© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/18 / 02. November 2018

Der Flaneur
Der WG-Käse
Bernd Rademacher

An Tagen wie diesen …“, grölt der amtierende Bundespunker Campino aus der Unterhaltungselektronik. Herr Studienrat feiert Geburtstag. Freunde, Nachbarn und Kollegen sind eingeladen. Von den Gästen in der Küche ist nur einer kein Lehrer oder Psychologe, das bin ich. Den Gesprächen um Verbeamtung und Lehrplänen kann ich nicht folgen. 

Von Aperol Spritz wechselt man zum Bier und vom Thema Schule zur Bundesliga. Es herrscht eine uniforme Abneigung gegen den FC Bayern („Kommerz!“) und RB Leipzig („Kommerz!“). Auf unbedarfte Nachfrage, was an RB Leipzig eigentlich so schlimm sei, erklärt man mir: „Die haben einfach keine Fußballtradition.“ 

Es herrschen Konformitätsdruck und eine ständige Angst davor, „spießig“ zu sein.

Seltsam, denn Tradition gilt in diesem Milieu ansonsten als furchtbar „spießig“. Überhaupt herrscht eine ständige Angst davor, „spießig“ zu sein. Man entschuldigt sich dafür, daß man seinen Vorgartenrasen mäht und gibt allem einen ironischen Dreh, um sich bloß nicht spießig vorzukommen. Ich will nicht unfair sein, es sind alles nette Leute, mit denen man gut unverbindlich plaudern und anstoßen kann. Dennoch liegt ein unterschwelliger Konformitätsdruck in der Luft. Hier den gängigen Meinungsstandards über Trump, Atomkraft, „Flüchtlingen“, Homo-Ehe etc. zu widersprechen, führt unweigerlich zu Ausgrenzung. Selbst übers Wetter zu sprechen ist heikel, wegen Klimawandel und so.

Am besten stopfe ich mir selbst den Mund am Buffet, es locken Chili con Carne (vegetarisch), Antipasti und Mousse au chocolat. Beim Blick auf die Käseplatte muß ich schmunzeln. Man zeigt doch Sinn für Tradition: Der typische „WG-Käse“ grüßt als Relikt aus Studentenzeiten vom Holzbrett.

Der WG-Käse ist ein soziologisches Phänomen. Er entsteht, weil die WG-Mitglieder zu faul sind, die Käseränder zu beschneiden und stattdessen das Stück so lange aushöhlen, bis eine U-Form entsteht. Ich traue mich kaum, den Käse wieder zu begradigen, vermutlich gilt das als spießig.