© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

Pensionskassen leiden unter Niedrigzinsen
Dirk Meyer

Aufsichtsbehörden neigen in unruhigen Zeiten zu beruhigenden Worten. Anders auf der Jahrespressekonferenz der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wurde beim Thema Pensionskassen von „erheblichen Sorgen“ und einer „ernsten Lage“ gesprochen. Die kapitalgedeckte Alterssicherung galt in Zeiten hoher Zinsen als sichere Anlage. Sie war stabil gegenüber einer schrumpfenden Arbeitsbevölkerung und einem politisch unsicheren Umlageverfahren. Staatliche Entlastungen machten die betriebliche Vorsorge zusätzlich attraktiv.

Jedoch sind die Zinsen stark gesunken. Zudem nehmen die Anleiherisiken bei erneut aufflammender Eurokrise sowie wieder steigenden Zinsen und notwendigen Wertberichtigungen zu. Die höhere Lebenserwartung und nicht mehr erfüllbare Garantien machen frühere Kalkulationen obsolet. Zudem wurden staatliche Förderungen  reduziert. Für die betroffenen Arbeitnehmer stellt sich daher nicht nur die Frage, ob die Kassen ihre Zusagen einhalten werden, sondern auch, ob diese vor Insolvenz geschützt sind.

Schuld ist wieder mal die Europäische Zentralbank (EZB), die seit Juli 2009 in diversen Programmen Wertpapiere am Markt aufkauft und die Zentralbankgeldmenge damit um 55 Prozent erhöht hat. Der beabsichtigte Effekt auf die Inflation blieb begrenzt. Vielmehr fließt das Geld in die Immobilien- und Aktienmärkte und verursacht dort eine Vermögenspreisinflation.

Auch die Wirkung auf den Zins könnte beeinträchtigt sein. Nach den wenigen existierenden Untersuchungen ist der Rückgang eher gering und wird für die zehnjährige Bundesanleihe mit rund einem Prozentpunkt angegeben. Demgegenüber sehen David Folkerts-Landau und Stefan Schneider (Deutsche Bank) einen negativen Zinseffekt von vier bis sechs Prozent und sprechen deshalb von einer „Enteignung der Sparer und Blasenbildung“ an den Finanzmärkten. Die „Kollateralschäden“ der Geldpolitik nagen danach immer mehr an den Grundpfeilern unseres Wohlstands und der Absicherung im Alter.

Etwa 18 Millionen Versicherte haben 20,4 Millionen Verträge zur betrieblichen Altersversorgung (bAV) abgeschlossen. 5,4 Millionen Verträge betreffen den öffentlichen Dienst mit seinem verpflichtenden baV-System.

In der Privatwirtschaft gibt es fünf verschiedene Formen, zwischen denen die Beschäftigten wählen können. Zwei Formen sind unternehmensgebunden und zählen 4,7 Millionen direkt an die Unternehmen gebundene Policen. Hier wird jeder zweite Euro der bAV (329 Milliarden Euro) angespart – je Versicherten sind das etwa 70.000 Euro. Man erhält entweder eine Direktzusage (I), worin sich der Arbeitgeber verpflichtet, eine Betriebsrente aus dem Betriebsvermögen zu zahlen. Er bildet dafür Rückstellungen. Die Erträge fließen aus der Wirtschaftskraft des Unternehmens, sind bei einer boomenden Konjunktur gesichert und von den Niedrigzinsen nicht betroffen. Die Ansprüche sind zudem wie alle gesetzlich unverfallbaren Anwartschaften und laufenden Leistungen nach dem Betriebsrentengesetz über den Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) abgesichert.

Oder Unterstützungskassen (II) legen das von den Unternehmen eingezahlte Kapital möglichst gewinnbringend an, um daraus später die Betriebsrenten auszuzahlen. Sollten die Leistungen die Ansprüche der Arbeitnehmer nicht decken können, muß der Arbeitgeber die Differenz ausgleichen. Zusätzlich bietet der PSV einen Insolvenzschutz. Sodann kann der Arbeitnehmer unternehmensexterne Formen der bAV wählen.

Bei einer Direktversicherung (III) schließt der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer zu günstigeren Gruppenkonditionen eine Lebens- oder Rentenversicherung für seine Beschäftigten ab. In den 5,1 Millionen Verträgen sind lediglich 61 Milliarden Euro an Kapital gebunden. Wurden hier 30 Jahre monatlich 100 Euro (36.000 Euro) eingezahlt, stand bei einem Durchschnittszins von 5,66 Prozent pro Jahr bei Rentenbeginn 2006 ein Kapital von 94.474 Euro zur Verfügung. Bei Renteneintritt 2018 sind es wegen des geringeren Zinses von 4,23 Prozent pro Jahr nur noch 72.889 Euro. Zukünftige Ruheständler müssen mit noch schlechterer Rendite rechnen.

Pensionskassen (IV) verwalten etwa jeden vierten Euro (165 Milliarden Euro). Auf die 4,8 Millionen künftigen Betriebsrentner entfallen rund 34.000 Euro pro Vertrag. Diese Versorgungseinrichtungen werden von einem oder mehreren Unternehmen gebildet und sind spezielle Lebensversicherungen.

Davon zu unterscheiden sind Pensionsfonds (V), in denen lediglich 400.000 Verträge mit einem Kapital von 32 Milliarden Euro liegen. Es sind rechtlich selbständige Versorgungseinrichtungen. Anders als Direktversicherungen und Pensionskassen sind Pensionsfonds freier in der Wahl ihrer Geldanlagen. Sie können deshalb den niedrigen Renditen ausweichen, allerdings um den Preis höherer Risiken. Auch sie gehören dem PSV an. Außer den Direktzusagen unterliegen alle betrieblichen Altersversorgungen der Versicherungsaufsicht der BaFin.

Direktzusagen erreichen infolge der guten wirtschaftlichen Entwicklung, der deshalb guten Ertragslage der Unternehmen und eines aktuell leicht erhöhten Kalkulationszinssatzes einen ordentlichen Deckungsgrad von 68 Prozent. Dieser gibt den Prozentsatz der Verpflichtungen an, die mit Kapital abgesicher sind.

Pensionsfonds weichen auf ertragreichere, aber riskantere Aktienanlagen aus. Erheblich schlechter sieht es aktuell aufgrund der Zinssituation insbesondere bei den Pensionskassen aus. Deren Erträge beruhen auf relativ sicheren, aber niedrigverzinsten Anleihen. Im Durchschnitt steht in den Altverträgen eine vertragliche Zusage von 3,2 Prozent. Derzeit wird durchschnittlich noch eine Nettorendite von 3,9 Prozent erwirtschaftet. Je länger die Niedrigzinsphase andauert, desto schwieriger wird die Einhaltung der Garantieversprechen. Seit 2014 haben verschiedene Kassen ihre Verrentungsfaktoren zuungunsten der Versicherten anpassen müssen. Der Rentenfaktor gibt das Umrechnungsverhältnis an, nach dem sich aus dem angesparten Kapital die Höhe der Rente berechnet. 2017 senkten 27 Pensionskassen ihren Rentenfaktor für künftige Verträge ab. Nur eine Kasse kürzte bisher auch laufende Ansprüche. Weitere könnten dazukommen.

Einige Pensionskassen werden ihre bereits eingegangenen Verpflichtungen ohne weitere Leistungen der Arbeitgeber kaum aufrechterhalten können. Ein Drittel – zumeist kleinere – der 137 deutschen Pensionskassen werden von der BaFin deshalb besonders beaufsichtigt.

Voraussetzung für die Einhaltung wären Nachschüsse der Arbeitgeber. Das aber setzt deren Zahlungsfähigkeit voraus. Jede zehnte Pensionskasse hat aktuell besondere Schwierigkeiten. Zwei Kassen könnten ihren Bestand an Fremdinvestoren verkaufen, die bei Bündelungsvorteilen die laufenden Verträge übernehmen und abwickeln. Für die Versicherten ist dies zumeist unvorteilhaft. Die Zustimmung der BaFin steht noch aus.

Die Frage eines Ausfallschutzes wird zunehmend wichtiger. Der PSV wurde 1974 von den Industrieverbänden und der Versicherungswirtschaft gegründet, umfaßt heute 73.000 Unternehmen, die für zehn Millionen Beschäftigte Ansprüche in Höhe von 277 Milliarden Euro abgesichert haben. Die PSV fordert dazu Beiträge, deren Höhe sich nach der Zahl der Insolvenzen beteiligter Betriebe richtet. Im Schadensfall muß der PSV die abgesicherten Rentenzusagen bei einer Lebensversicherung versichern. Zudem kann er bei Großschäden eine Sonderumlage von Mitgliedsunternehmen erheben. Dieser Fall könnte beispielsweise für die Betriebsrenten von Arcandor eintreten, sollten die Ansprüche über zwei Milliarden Euro nicht ausreichend gedeckt sein und die Reserven des PSV von rund 700 Millionen Euro nicht ausreichen.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Er schrieb unter anderm „Euro-Krise: Austritt als Lösung?“.