© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Provokante Abschiedsrede
Paul Rosen

Einen Moment hatten sie im Präsidialamt gedacht, es ginge um den Rücktritt von Horst Seehofer, als das Innenministerium anrief und sich nach dem Terminplan von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erkundigte. Es ging aber nur um die Frage, wann Steinmeier die Entlassungsurkunde für Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen unterschreiben könne. 

Maaßen hatte die nach den Chemnitzer Vorfällen von der Regierung verdrehte Nachrichtenlage enttarnt, sich den Zorn der Etablierten und Medien zugezogen, eine Koalitionskrise ausgelöst und dann noch die „Frechheit“ besessen, seine Äußerungen zu wiederholen. Was gerade in Berlin passiert, erinnert an finstere Zeiten, als Überbringer schlechter Nachrichten enthauptet wurden. 

Seehofer hatte sich zwar für Maaßen eingesetzt, dessen zunächst vereinbarte Berufung zum Staatssekretär aber nicht durchsetzen können, nachdem SPD-Chefin Andrea Nahles dem Druck aus den eigenen Reihen nicht standhielt. Die danach geplante Ernennung zum „Sonderbeauftragten“ im Innenministerium dürfte Maaßen als Versetzung dritter Klasse interpretiert haben. Wohl deshalb wählte er das Mittel der Provokation und erklärte in einer Rede zu den Chemnitzer Vorfällen, wo Ende August ein Deutscher von Asylbewerbern erstochen worden war, er habe „bereits viel an deutscher Medienmanipulation und russischer Desinformation erlebt. Daß aber Politiker und Medien ‘Hetzjagden’ frei erfinden oder zumindest ungeprüft diese Falschinformation verbreiten, war für mich eine neue Qualität von Falschberichterstattung in Deutschland.“ 

Ein Interview, in dem er das festgestellt hatte, hätten „linksradikale Kräfte in der SPD“ zum Anlaß genommen, eine Koalitionskrise auszulösen. Der „menschlich enttäuschte“ Seehofer ließ Maaßen rauswerfen. Der wiederum konnte sich die Berliner Hysterie nicht erklären: „Ich hätte nie gedacht, daß die Angst vor mir und der Wahrheit Teile der Politik und Medien in solche Panik versetzt.“

In Berlin wird gefragt, warum diese im Intranet des Verfassungsschutzes zwei Wochen lang nachzulesenden Äußerungen dem Innenminister nicht mitgeteilt wurden und auch von den Faktenfindern der Medien nicht recherchiert wurden. Von Seehofer heißt es ohnehin, er nehme die Dinge nur noch selektiv zur Kenntnis, lese Unterlagen entweder gar nicht oder unaufmerksam. Ihm kommt zugute, daß der Rückzug von Kanzlerin Angela Merkel die Schmach der eigenen Wahlniederlage etwas verdeckt und daß es in der CSU niemand eilig hat, den Parteichef zu beerben. Die Entlassung von Maaßen kommt der SPD entgegen, was den Druck auf Seehofer verringert.

Seehofer glaubt, es mal wieder allen gezeigt zu haben. Warnungen wie im Münchner Merkur, Maaßen könne wie angedeutet in die Politik gehen und damit „zum Albtraum für die Groko-Parteien und die Grünen werden“, ignoriert der CSU-Chef. Auch einer früheren Empfehlung von Peter Gauweiler folgte er nicht. Gauweiler hatte ein Rilke-Gedicht („Herr, es ist Zeit, der Sommer war sehr groß“) umformuliert: „Horst, es ist Zeit.“ Daran hat sich nichts geändert.