© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/18 / 02. November 2018

Pankraz,
die Berater und der Austausch von Eliten

Was wir in der Politik jetzt nötig haben, ist der friedliche Austausch der Eliten“, meinte  – noch vor der Hessenwahl  – ein hoffnunslos idealistisch gestimmter Politologe, der hin und wieder sogar im Fernsehen erscheint. Und er fuhr fort: „Nicht nur die Führungskräfte in den bisherigen beiden Volksparteien sind damit gemeint, sondern die ganze Personage, die sich um sie herum gruppiert hat, das Heer der hochbezahlten sogenannten Berater, die vielen Lobbyisten, Ressortverwalter und sonstigen Oberbürokraten, nicht zu vergessen gewisse ehemalige Führungskräfte, die auf einem lukrativen Pöstchen abgestellt werden müssen.“

All das, so besagter Politologe, bilde eine politische „Elite“. Sie sei in der Regel erfüllt  von einem je eigenen „Elitebewußtsein“, das alle zugehörigen  Gruppierungen eng miteinander  verbindet und sie scharf vom übrigen Volk abhebt. Andere, konkurrierende Eliten gibt es in dieser Perspektive nicht, es gibt nur noch „Populisten“, die – statt ordentlich zu argumentieren – immer nur egoistisch vor sich hinmosern und phasenweise, wie gerade in unseren Tagen wieder, sehr gefährlich werden, indem sie die (doch immerhin demokratisch gewählte!) Regierung aggressiv in Frage stellen und ihre Maßnahmen „sabotieren“.

Wie steht es nun aber wirklich mit den politischen Eliten? Gibt es tatsächlich alternativlos nur eine einzige und ist sie tatsächlich in der Lage, sich aus sich selbst heraus ständig friedlich zu erneuern und auf optimalem Stand zu halten? Die Antwort lautet eindeutig: nein. Eliten haben, wie alles im Leben, ihre Zeit, sie blühen den Umständen entsprechend auf, strahlen vor sich hin, altern aber auch wieder, verwelken. Die Politik macht davon keine Ausnahme, wie die gegenwärtige Lage in Deutschland zeigt.


Es gibt bei uns keine politischen Eliten mehr, nur noch Staubsauger; zumindest trifft das auf die zur Zeit an der Macht befindliche zu, die sich kurioserweise für die einzig mögliche hält. Sie ist nur noch damit beschäftigt, sich selbst an der Macht zu halten, einschließlich aller Privilegien und Zuwendungen, die sie sich im Laufe der Jahre verschafft hat. Außenpolitisch spielt sie nur noch eine gewisse Rolle, weil Deutschland ein starker internationaler Wirtschaftsfaktor ist, den man bei medial aufgedonnerten Konferenzen vorzeigen kann. Innenpolitisch läßt man sich von den „Populisten“ höchst widerwillig die Agenda diktieren.

Sind diese „Populisten“ mit ihren interessanten, die pure Realität widerspiegelnden Argumenten nicht längst zu jener „Gegenelite“ herangewachsen, von der schon die Urväter der Eliteforschung (Charles Wright Mills, Vilfredo Pareto, Robert Michels, Talcott Parsons) gesprochen haben? Für die bestand der Ablauf der Geschichte eindeutig aus einem kontinuierlichen Austausch „echter“ Eliten, also „Funktionseliten“, die sich voll auf die Bedürfnisse der Völker einließen.

Ob es sich nun, wie in alten, feudalen Zeiten, um familiär geprägte Herrscher-Zusammenschlüsse handelte oder um aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene – stets entschied letztlich und auf Dauer die Funktionstüchtigkeit der Exekutoren und ihre Akzeptanz beim Volk  über ihr Schicksal. Ob mörderischer Kampf aristokratischer Brüder um die Herrschaft, ob Chaos und Massentod bringende Revolution oder kluge Reformation – stets ging es um die Schaffung einer fähigen und beliebten Funktionselite.

Nicht die Herrschaftsform,  sondern das Vorhandensein einer wahren Elite entschied durch die Zeiten hindurch über das Wohlergehen und das Glück der Völker, wobei noch einmal zu erinnern wäre, daß eine Herrschaftselite nicht nur aus den wenigen Führungsfiguren an den Schalthebeln besteht, sondern auch und vielleicht sogar in erster Linie aus dem (um es modern zu sagen)  „Netzwerk“ um sie herum, also aus der Truppe ihrer Berater, Lautsprecher, Stichwortgeber, Büroleiter und Kammerdiener. Die elitäre Qualität eines Königs, Präsidenten oder Kanzlers ersieht man nicht zuletzt aus der Qualität ihres Netzwerks.


Von Günter Ogger stammt das Wort von den „Nieten in Nadelstreifen“, die sich immer  mehr in den Berliner Vor- und Hinterzimmern der Macht ausbreiteten. Allgemein befestigt sich der Eindruck, daß dort speziell seit den Merkel-Jahren eine „neue Elite“ herangewachsen ist, deren Elite-Status nicht auf Leistungen fürs Ganze beruht, sondern ausschließlich auf individuellen Mitnehmer-Qualitäten. Es regiert das Prinzip: Je mehr Unheil ein Top-Politiker anrichtet, um so mehr verdient er und um so mehr gehört er dazu.

Eines der Hauptprobleme jeder Elite ist der Nachwuchs und die Verjüngung ohne Generationenbruch und Verlust der Identität. Am nächsten liegt es, den Elitestatus in der eigenen Familie oder Sippe zu halten, die privilegierte Position einfach von den Eltern auf die Kinder zu übertragen, zu „vererben“. Im Zeitalter der Demokratie gelingt das nicht mehr so leicht wie in früheren, feudalen Zeiten, aber der Versuch dazu ist nach wie vor virulent.

Die öffentlichen Stellenanzeigen, so erfährt man, sind nur noch bloßes Augenpulver zur Täuschung der Öffentlichkeit und zur Finanzierung medialer Täuschungsapparate. In Wirklichkeit werden die meisten führenden Positionen bereits nach Standes- oder auch schon nach direkter Familienzugehörigkeit besetzt. Wessen Vater Direktor war, der wird mehr oder weniger automatisch auch wieder Direktor.

Ja, so läuft das im Merkel-Land. Es fällt immer mehr Beobachtern auf, und einigen ist auch klar, daß das zu bösen Häusern führen könnte. Schon Professor Pareto am Beginn der Eliten-Forschung wußte: „Punktum-Eliten“ ohne Leistungsfähigkeit, denen nur um den Erhalt ihrer selbst zu tun ist, können ein Land ziemlich schnell zugrunde richten. Sie werden gottlob, meinte Pareto, gestoppt durch neue, bienenfleißige Proto-Eliten, die sich irgendwo, fast unbemerkt, neben dem herrschenden System herausbilden und eines Tages plötzlich aktiv werden.