, Kritiker am Euro als Nationalisten und Kritiker an Multikulti als Faschisten stigmatisiert, wissen Frey und Gniffke nicht zu entkräften. Ebensowenig stichhaltig bleibt die Verteidigung des „Faktenfinders“ Patrick Gensing, wo es, laut Fest, etwa geheißen habe: „Wer gegen Gender ist, ist rechts.“ Regelrecht gewagt erscheint da Gniffkes Replik auf Klonovskys Kritik an der oftmals fehlenden Trennung von zwischen Bericht und Meinung, als der ARD-Mann daraufhin verkündet: „Das sehe ich genauso. Wer das nicht beherrscht, der fliegt raus.“

Denn wenn sie eines nicht könnten, „dann Ihnen eine Meinung vorzugeben“. Frey ergänzt für das ZDF, daß es keine Vorgabe an die Redaktion gebe, wie sie zu berichten habe. Zudem frage er „jede Woche Freitag in der Konferenz: Haben wir einen Fehler gemacht?“ Generell wollten sie „niemanden bevormunden“. Schließlich könnten sie nur „Angebote“ machen. „Sie haben die Freiheit, abzuschalten.“ Dies quittiert das Publikum, dem hier unfreiwillig seine Ohnmacht demonstriert wird, abermals mit höhnischem Gelächter. Darauf eine Stimme: „Das erinnnert mich an die Endzeit der DDR.“ In der Tat fühlt sich auch der Autor dieser Zeilen hier unvermittelt an den Mai 1989 (FDJ-Pfingsttreffen) erinnert, als er – damals Abiturient – vor laufenden Kameras im Palast der Republik dem stellvertretenden Chefredakteur des Zentralorgans Junge Welt vorwarf, plumpe Hetze gegen den Westen und ideologische Schwarz-Weiß-Malerei zu betreiben und eine Zeitung zu produzieren, die jede Glaubwürdigkeit verloren habe. Darauf behauptete JW-Mann Frank Schumann ernstlich, eine solche Kritik zum ersten Mal in seinem Leben zu hören, überhaupt sei die Zeitung jeden Morgen aufs neue jedesmal ein Experiment ohne jede politische Vorgabe.

Daß ARD und ZDF den eingetretenen Vertrauensverlust nicht realisierten, so Klonovsky, liege an deren Finanzierung durch „Zwangsgebühren“. Ausdruck dieser Entwicklung, sagte Fest, sei es, wenn die Menschen ihre Informationen in den sozialen Medien und am Stammtischtresen erhielten und nicht mehr im Fernsehen. Wie zum Beweis meldet sich eine Stimme aus dem Publikum, die von den beiden TV-Redakteuren wissen will, wann sie endlich über den im Dezember zu unterzeichnenden Migrationspakt berichten werden. Dabei stellt sich heraus, daß die beiden Verantwortlichen der Öffentlich-Rechtlichen überhaupt nichts davon wissen. Gniffke erklärt ahnungslos: „Der 11. Dezember ist das Datum?! Dann werden wir berichten!“ Die Leute stöhnen auf. Einer ruft erregt, daß sie sofort, „ab morgen“ in ihren Sendern darüber aufklären müssen.

Frey erklärt gönnerhaft: Offensichtlich liege ihnen das Thema hier ja sehr am Herzen, dann werde er es mal in die Redaktion mitnehmen. Es ist dieser Moment, der den Legitimationsverlust der Öffentlich-Rechtlichen wohl am schmerzlichsten vor Augen führt. Eine erregte Besucherin treibt dieses Versagen der Öffentlich-Rechtlichen noch später um: „Die kannten den Migrationspakt nicht! Ich faß es nicht!“ Vielmehr resigniert erklärt dagegen ein anderer auf Nachfrage: „Die quatschen uns besoffen, und die Probleme – die bleiben offen.“





Pressestimmen

„Journalistinnen und Journalisten sind der AfD an diesem Abend in Dresden ausnahmsweise einmal ausgesprochen willkommen. Ungewohnt freundlich werden sie in einem Saal auf dem Messegelände von der Partei, empfangen, zu deren Standardprogramm Medienkritik gehört – mitunter in der derbsten Art und Weise. (...) Die Bilanz der AfDler hinterher: Eine wirkliche Annäherung gibt es nicht.“

Die Zeit, 26. Oktober





„Dem Mann aus dem Publikum ist wichtig: Wann ARD und ZDF endlich über den 11. Dezember, die globale Migration und was das für Deutschland bedeute, berichten, doch weder ZDF-Chefredakteur Peter Frey noch sein ARD-aktuell-Kollege Kai Gniffke noch die meisten anderen Journalisten im Saal wissen, was gemeint ist. Ein Großteil des Publikums dagegen fühlt sich schon seit Monaten genauestens informiert, und zwar aus dem Internet.“

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Oktober





„Es gebe keine Vorgaben in der Berichterstattung, sagt Frey. Im Gegenteil: Talkshowauftritte von AfD-Hardlinern hätten die Partei erst groß gemacht. Es sei nicht die Absicht des Senders zu erziehen. Das harsch kritisierte ’Heute-Journal’ sei ein Angebot zur Meinungsbildung. ’Sie haben die Freiheit abzuschalten’, sagt er. ’Aber zahlen müssen wir!’, schallt es zurück.“ 

Süddeutsche Zeitung, 27. Oktober





„Man ahnt, daß es kein ganz einfacher Abend war, keine unbefangene, unverkrampfte Diskussion, um da mal was zu klären. Das Gespräch ist ein Anfang, von dem beide Seiten nicht so recht wissen, ob es etwas bringt.“

Die Welt, 27. Oktober





„Christoph Noack ist stolz. Dieser Abend hier geht auf ihn. (…) ’daß das hier daraus werden würde‘, sagt Noack, ’hätte ich mir nicht erträumt.’ Das hier sind rund 400 Menschen, die am Donnerstag abend in die Börse Dresden gekommen sind, darunter gut 70 Journalistinnen und Journalisten, ’von der ‚Badischen Zeitung‘ bis zur ’Washington Post‘‘, wie die AfD feierlich verkündet. Die Diskussion, zu der die Partei eingeladen hat, trägt den Titel ’Medien und Meinung’ und solle zum ’gegenseitigen Erkenntnisgewinn’ dienen, was immerzu betont wird: Bitte ’friedlich und normal miteinander umgehen’, sagt der Vorsitzende des AfD-Kreisverbands, ’und nicht Dampf ablassen!’ Und wenn es mal lauter wird, mahnen die Moderatoren: ’Bitte mäßigen Sie sich!’“

Übermedien, 27. Oktober





„Die Diskussion, die am Donnerstag abend in der Dresdner Messe stattfindet, soll (…) zwei Lager zusammenbringen, deren Verhältnis gelinde gesagt erheblich gestört ist. So sehr, daß es am Ende alle schon als Erfolg ansehen, überhaupt miteinander gesprochen zu haben. ’Es war ein Anfang, wir haben uns nicht gekloppt’, stellt ZDF-Mann Frey zufrieden fest.“ 

Der Tagesspiegel, 27. Oktober