© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

Was ist Geld?
Das Geld auf ihrem Konto hat ein Problem. Es ist aus nichts als Nummern und Glauben gemacht. Der Mensch konnte sich mit diesem Vergleichsmittel von seiner welt­lichen Bedingtheit befreien. Doch wo führt diese Freiheit hin?
Jost Bauch

Wie vergleicht man Äpfel mit Birnen, einen Porsche mit einem Trabanten oder eine Pflaumenplantage mit einem Raumfahrtkonzern? Klar – mit Geld.

In soziologischer Sicht ist Geld ein Mittel zur Kommunikation. Fachsprachlich genauer: Es ist das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium des Wirtschaftssystems. Symbolisch generalisiert bedeutet dabei, daß die Information für alle Teilnehmer gleich „verständlich“ ist und daß alle Operationen des Wirtschaftssystems  sich in Geld ausdrücken lassen.

Ohne das Kommunikationsmedium Geld ist ein modernes Wirtschaftssystem nicht denkbar. Kurzum: Wenn es irgendwo um Geld geht, dann weiß man, es geht immer um Wirtschaft und vice versa.

Das Problem dieser Kommunikation ist nun die stoffliche Heterogenität der Tauschwaren (Äpfel mit Birnen und so weiter). Kommunikation hat immer mit Tausch zu tun („sich austauschen“). Geld ist also die Maßeinheit der Wirtschaft, so wie Gramm die Maßeinheit des Gewichts. Geld reguliert unsere Tauschhandlungen.

Es ist das „tertium comprationis“, die Maßeinheit, in der sich alle stofflichen Qualitäten in einer bestimmten Quantität eines allgemeinen Äquivalentes ausdrücken lassen.

Um seine heutige Funktion verstehen zu können, hilft es, in die Geschichte zu schauen. Zunächst drückte Geld, erst als „Naturalgeld“ (Muscheln, Schmuck), den Wert aus, den man ihm als Eigenwert zuschrieb. Dann ab 700 vor Christus ließ wahrscheinlich Krösus’ Vater, Alyattes der Zweite, erstes Münzgeld in Kleinasien prägen. Diese Elektron-Prägungen waren revolutionär und wurden kopiert oder parallel noch mal erfunden. Das Geld wurde per Konterfei mit dem König und also mit dem Staat verknüpft. Krösus selbst war bald der Inbegriff für Reichtum. 

Dann wurde das Geld immer abstrakter. Es wurde Verrechnungseinheit ohne selbst Träger eines Wertes zu sein. Zuerst streckten klamme Könige das Gold mit Silber oder Kupfer. Spätestens mit der Einführung das Papiergeldes (um 1100 in China, Spanien um 1480) war der Prozeß der Entstofflichung des Geldes nicht mehr aufzuhalten. In Bälde winkt eine neue Revolution. Wenn sich die Intentionen der Abschaffung des Bargeldes durchsetzen, ist Geld nur noch reine Zahl auf ihrem Bankkonto. Schon heute gibt es etwa 83 Billionen Dollar, die nur als Giralgeld auf Bankkonten existieren. Demgegenüber stehen etwa sieben Billionen Dollar in barer Münze oder als Schein.

Dabei war und ist es schon immer ein revolutionäres Subjekt. Denn ohne Geld wäre das, was wir bürgerliche oder moderne Gesellschaft nennen, gar nicht möglich. Diese Einsicht verdanken wir unter anderem dem letzten klassischen Soziologen, Georg Simmel, der in seiner „Philosophie des Geldes“ (1900) die Auswirkungen der sich ausbreitenden Geldwirtschaft auf die Sozialbeziehungen der Menschen beschrieben hat.

Unter der Naturalwirtschaft gab es, so Simmel, eine unmittelbare Zusammengehörigkeit zwischen Personalität und dinglicher Beziehung. Die Person war vom Besitz der Dinge nicht zu trennen: Sie gehörte als Ganzes zu ihrer Gemeinde, ihrem Landbesitz, zum Feudalverband oder zur Korporation. Die Person war dinglich gefesselt und ihre Identität über den Besitz bestimmt. Sie konnte ohne ihren Besitz gar nicht gedacht werden. Ohne Besitz war man ein Niemand.

Die Entwicklung der Geldwirtschaft löste diese Einheit von Subjekt und Objekt auf. Das Geld trat als Vermittelndes zwischen Person und Besitz. Dadurch verobjektivierte sich das ökonomische Tun, es verlor jegliche Spur eines persönlichen Subjekts, es bildeten sich unpersönliche, funktionalistische Strukturen, die sich aus sich selbst heraus steuerten, und gleichzeitig gewann die Person Handlungsspielräume, gesteigerte Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Der Mensch war nicht mehr in den dinglichen und damit auch sozialen Beziehungen, die ihm im Mittelalter unabwendbar anhafteten, gefangen. Der philosophische Begriff der Freiheit wird beim Engländer Thomas Hobbes und später bei Immanuel Kant erstarken.

Der Mensch konnte sich von den dinglichen Verpflichtungen lösen, der Gutsherr oder der Bauer konnte sein Land verkaufen, der Bürger konnte es erwerben. Dabei änderten sich die sozialen Teilhabebedingungen. In der Geldwirtschaft interessiert nur die Leistungserbringung, der Mensch als Person wird neben seiner Leistungsrolle für die Ökonomie irrelevant, er ist in die Sozialsysteme immer nur teilweise inbegriffen. So werden Arbeitsteilung und funktionale Differenzierung effektiver.

Die sozialen Systeme „stellen um“ auf „unvollständige Integration“ (Hans Paul Bahrdt) und Rollendifferenzierung. Es kommt zu einer Trennung von Motiv und Zweck. Der Zweck der Tätigkeit tritt in den Hintergrund, das Geld fungiert als allgemeines Motivationsmittel. So wird extreme Spezialisierung der Berufsarbeit erlaubt. 

Der Mensch kann zu Tätigkeiten motiviert werden, die ihm selbst langweilig und zwecklos erscheinen: Der Angestellte schreibt acht Stunden am Tag Versicherungspolicen, der Arbeiter zieht am Fließband immer nur die gleiche Schraube an. Die Industrialisierung ist ohne Geldwirtschaft undenkbar!

Durch diese Dominanz, so Simmel, verliert die qualitative Seite der Objekte an psychologischer Bedeutung. Die Menschen verlieren das feste Objekt persönlicher Befähigung, die Dinge werden „vergleichgültigt“, wenn nur das Geld zählt. Das unterscheidet den Parvenü von den Leuten „von Stand“, die mit qualitativen Eigenschaften ausgestattet sind: Herkunft, Sitte, Anstand, Bildung.

Das Geld wird vom Mittel zum Selbstzweck. Es ist ein „erleichternder Mechanismus“, der die Illusion vermittelt, alles sei einfacher zu erreichen. Geld vermittelt die Illusion der „Annäherung an das Glück“. Das ungeheure Glücksverlangen moderner Menschen entsteht, weil die Arbeit nicht mehr erfüllt. Simmel nennt als Protagonisten dieses Glückverlangens die Sozialdemokratie und den Amerikanismus. Mit Geld wird die Maschine des Lebens zu einem Perpetuum mobile. Es ist ein Stachel zur Tätigkeit und Unruhe. Geld ist nach Simmel der Gott unserer Zeit, denn alles kann mit Geld wie beim monotheistischen Gott auf eins, als „coincidentia oppositorum“, reduziert werden. Es ist übersetzt der Zusammenfall der Gegensätze, um es mit Nikolaus von Kues zu sagen. Das Geld ist der „Mehrgott“ der Moderne (Peter Gross).

Heute hat sich die Geldwirtschaft als Finanzkapital zu einem eigenen Subsystem mit eigenen Referenzregeln innerhalb des Wirtschaftssystems herausgebildet. Der Soziologe Armin Nassehi stellt im Blog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie fest, daß sich ökonomische Prozesse teilweise völlig vom Warenverkehr und von der Warenproduktion abgekoppelt haben und auf Optionen eines virtuellen Geldverkehrs zugreifen. Die Finanzwirtschaft trennt sich mehr und mehr von realwirtschaftlichen Umweltbedingungen ab. Die Geldwirtschaft wird ganz im Luhmannschen Sinne autopoietisch,  selbstreferentiell und selbsterschaffend, indem sie aus dem Nichts (creatio ex nihilo) Geld macht (das sogenannte Fiat-Geld). Banken können scheinbar grenzenlos Kredite vergeben und die Notenbanken können pausenlos Geld drucken (die EZB setzte alleine in den Jahren 2015 bis 2017 gut 2,5 Billionen Euro aus dem Nichts geschöpftes Geld ein). Dieses Fiat-Geld entsteht als Bits und Bytes im Computer ohne Eigenwert durch einen Buchungssatz. Es hat noch nicht einmal einen rechtlichen Status wie Banknoten oder Münzen. Die Folgen dieses „Luftgeldes“ sind aber durchaus real: Kann der Kreditnehmer die Schulden nicht zurückzahlen, haftet er mit seinem Eigentum.

Eine realwirtschaftliche Grenze der Geldmengenerweiterung (etwa durch Berücksichtigung von Produktivitätsfortschritten oder Entwicklungen des Bruttoinlands­produktes) ist im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr opportun. Dazu bräuchte man Nationalstaaten mit eigenen funktionsfähigen Notenbanken, die die notwendigen Rückkopplungsschleifen zur Realwirtschaft herstellen könnten.

Mit der Internationalisierung der Finanzpolitik verfügt das System über keine Stopp-Regeln mehr, es muß quasi zwangsläufig immer weiter Luftgeld produzieren, damit die Blasen des bereits Ausgezahlten nicht platzen. Das kann eine Zeitlang gut gehen, solange der einzelne Vertrauen in dieses System hat. Aber wie bereits die Finanzkrise 2007 zeigte, kann dieses Vertrauen schnell erschüttert werden. Dann hilft nur eins: Flucht in die Sachwerte und der Aufbau einer subsistenzwirtschaftlichen Lebensweise mit Kartoffelanbau im Garten. Hier zeigt sich: Computergesteuerte virtualisierte Finanzökonomie und Wirtschaftsweisen aus der Jungsteinzeit liegen gar nicht so weit auseinander.