© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/18 / 02. November 2018

CD-Kritik: Leif Ove Andsnes
Chopin erzählen
Jens Knorr

Lange waren der norwegische Pianist Leif Ove Andsnes und Chopins Ballade in f-Moll op. 52, die vierte, einander ausgewichen, nun haben sie einander gestellt. Andsnes muß nicht den Umweg über die französischen Salons nehmen, die Chopin suchte und mied, um zu seiner Musik zu gelangen. Er muß auch nicht den Umweg über die Gedichte von Adam Mickiewicz nehmen, von denen Chopin sich für die vier zwischen 1831 und 1841 komponierten Balladen hat anregen lassen. Sein musikalisches Erzählen braucht weder Seelenparfüm noch literarischen Überbau. Es will keinen Rest an Gesinnungen und Gedanken lassen, die nicht in Töne zu verwandeln wären, aber auch keine in die Töne hineindrücken, die außer ihnen sind.

Andsnes legt auseinander, was die Noten komprimieren, frei gefundene Formen streng befolgend, insbesondere in der vierten Ballade. Weder trocknet im Spiel des Pianisten Erzählung zum Bericht aus, noch verliert es sich in Genremalerei. Es hält Abstand, ohne sich abweisen zu lassen, es läßt sich ein, ohne sich zu verlieren. Es erzählt von extremen Gefühlen, die ineinander übergehen und auseinander hervorgehen, aber es suhlt sich nicht darin.

Wer aus den Balladen und Nocturnes Schmerzen des politischen und erotischen Emigranten heraushört, Trauer über ein verlorenes Land, der geht weit, aber nicht fehl.

Chopin Balladen & Nocturnes Leif Ove Andsnes Sony Classical 2018  www.andsnes.com