© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

Wenn Mutti früh vom Vorsitz geht ...
CDU-Parteispitze: Wer wird der Nachfolger von Angela Merkel? / Drei Kandidaten gelten als die Aussichtsreichsten
Jörg Kürschner

Im Konrad-Adenauer-Haus wird in diesen Wochen Schwerstarbeit geleistet. Es gilt einen CDU-Parteitag zu organisieren, auf dem nach derzeitigem Stand zwölf Bewerber Nachfolger der Vorsitzenden Angela Merkel werden wollen. Es sind unter anderem die drei prominenten Anwärter Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn sowie die bereits bekannten Basis-Bewerber Jan-Philipp Knoop, Andreas Ritzenhoff und Matthias Herdegen. 

Es liegt 47 Jahre zurück, als die Delegierten eines CDU-Parteitags die Wahl zwischen zwei Kandidaten hatten. 1971 unterlag der spätere Dauer-Vorsitzende Helmut Kohl dem damaligen Fraktionschef und später gescheiterten Kanzlerkandidaten Rainer Barzel deutlich im Kampf um den Vorsitz. 2018 geht es darum, den innerparteilichen Wahlkampf gleichberechtigt und fair zu organisieren.

Deshalb läßt Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer ihr Amt bereits ruhen. Stattdessen informierte Merkel gemeinsam mit ihrem Bundesgeschäftsführer Klaus Schüler über das Verfahren. Zwischen Mitte und Ende November sollen sich die Bewerber interessierten Parteimitgliedern in acht Regionalkonferenzen vorstellen. Es gilt: Gleiche Redezeit für alle. Vor dem Parteitag kann bereits Kandidat werden, „wer als Mitglied der CDU vom Bundesvorstand, vom Bundesausschuß, den jeweiligen Vorständen der Bundesvereinigungen, der Landesverbände, der Bezirksverbände, der Kreisverbände oder des Auslandsverbands vorgeschlagen wird“, erläuterte Schüler. Auch auf dem Parteitag können noch Nominierungen erfolgen. 

Eine Befragung der rund 425.000 Mitglieder ist aus Zeitgründen nicht geplant, obwohl diese laut Satzung möglich ist. So liegt es an den 1.001 Delegierten, die Merkel-Nachfolge zu entscheiden. Daß es in Hamburg um eine Richtungsentscheidung geht, versucht die Parteiführung zu übergehen. Das Ringen um das Beste für die Christdemokraten belebe und motiviere die Partei, heißt es stattdessen. 

Vorfestlegungen auf einen Kandidaten sind bislang die Ausnahme, Animositäten etwa zwischen Merkel und Merz werden dementiert.





Der Ruhestörer

Bis zum Reformationstag war Jens Spahn der unbestrittene Anti-Merkel, der sich als ihr konservativer Kritiker auch außerhalb der CDU einigen Respekt verschafft hat. Doch durch den fulminanten Presseauftritt von „Superstar“ Friedrich Merz ist der 38jährige unversehens ins Hintertreffen geraten. Blitzumfragen und Medienberichte sagen im Rennen um die Nachfolge von CDU-Chefin Angela Merkel einen Zweikampf zwischen dem fast 63jährigen Friedrich Merz und der Merkel-Getreuen Annegret Kramp-Karrenbauer voraus. Doch bis zum Parteitag am 7. Dezember in Hamburg sind es noch vier Wochen, die in der Politik eine lange Zeit sein können. Und Spahn, daran läßt sein Lebenslauf keinen Zweifel, wird kämpfen, wirbt in einem Video für einen Neuanfang der CDU; mit ordentlich Distanz zu Merkel: „Die CDU ist das Herz unserer Demokratie – Wir haben zugelassen, daß dieses Herz an Kraft verliert“, heißt es darin. Oder: „Tolerant, aber nicht naiv … pragmatisch, aber nicht beliebig“ müsse sich die Partei präsentieren.

Zielstrebig verlief dessen Parteikarriere, die bereits im Alter von 15 Jahren in der Jungen Union begann. Zwei Jahre später, 1997, trat der Münsterländer der CDU bei. Da neigte sich die Kanzlerschaft von Helmut Kohl dem Ende zu. Mit 22 Jahren schaffte der Aufsteiger den Sprung in den Bundestag, dem er als direkt gewählter Abgeordneter inzwischen 16 Jahre angehört. Dort blieb der gelernte Bankkaufmann mit abgeschlossenem Politikstudium kein Hinterbänkler. 2015 Finanz-Staatssekretär unter dem gestrengen Ressortchef Wolfgang Schäuble, seit März Bundesgesundheitsminister. 

In der Partei wird Spahns demonstrativ herausgestellte konservative Haltung mitunter in Frage gestellt. Gern provoziert er durch markige Sätze. „Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut. Damit hat jeder das, was er zum Leben braucht.“ Dann genießt der in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebende Katholik die Aufmerksamkeit. Im Frühjahr adelte er das Jahrestreffen der Werte-Union, einer von der CDU nicht als Parteigliederung anerkannten Merkel-kritischen Gruppierung, überraschend mit einem schriftlichen Grußwort. Später sprach er allerdings von einem Fehler. Stets hat sich Spahn als äußerst durchsetzungsstark erwiesen. Auf dem „Spahn-Friedhof“ liegt der frühere Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe in der vordersten Reihe, dem er 2014 den Platz im Parteipräsidium und vier Jahre später im Kabinett streitig machte. Da verwundert es wenig, daß der einst Unterlegene jetzt Stimmung gegen seinen Widersacher macht. „Wer als Anti-Merkel auftritt, wird verlieren.“ (jk)





Die Erbin

In Zeiten des Umbruchs ist es wichtig, daß man auf Abstand zu einstmals großen Vorbildern gehen kann. „Annegret Kramp-Karrenbauer ist keinesfalls eine Merkel 2. Sie hat eigene Positionen und Ideen“, sagte unlängst der ehemalige Ministerpräsident von Thüringen, Bernhard Vogel, und es sollte wie eine Hilfestellung klingen. Denn obwohl die scheidende CDU-Vorsitzende Angela Merkel es tunlichst vermeidet, einen oder eine Nachfolgerin zu empfehlen, ist klar, daß die Saarländerin ihre Kandidatin ist. Nur: Das muß in diesen Tagen nicht unbedingt ein Vorteil sein. Und so feilen die Merkelianer im Konrad-Adenauer-Haus, um der 56jährigen ein eigenes politisches Profil zu verpassen. Denn die Juristin Kramp-Karrenbauer hat bisher nichts anderes gemacht als Politik.

Zu ihrem politischen Lebenslauf zählen neben ihrer Funktion als Ministerpräsidentin des Saarlandes die Ämter als Landesvorsitzende der CDU Saar, als stellvertretende Vorsitzende der Frauenunion, als Ministerin in verschiedenen Ressorts im Saarland und zuletzt als Mitglied im CDU-Bundespräsidium und als Generalsekretärin. Wie Merkel auch, gilt die 56jährige als äußerst machtbewußt, obwohl sie häufig unterschätzt wird. Als der langjährige Ministerpräsident Peter Müller das Saarland Richtung Bundesverfassungsgericht verließ, setzte sich „AKK“ gegen eine dominante Männerriege durch. Zimperlich war sie dabei nicht. 2012 beendete sie nach monatelangen Querelen innerhalb der Saar-FDP die bis dato erste Jamaika-Koalition – ausgerechnet am traditionellen FDP-Dreikönigstag.

Als Innenministerin hat sich Kramp-Karrenbauer stets als Befürworterin eines starken Staates ausgesprochen. Sozialpolitisch gilt sie eher als links. Gesellschaftspolitisch bedient sie aber auch gerne die konservative Parteiseele. Sie tritt als entschiedene Gegnerin der Homo-Ehe auf und zog sich so den Zorn der sogenannten LGBT-Community zu, als sie die Ehe von gleichgeschlechtlichen Paaren indirekt mit Inzest und Polygamie verglich. Im Sommer 2018 wies sie außerdem die Anerkennung der „Schwulen und Lesben in der Union“ als offizielle Parteivereinigung ab. Wenn es um Frauen-Themen geht, ist „AKK“ allerdings progressiv. Ihr Mann zog die drei Kinder groß, während sie politische Karriere machte.

In Fragen der Einwanderungspolitik hat sich Kramp-Karrenbauer stets hinter die Kanzlerin gestellt und sprach sich beispielsweise gegen eine einseitige Schließung der deutschen Grenzen aus. Zudem wandte sie sich gegen eine antimuslimische Haltung der CDU. Zu umweltpolitischen Themen hat sie sich bisher kaum geäußert, allerdings gilt die Juristin als extrem flexibel. Einer Annäherung an die Grünen auf Bundesebene wird sie deshalb wohl kaum im Wege stehen. (cs)





Der Rächer

Daß es bei demokratischen Wahlen um Inhalte geht, ist ein verbreiteter Irrtum. Das hat sich in den knapp anderthalb Wochen seit der politischen Rückkehr von Friedrich Merz gezeigt. Seit den ersten Eilmeldungen, die vergangene Woche von der Kandidatur des einstigen Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für den CDU-Vorsitz kündeten, steht der 62jährige im Mittelpunkt der Diskussion um die Nachfolge Angela Merkels im höchsten Parteiamt der Union – obwohl die politischen Inhalte, für die Merz steht, bislang kaum eine Rolle gespielt haben. Merz’ Spitzenstellung unter den Bewerbern um den CDU-Vorsitz speist sich bislang vor allem aus dem besonderen Verhältnis zu Merkel, die ihn 2002 vom Posten des Fraktionsvorsitzenden der Union verdrängt hatte – und aus dem Überraschungsmoment der plötzlichen Rückkehr nach fast zehn Jahren außerhalb der Politik.

Was sich an inhaltlichen Konturen erahnen läßt, ist alles andere als ein radikales Gegenprogramm zum bisherigen Kurs Merkels. In der Öffentlichkeit werden vor allem Schlagworte gehandelt, die sich zwischen den Polen Konservativ und Neoliberal bewegen. Am ehesten werden Unterschiede zu Merkel in der Gesellschaftspolitik deutlich. Hier hat Merz mit seiner im Jahr 2000 angestoßenen Debatte über eine deutsche Leitkultur seinen Ruf als Konservativer geprägt. Zudem gilt Merz als ausgesprochen wirtschaftsfreundlich und dürfte sich der Stimmen des Wirtschaftsflügels der Union sicher sein. In der Europapolitik ließ der frühere Europaabgeordnete bislang keine fundamentalen Gegensätze zu Merkel erkennen, ein Europaskeptiker ist er mit Sicherheit nicht. Glaubt man Stimmen aus der CDU, könnte diese sparsame Programmatik dennoch reichen. „Die Basis ist besoffen von Merz“, zitiert der Spiegel einen CDU-Bezirksvorsitzenden aus Nordrhein-Westfalen. Doch warnend fügt der Parteifunktionär hinzu: „Aber das kann sich auch wieder ändern.“ 

Tatsächlich weiß Merz, daß er politisch angreifbar ist – und er weiß, daß seine Gegner es auch wissen. Genüßlich streuen diese bereits Details über den Wohlstand, den sich Merz bei seinem Ausflug in die Wirtschaft erarbeitet hat. Von Tagessätzen als Anwalt in Höhe von 5.000 Euro und einem eigenen Flugzeug ist die Rede. Vor allem sein Engagement beim Vermögensverwalter Blackrock könnte ihm zu schaffen machen und in den unvorteilhaften Ruf eines Kandidaten der „Finanzindustrie“ bringen. 

Immer wieder ist daher in den vergangenen Tagen in der Union mit warnendem Unterton eine Parallele zum schwer verunglückten Schulz-Zug der SPD gezogen worden. Auf den geplanten acht Regionalkonferenzen der CDU wird sich schon bald zeigen, ob der Merz-Hype wirklich nachhaltig ist, oder ob der böse Einwurf von Jürgen Trittin zutrifft, Merz sei ein „Zombie aus dem Grab“. (pm)