© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/18 / 02. November 2018

Hanswurst mit halbnackten Groupies
Wenn die Regie nichts kapiert hat: Mozarts „Don Giovanni“ in einer unterirdischen Neuinszenierung am Mannheimer Nationaltheater
Markus Brandstetter

Die am häufigsten aufgeführten Opern auf der Welt stammen von Puccini, Mozart und Verdi. Unter den Top 10 der Opernkomponisten ist Mozart mit der „Zauberflöte“, „Figaros Hochzeit“, „Don Giovanni“ und „Cosi fan tutte“ immer mit dabei. Schränken wir diese Auswahl auf Komponisten des 18. Jahrhunderts ein, dann steht Mozart fast allein da. Gluck, der Mann, der die Oper des 18. Jahrhunderts entstaubt und reformiert hat, liegt in der Publikumsgunst auf Platz 40, und Domenico Cimarosa, mit Mozart fast gleich alt und einst sein wichtigster Konkurrent, rangiert mit Platz 67 und 167 Aufführungen seiner Opern weit dahinter. Mozarts größte Opern sind also mit die wichtigsten der Welt; sein „Don Giovanni“ gilt als die musikalisch beste und dramaturgisch überzeugendste Oper überhaupt. Es ist also immer etwas Besonderes, wenn ein wichtiges deutsches Opernhaus eine Neuinszenierung des „Don Giovanni“ bietet, wie es das Mannheimer Nationaltheater in dieser Spielzeit tut.

Damit diese Neuinszenierung ein Knaller wird, hat die Mannheimer Opernintendanz etwas Interessantes getan: Sie hat einen Regiewettbewerb ausgeschrieben. Es kamen 50 Bewerbungen aus sieben Ländern. Gewonnen haben die 27jährige Russin Ekaterina Vasileva und ihre Bühnen- und Kostümbildnerin Sonya Kobozeva. Wenn man sich die Aufführung ansieht, hat man den Eindruck, daß es bei diesem Wettbewerb zugegangen ist wie oft beim Literaturnobelpreis oder beim Deutschen Buchpreis: Der mieseste Autor und das schlechteste Buch setzen sich gegen die bessere Konkurrenz souverän durch.

Warum das so ist? Fangen wir mit dem Bühnenbild an: Das besteht linker Hand aus einem sehr großen und sehr leeren Swimmingpool, der noch weiter links von einem dunkel gefliesten Anbau düster überragt wird. Auf dessen Flachdach wiegen sich ein paar künstliche Palmen im Wind des Bühnennebels, ein extrem feinsinniges Detail, das vermutlich das Sevilla des 17. Jahrhunderts beschwören soll, in Wahrheit aber den Dreisternehotels in der Türkei, wo Russen gerne Urlaub machen, unheimlich gleicht. Aber das macht erst einmal nichts. Mannheim ist für häßliche, unwirtliche, ja lebensfeindliche Bühnenbilder bekannt – auf denen trotzdem oft superbe Bühnenabende über die Bretter gehen. Nur nicht bei diesem „Don Giovanni“.

Feministische Inszenierung interpretiert Psychiater Jung

Das liegt allerdings nicht an den stets guten und manchmal sogar herausragenden Sängern, sondern an der Regisseurin, die „Don Giovanni“ nicht kapiert hat. In miserablem Englisch erklärt Frau Vasileva auf den Internetseiten des Nationaltheaters ihre Regie-Konzeption. Diese beruhe auf einer Interpretation des Schweizer Psychoanalytikers und Freud-Weggefährten Carl Gustav Jung, der behauptet: Don Giovanni ist der Typ Mann, der in jeder Frau seine Mutter sucht – um sich an ihr für erlittene Kindheitstraumata zu rächen. Das ist Schnee von vorvorgestern. 

Natürlich: In die größten Werke der Literatur- und Musikgeschichte kann jeder hineininterpretieren, was er will – auch Jungs verstaubten Psychoanalyse-Kram. Das ist bei Hamlet, Faust und Don Quijote so, und das gilt erst recht für Wagners „Parsifal“, die „Zauberflöte“ und eben „Don Giovanni“. Aber genau diese vermeintliche Beliebigkeit zwingt einen guten Regisseur in Wahrheit dazu, nicht irgendeine Fertigsauce aus dem Supermarktregal für Dramaturgen über Meisterwerken wahllos auszuschütten, sondern eine Oper vor ihrem historischen Hintergrund zu rekonstruieren und dann in einen Bezug zum heutigen Leben zu setzen. Dazu müßte ein Regisseur aber erst einmal begriffen haben, was Inhalt und Sinn des „Don Giovanni“ überhaupt ausmacht.

Lorenzo da Pontes Libretto zum „Don Giovanni“ drückt zuerst einmal die Kritik des Bürgertums am Adel aus, die hier – genau wie in Lessings „Emilia Galotti“ – über die moralische Schiene läuft. Während Kant, Rousseau und Montes-quieu gegen den Adel das Naturrecht – „alle Menschen sind gleich und haben unveräußerliche angeborene Rechte“ – in Anschlag bringen, schießen da Ponte und Mozart gegen die Verderbtheit der adeligen Männer, denen unterstellt wird, sie wollten mit jeder Frau ins Bett, was ja bereits im „Figaro“ das große Thema war. Und damit die Kritik auch richtig wehtut, sagen Mozart und da Ponte ihren Zuschauern auch gleich, was so einem adeligen Wüstling passiert, durch dessen Bett, wie es in der Registerarie heißt, tausend Frauen zirkulieren: den holt am Schluß der Teufel.

Das Reiterstandbild durch einen Grabkranz ersetzt

Ekaterina Vasilevas Inszenierung weiß nichts von alledem. Einfältig und stur wird Don Giovanni auf einen zigarrenrauchenden Macho reduziert, der im kunstseidenen schwarzen Mantel herumhampelt – armseliger Hanswurst statt dämonischer Verführer. Umgeben ist er von zehn fetten, halbnackten Groupies, die lustig anzuschauen sind, aber halt nur ausdrücken: der Mann hat kein Selbstbewußtsein. Leporello, sein treuer Diener, tritt in grüner Latzhose, Strickmütze und manchmal mit Schwimmflossen und Schwimmtier als herumwuselnder Gärtner auf, was am Geist der Oper vorbeigeht, denn dieser schmierige Lakai ist in Wahrheit nicht der Butler aus „Dinner for One“, sondern ein abgefeimter Spielgeselle, der immer nur scheinheilig tut.

So klein und winzig die Männer dargestellt werden, so groß, selbstbewußt und unhistorisch modern sind die Frauen, allen voran Donna Elvira, die als alleinerziehende Mutter mit Puppenwagen und Kind auftritt, während sie doch eine vor Rachelust sprühende verschmähte Dame sein sollte – die bis zum Schluß zu Don Giovanni zurückwill. An diesem Detail zeigt sich das Problem dieser feministischen Inszenierung: der dramatische Sinn der Oper geht verloren. Mozart und da Ponte haben Don Giovanni keineswegs als MeToo-Vergewaltiger à la Harvey Weinstein konzipiert, sondern als den Archetypus des Verführers, der auf der Basis seines Adelsprivilegs einen machiavellistischen Narzißmus mit sprühendem Charme und der Bereitschaft zur Gewalt verbindet.

Ist die Mannheimer Neuinszenierung im ersten Akt noch einigermaßen erträglich, so wird es im zweiten Akt unterirdisch. In dem bekommt Don Giovanni bekanntlich die Rechnung für seine Untaten präsentiert, weshalb die Oper im Untertitel auch „Il Dissoluto Punito“ (Der bestrafte Wüstling) heißt. Bei Mozart funktioniert das so: Die steinerne Reiterstatue des Komturs, also des Mannes, den Don Giovanni im ersten Akt mit dem Degen erstochen hat, erwacht zum Leben, akzeptiert Don Giovannis tolldreiste Einladung zum Essen, unternimmt einen letzten Versuch, den großen Frevler zu bekehren – und zieht ihn dann, als dieser höhnisch ablehnt, hinunter in den Erdboden.

Nichts von dem ist in der Mannheimer Inszenierung zu sehen. Das Reiterstandbild hat man erst durch einen verwelkten Grabkranz ersetzt und dann durch zwei leere Stiefel groß wie Kleinwägen, die von Kulissenschiebern ein bißchen sehr auffällig auf die Bühne gewuchtet werden. Das geht gar nicht. Das zum Leben erwachende steinerne Standbild, das natürlich den Teufel symbolisiert, gehört zum Grundstock der europäischen Mythologie, kann also nicht einfach entsorgt werden.

Gegen soviel Willkür in der Regie können die durchweg guten Sänger und das überzeugend aufspielende Orchester, das zum ersten Mal Naturhörner verwendet und auf romantisches Streicher-Vibrato verzichtet, nicht mehr viel ausrichten. Der Abend bleibt enttäuschend und ein Drittel der Plätze nach der Pause leer. 

Die nächsten „Don Giovanni“-Vorstellungen am Mannheimer Nationaltheater am Goetheplatz finden am 2., 8. und 20. November jeweils um 19 Uhr statt. Kartentelefon: 06 21 / 16 80 150

 www.nationaltheater-mannheim.de