© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

Ländersache: Sachsen
Leipziger Fußball-Allerlei
Paul Leonhard

Die derzeit einzige Bundesligamannschaft in den „neuen Ländern“ ist der auf Initiative eines Getränkeherstellers gegründete Retortenclub Rasen-Ballsport (RB) Leipzig. Für glänzende Augen unter Fußballfans (nicht nur) in der Messestadt sorgt jedoch der immer noch legendäre VfB Leipzig. Ihm gebührt für alle Zeiten ein Ehrenplatz in der Sportgeschichte, wurde der Verein für Bewegungsspiele doch Sieger der ersten gesamtdeutschen Fußballmeisterschaft. Lange, lange her ist das, 1903. Weitere Erfolge der Blau-Weißen aus Probstheida: Akademischer Meister, Mitteldeutscher Pokalsieger, zehnmal Mitteldeutscher Meister und dreimal Deutscher Fußballmeister. 

Doch an all das soll erinnert werden, wenn Fußball-Leipzig am Sonnabend in der Kongreßhalle am Zoo den 125. Jahrestag der Gründung des VfB feiert. Dabei wird es auch darum gehen, wer eigentlich der Nachfolger des bürgerlichen Traditionsvereins ist. Wegweisend heißt das Motto: Vom VfB zum 1. FC Lok Leipzig.

Die sowjetische Besatzungsmacht hatte nach der Kapitulation das gewachsene deutsche Vereinswesens in ihrer Zone zerschlagen. Die genehmigten Neugründungen taten sich in den folgenden Jahren vor allem mit ihren Namen schwer. Im einstigen VfB-Stadion spielte jetzt die SG Probstheida, die 1948 plötzlich Betriebssportgemeinschaft (BSG) Erich Zeigner Probstheida hieß und sich zwei Jahre später in die BSG Einheit Leipzig-Zentrum und die BSG Einheit Leipzig-Ost aufspaltete. Aus letzterer entstand Ende 1954 der SC Rotation. Dieser wurde nach neun Jahren in die BSG Chemie Leipzig und den SC Leipzig aufgeteilt, aus dem wiederum der 1. FC Lokomotive hervorging. Ähnlich erging es den anderen Vereinen in der DDR. Wer die Kicker-Jahrbücher aus jenen Jahren liest, kann nachempfingen, wie schwer es westdeutschen Analysten fiel, die Übersicht über das Fußballgeschehen jenseits des „Eisernen Vorhangs“ zu behalten. 

Kompliziert wurde es auch nach der deutschen Wiedervereinigung. Lok Leipzig, zwar nie Meister, aber immerhin viermal Gewinner des FDGB-Pokals und damit einer der erfolgreichsten DDR-Klubs, nannte sich plötzlich zum Unverständnis vieler seiner Fans VfB Leipzig. Die Umbennung stand jedoch unter keinem guten Stern. Sportlich ging es abwärts. Zur Jahrtausendwende sah sich der Traditionsverein in der viertklassigen Oberliga Nordost-Süd wieder. Im Juli 2004 wurde der VfB nach der Insolvenz aufgelöst. 

Zwischenzeitlich war der 1. FC Lok Leipzig neu gegründet worden. Doch durch die „Fischelanz“ (sächsisch für Gewieftheit) einiger Mitglieder scheint der VfB als „leere Hülle“ doch irgendwie überlebt zu haben. Überdies bekennt sich Lok in seiner Satzung ausdrücklich zum VfB. Ziel ist eine vereinsrechtliche Fusion mit dem insolventen, aber offiziell noch Traditionsverein. So könnte es durchaus sein, daß die Jubiäumsfeier, bei der in den 11. November hineingefeiert werden soll, zur dritten Gründung des VfB Leipzigs führt. Dann könnte man auf immerhin 119 Jahre ununterbrochenen Punktspielbetrieb verweisen, 90 Jahre davon erstklassig. 

Daß es den VfB- beziehungsweise Lok-Fußballern allerdings gelingt, zu denen des RB Leipzig in die höchste Spielklasse aufzuschließen, ist auf absehbare Zeit unwahrscheinlich. Dafür fehlen die Millionen eines Großsponsors.