© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

Wo bleibt die Debatte?
UN-Migrationspakt: AfD bringt die umstrittene Thematik ins Parlament / Auswärtiges Amt spricht von „politischer Stimmungsmache“
Björn Harms

Wohl kaum ein Thema polarisiert derzeit die Öffentlichkeit so sehr wie der Migrationspakt der Vereinten Nationen (Uno). Rund 190 Staaten sind in weniger als vier Wochen dazu aufgerufen, eine rechtlich nicht bindende Selbstverpflichtung zu unterschreiben, die helfen soll, die globale Migration zu steuern – doch in den Augen der Kritiker der Masseneinwanderung nach Europa Tür und Tor öffnet. 

Auch die AfD bekräftigte jüngst zum wiederholten Mal: Die Bundesregierung dürfe unter keinen Umständen den „Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration“ (GCM) unterschreiben. Schließlich stellten „die Änderungen eine erhebliche Einschränkung der Grundlage der deutschen Staatlichkeit dar“, wie es in einem Antrag der Bundestagsfraktion heißt, über den am Donnerstag im Parlament beraten wurde. Zwar betone das Uno-Dokument in seiner Präambel, rechtlich nicht bindend zu sein, schreiben die Abgeordneten der AfD. Doch diese Einordnung trüge. Bereits nach wenigen Jahren könne „die politische Erklärung als Gewohnheitsrecht“ verstanden werden, wie etwa die Geschichte der UN-Menschenrechtserklärung aufzeige. Durch jene Instrumente, Völkerrechtler sprechen von „Soft Law“, könne geltendes Recht geschaffen werden, „ohne daß ein nationales Parlament je einen völkerrechtlichen Vertrag ratifiziert haben muß“.

Auch in der CDU wächst der Widerstand

Ein weiterer Vorwurf der AfD: Der GCM zeichne ein einseitig positives Bild der Migration. Und tatsächlich definiert das Papier die Einwanderung als „Quelle des Wohlstands, der Innovation und der nachhaltigen Entwicklung“. Negative Auswirkungen blendet der 32seitige Text gleich komplett aus. Passend dazu sollen Medienvertreter „hinsichtlich Migrationsfragen sensibilisiert und aufgeklärt“ werden. Zur Not müsse die „öffentliche Finanzierung oder materielle Unterstützung von Medien, die systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegenüber Migranten fördern“, eingestellt werden – für die AfD „ein massiver Eingriff in die Pressefreiheit.“

Doch ungeachtet der lauter werdenden Kritik, brandmarken Politik und Medien die Proteste einhellig als rechte Panikmache. „So verbreitet sich die rechte Verschwörung“, titelte etwa die Huffington Post – gab jedoch selber zu: „Über die negativen Aspekte der Migration finden sich nur wenige Sätze in dem Dokument.“ Eine grobe Falschdarstellung: Kein einziger Satz des Migrationspaktes befaßt sich mit negativen Faktoren. „Rechtsnationalisten schüren Ängste“, warnte auch die Deutsche Welle ihre Leser. Das Auswärtige Amt sprach gar von „Falschmeldungen“ und „politischer Stimmungsmache“. Die Behörde will den Vorwürfen mit einer umfassenden Informationskampagne entgegentreten.

In anderen Parteien hält man die Kritik der AfD an dem Pakt ebenfalls für substanzlos. Die AfD belebe in ihrem Kampf gegen das Abkommen „eine der populärsten Verschwörungstheorien“, befand etwa die migrationspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen, Filiz Polat. Sie propagiere einen „großen Bevölkerungsaustausch“ und schüre Ängste, die als Nährboden für Haß, Gewalt und Rassismus dienten. Die anstehende Unterzeichnung des Migrationspaktes sei ein Erfolg des Multilateralismus – „und damit ein klares Signal gegen nationale Alleingänge, sei es von Donald Trump oder Viktor Orbán“. 

Wer die Mitarbeit an globalen Lösungsansätzen verweigere und den Menschen stattdessen einrede, „man müsse sich nur hinter Mauer und Stacheldraht verschanzen, der ist schlichtweg verantwortungslos“, mahnte auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Nick.

Doch interessanterweise hatte sich auch in seiner Partei Anfang Oktober erster Widerstand gegen das Abkommen geregt. Lange Zeit schien es so, als würde das seit April 2017 vorbereitete Papier sang- und klanglos von der Bundesregierung durchgewinkt werden können. Doch nicht nur seitens alternativer Medien nahm der Druck zu. Auch in der CDU-Basis rumorte es. Einzelne Abgeordnete begannen schließlich Fragen zu stellen, allgemeiner Unmut an der nicht vorhandenen Diskussion über den GCM machte sich breit. Der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Stephan Mayer (CSU), versuchte die Angelegenheit klein zu halten. In einem Rundbrief an die Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion sprach er Mitte Oktober von gezielten Desinformationen. Kritikern warf er „Polemik“ und „unsachliche Rhetorik“ vor. Die nationale Souveränität in Grenz- und Sicherheitsfragen werde nicht angetastet, beteuerte Mayer. Er bitte daher alle Abgeordneten, den GCM auch künftig zu unterstützen.

Doch die einflußreiche Mittelstands-Union, die Arbeitsgemeinschaft der mittelständischen Unternehmer innerhalb der CSU, ließ nicht locker. Warum beteiligten sich dann andere Länder wie die USA, Österreich oder Ungarn nicht an dem Pakt, fragten die Mitglieder Mayer. Und weiter: „Wieso müssen wir die Migration erleichtern? Ist jede Migration zum Wohle aller?“ Weshalb solle über diese Themen nicht diskutiert werden?

Allmählich wunderten sich auch CDU-Politiker wie Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer: „Wie kann man bei einem so sensiblen Thema nur so technokratisch agieren?“ Die Lehre aus 2015 müsse doch für die Bundesregierung eine „höchst mögliche Transparenz, Information und Diskussion im Parlament und der Öffentlichkeit“ sein. Alexander Mitsch, Vorsitzender der Werte-Union, legte im „ARD-Morgenmagazin“ nach: „So ein sensibles Thema darf nicht einfach am Parlament vorbei entschieden werden“, sagte er. „Der Bundestag muß entscheiden, ob dieses Dokument unterschrieben wird oder nicht.“ 

Schließlich sah sich auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus genötigt, zu reagieren. Kurzfristig setzte er das Thema am Dienstag auf die Tagesordnung der Fraktionssitzung, wo es laut Teilnehmerangaben zu 25 Wortmeldungen kam, die größtenteils eine vermehrte Aufklärung forderten. Auch Kanzlerin Angela Merkel ergriff das Wort und verteidigte den Pakt. Die Unionsfraktion will nun einen eigenen Entschließungsantrag im Bundestag einbringen. Wie passend: Entschließungsanträge des Parlaments sind rechtlich nicht bindend, sie haben lediglich auffordernden Charakter.