© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

Ungeschminkt
Jörg Fischer

Dutzende lesenswerte Bücher sind über die Weltfinanzkrise geschrieben worden. Max Otte prophezeite das Platzen der Blase in „Der Crash kommt“. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Shiller schrieb einen Monat vor der Lehman-Pleite eine Ursachenanalyse: „The Subprime Solution – How Today’s Global Financial Crisis Happened, and What to Do About It“. Der Ökonom Hans-Werner Sinn beleuchtete die deutsche Sicht auf die schwerste Krise seit 1929 in „Kasino-Kapitalismus“.

Mit dem Abstand eines Jahrzehnts blickt nun Adam Tooze zurück auf die Krise, die allein Deutschland 400 Milliarden Euro kostete und die Staatsverschuldung auf über zwei Billionen Euro trieb. Sein Opus „Crashed“ analysiert nicht nur 2008, sondern auch das Vor- und Nachbeben und ordnet es geopolitisch ein. So sind für Tooze nicht nur das Platzen der US-Subprime-Kreditblase, sondern auch der billionenteure Irak-Krieg 2003 ursächlich: „Innerhalb von nur fünf Jahren hatten sowohl die außen- als auch die wirtschaftspolitische Elite der USA, des mächtigsten Staats der Welt, ein demütigendes Scheitern erlebt.“ Die Eurokrise wiederum sei „kein separates Ereignis, sondern eine direkte Folge von 2008“, so Tooze. Die Hälfte der von der US-Notenbank Fed zur Verfügung gestellten Dollar-Billionen ging „an Banken, die ihren Sitz nicht in den Vereinigten Staaten, sondern überwiegend in Europa haben“.

Der weitverbreiteten These, daß der deregulierte US-Finanzsektor die Hauptschuld trage, hält Tooze entgegen, daß ein Großteil der hypothekenbasierten Schrottpapiere im Vorfeld der Krise von europäischen Banken ausgegeben wurden. Auch sei der EU-Immobilienboom hemmungsloser gewesen. Spanien zeige das deutlich. Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, das Aufkommen der AfD oder auch der Brexit sind für Tooze ohne den Zusammenbruch der Finanzmärkte nicht zu erklären. Er erinnert eine Erkenntnis von Barack Obama: Es fehlten Perspektiven für die „Verlierer in einer globalisierten Wirtschaft“, denn diese glaubten, sie könnten die erste Generation sein, „in der es den Kindern schlechter als ihnen selbst geht“.

Adam Tooze Crashed Wie zehn Jahre Finanzkrise die Welt verändert haben. Siedler Verlag,  München 2018, 800 Seiten, geb. mit Schutzumschlag, 38 Euro