© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

Der Lega-Chef hat immer ein As im Ärmel
Italien: Mißtöne über Salvinis „Law and Order“-Politik – aber keine Regierungskrise
Marco Gallina

Es sollte Matteo Salvinis neuester Trumpf sein. Das nach ihm benannte Sicherheitsdekret hatte schon vor Wochen für Furore gesorgt, als der Lega-Chef dieses zusammen mit Premierminister Giuseppe Conte vorstellte. Verschärfte Regeln für Einwanderung und Asyl, erhöhte Ausgaben für die Polizei, massive Bekämpfung der Mafia: das ambitionierte Paket sollte sein Profil als „Law and Order“-Politiker festigen. Doch jetzt droht Widerstand – aus den Reihen des Koalitionspartners. Die Rebellen führt Senatorin Paola Nugnes von der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) an. Die verkündet öffentlich: „Ich werde gegen das Sicherheitsgesetz stimmen.“ 

Fünf-Sterne-Dissidenten proben den Aufstand

Nugnes ist nicht allein. Insgesamt vier Dissidenten soll es in den Reihen des M5S geben, die gegen das Sicherheitsdekret Einspruch erhoben haben. Der Sache nach geht es vor allem um die drakonischen Strafen des Pakets, demnach eingebürgerte Ausländern bei schweren Delikten die italienische Staatsbürgerschaft aberkannt werden soll. 

Neben sachlichen Erwägungen geht es aber auch um einen Richtungsstreit: viele Grillini, die in die Partei als Regierungskritiker eintraten, sehen die aktuelle Regierung zu sehr in der Tradition klassischer Altparteienregierungen. Diskussionen wie diese haben den M5S schon in der letzten Legislatur Stimmen, Mitglieder und sogar Abgeordnete gekostet, die kurzerhand aus der Bewegung austraten.

Aber auch auf seiten der Lega hängt der Haussegen schief. Lega-Mann Paolo Giorgetti kritisierte das Grundeinkommen, eine der zentralen Forderungen des M5S: „Solange es Arbeitsplätze schafft, ist es eine gute Sache. Sonst bleibt es eine reine Unterhaltszahlung.“ Giorgetti rechnete vor, daß zugunsten des Grundeinkommens keine „flat tax“ im Sinne der Lega zustande gekommen sei.

Die Botschaft dabei: Hätte die Lega ihre eigene Finanzpolitik konsequent umgesetzt, statt den sozialen Wohltaten des M5S nachzukommen, so hätte es keinen Rüffel aus Brüssel gegeben. Für den Vizeministerpräsidenten Luigi Di Maio und seine Partei sind solche Belehrungen ein Affront.

Es ist nicht die erste Regierungskrise in der seit Juni amtierenden Regierung aus Lega und M5S. Zuletzt einte die Koalitionspartner der gemeinsame Gegner in Brüssel. Dennoch können beide Parteien ihre Herkunft nicht verleugnen. Im Gegensatz zur wirtschaftsliberalen Lega, die ihre Stärke auch auf die kleinen und mittleren Unternehmer in Norditalien zurückführt, hat die Bewegung des Komikers Beppe Grillo sich stets für soziale bzw. etatistische Maßnahmen eingesetzt.

 Vor seinem Austritt war der Genuese selbst Mitglied des sozialdemokratischen Partito Democratico, die Fünf Sterne begannen als linksalternative, basisdemokratische Vereinigung. Bis heute gilt der M5S auch als eigentlicher Erzfeind des PD, weil die Jungen um Di Maio im linksliberalen Milieu der einst mächtigsten linken Partei gewütet haben.

Eine der berüchtigten italienischen Regierungskrisen bleibt jedoch unwahrscheinlich. Im Senat sitzen 167 Senatoren der Koalition. 161 reichen für die absolute Mehrheit. Die vier Dissidenten brauchen also weitere Unterstützer, wenn sie das „Decreto Salvini“ zu Fall bringen wollen. 

Und selbst in diesem Fall hätte Salvini ein As im Ärmel: die Abgeordneten der rechtsnationalen Fratelli d’Italia (FdI). Mit der FdI und ihrer Chefin Giorgia Meloni pflegt Salvini seit Jahren ein Vertrauensverhältnis. Es könnte das Vorspiel zu einer Lösung sein, die Salvini schon nach der Wahl favorisiert hatte: eine Aufnahme der „Brüder Italiens“ in die Regierung.

Di Maio weiß offenbar um diese Option. Sie würde den Seniorpartner weiter schwächen. Daher wirbt der Spitzenkandidat des M5S immer wieder für Einigkeit, bezeichnet die Bewegung als „große Familie“. Ein Bruch der Koalition hieße nämlich auch: Neuwahlen und damit ein massiver Zugewinn der Lega, die sich von 17 auf über 30 Prozent in den Umfragen gesteigert hat. Dann könnte sich Salvini seine Verbündeten im Parlament selbst aussuchen – ohne Di Maio und die linken Rebellen von den Fünf Sternen.