© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

Gold überrascht während der Deflation durch Stärke
Bruno Bandulet

Wer nicht glaubt, daß Gold vor Inflation schützt, kennt die Finanzgeschichte nicht. Wer in dem Edelmetall nur einen quasiautomatischen Inflationsschutz sieht, macht es sich zu einfach. Gold ist ein Metall mit vielen Eigenschaften. Es ist sicherer als Geld auf der Bank, weil es nicht pleite gehen kann. Es ist liquide und fungibel, weil es im Gegensatz zu anderen Sachwerten weltweit und rund um die Uhr zu Preisen gehandelt wird, über die sich Käufer und Verkäufer nicht erst einigen müssen. Es bietet die perfekte Absicherung gegen den Absturz der Heimatwährung – siehe zuletzt den Crash der türkischen Lira, der den lokalen Goldpreis explodieren ließ.

Und ein nennenswerter Goldanteil am Portfolio, zusätzlich zu Aktien und Anleihen, vermindert zuverlässig dessen Volatilität, worauf selbst die eher goldfeindliche Investmentbank Goldman Sachs in einer Studie ausdrücklich hingewiesen hat. Gold verschaffe eine „exzellente Diversifizierung“, weil es über Zeiträume von fünf, zehn und 20 Jahren hinweg die niedrigste Korrelation zum S&P 500, dem wichtigsten amerikanischen Aktienindex, aufgewiesen habe. Will sagen: Gold kompensiert zumindest teilweise die Verluste in einer Aktienbaisse, die Schwankungsbreite des Gesamtportfolios wird reduziert. Mit Gold kann der Investor ruhiger schlafen – mit Aktien besser essen, solange sie einen ihrer Bullenmärkte durchlaufen.

Aber schützt das Edelmetall auch vor Geldentwertung? Folgt der Preis wirklich den Inflationsraten? Langfristig ja – auf Sicht von ein paar Jahren oder sogar ein oder zwei Jahrzehnten nicht unbedingt. Das kann schon deswegen nicht anders sein, weil sich der Goldpreis nicht linear, sondern zyklisch bewegt. Seit den siebziger Jahren, als die Bindung des Dollars an das Gold endgültig aufgehoben wurde, erreichte Gold ungefähr alle acht Jahre ein zyklisches Tief, um anschließend wieder teurer zu werden: 1976, 1985, 1993, 2001, 2008, 2016. Ein Rhythmus, der dafür sorgte, daß sich gute Goldjahre mit schlechten abwechselten, daß Gold, sowohl gemessen am nominalen Preis als auch an der Kaufkraft, immer wieder eine Zeitlang zurückfiel – und anschließend wieder aufholte.

Auf lange Sicht aber wurde das gelbe Metall seinem Ruf als Wertaufbewahrungsmittel vollkommen gerecht. So kam die Deutsche Bank in einer umfangreichen Studie vom 17. September 2018 („The history (and future) of inflation“) zu dem Ergebnis, daß Gold in den zurückliegenden hundert Jahren eine jährliche reale (inflationsbereinigte) Rendite von 1,3 Prozent erbrachte, Rohöl eine solche von 0,1 Prozent, und daß ein repräsentativer Rohstoff­index mit einem jährlichen Minus von 1,3 Prozent abschloß. Fazit: Nicht Jahr für Jahr, aber in der Tendenz konnte man selbst der Ölpreisinflation entgehen, wenn man statt in Dollar oder einer anderen Währung in Gold zahlte. Und Rohöl ist bis heute der wichtigste Rohstoff.

Zum selben Ergebnis kommt die jährliche Publikation „In Gold We Trust“, die von der Liechtensteiner Incrementum AG herausgegeben wird. Berühmt ist ihre „Gold/Wiesnbier Ratio“. Seit 1950 hat sich die auf dem Münchner Oktoberfest ausgeschenkte Maß pro Jahr um 3,9 Prozent verteuert, diesen Herbst auf durchschnittlich 11,10 Euro. Wer in Gold rechnete, konnte sich im Durchschnitt der Jahre seit 1950 für eine Feinunze Gold 89 Maß leisten. Den Zyklen geschuldet, bekam er für seine Unze am absoluten Tiefpunkt des realen Goldpreises 1971 nur 48 Maß, hingegen 227 Maß am Höhepunkt 1980 – da war Gold definitiv überteuert. Mit 93 Maß im Herbst 2018 war der langjährige Durchschnitt fast wieder erreicht. Da kostete die Feinunze nur wenig mehr als 1.000 Euro. Gold war weder unter- noch überbewertet – nicht so billig wie Anfang der siebziger Jahre oder um die Jahrtausendwende, aber bei weitem nicht so teuer wie 1980 oder 2012.

Der Zusammenhang zwischen Inflation, Deflation und realen Goldpreisen wurde schon 1977 von Roy W. Jastram (University of California) untersucht und wissenschaftlich belegt. Sein Buch trug den Titel „The Golden Constant“. Jastram hatte die englischen Gold- und Großhandelspreise über einen Zeitraum von mehr als 400 Jahren zusammengestellt und indiziert, weil nur für England so lange zurückreichende und zuverlässige Statistiken vorliegen. In den USA konnten die Daten nur bis 1800 zurückverfolgt werden, aber auch dort kam der 1991 verstorbene Ökonomieprofessor zu denselben Ergebnissen.

Mit dem Begriff „Goldene Konstante“ meinte Jastram – und das konnte er nachweisen –, daß die Kaufkraft des Goldes über die Jahrhunderte hinweg zwar während längerer Perioden zu- oder abnahm, aber immer wieder zu einem konstanten Wert zurückkehrte. So gesehen bewegte sich nicht das Gold, dessen Preis unter dem Goldstandard ohnehin fixiert war, sondern das Preisniveau der Waren und Rohstoffe, das stets wieder zu Gold zurückkehrte. Eine Schlußfolgerung, die perfekt zu der Erkenntnis paßte, daß Goldwährungen stabil sind und dauerhafte Inflation ausschließen, weil Gold im Gegensatz zu ungedeckten Währungen nicht beliebig vermehrbar ist.

Wirklich überraschend an Jastrams Arbeit war freilich, daß Gold in Deflationen, die fast immer mit Finanzkrisen einhergehen, real besser abschnitt als in Inflationen. Bei Silber war es umgekehrt, wie Jastram in einem zweiten Buch („Silver: The Restless Metal“, 1981) belegen konnte. Wenn Silber ein typisches Inflationsmetall ist, wird auch verständlich, daß die Unze 1980 in der Spitze 50 Dollar kostete und seitdem – in einer Ära sinkender und schließlich moderater Inflationsraten – weit hinter Gold zurückfiel. Als Wertaufbewahrungsmittel hat sich Silber nicht geeignet. Es sei denn, Positionen wurden nur dann aufgebaut, wenn das Preisverhältnis zu Gold die extreme Spanne zwischen 80 bis 100 erreicht hatte. Dann konnte man für eine Unze Gold 80 bis 100 Unzen Silber kaufen.

Richtig ist aber auch, daß Jastrams „Goldene Konstante“ unter den heutigen Bedingungen anders interpretiert werden muß. Sie bezog sich weitgehend auf die Epoche der Edelmetallwährungen, als der Goldpreis in der Regel fixiert war. Schon in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zeigte sich dann, daß Gold die allgemeine Geldentwertung durchaus überkompensieren konnte (und Silber erst recht). Damals litten die Aktienkurse real bei hoher und sich beschleunigender Inflation, die Anleihen sackten ab, die Zinsen stiegen, verharrten aber meist unter den Inflationsraten, so daß negative Realzinsen resultierten. Die aber machten Gold und Silber attraktiv, weil Geldvermögen abschmolzen und weil ein Investment in Edelmetallen immer dann naheliegt, wenn die konkurrierenden Anleihe- und Aktienmärkte Verluste einfahren. Könnte sich eine derartige Konstellation in den kommenden Jahren wiederholen? Ja, glaubt die Deutsche Bank in der bereits zitierten Studie.

Die Bank weist darauf hin, daß Anleihen negative reale Renditen „sogar über sehr lange Zeiträume“ abwerfen können (ganz zu schweigen von den zwei Währungsreformen in Deutschland) und daß die europäischen Aktienmärkte seit der Euro-Einführung 1999 enttäuscht haben. Tatsächlich hat Gold in Euro den Dax seit 1999 deutlich hinter sich gelassen, obwohl dieser die Steuern auf Dividenden und Kursgewinne nicht berücksichtigt, was in der Praxis nicht möglich ist. Daß die Bundesanleihen, als andere Alternative zur Goldanlage, beim aktuellen Zinsniveau ein garantiertes Verlustgeschäft sind, bedarf ohnehin keines Kommentars.

Bekanntlich war das weltweite finanzielle Umfeld seit den achtziger Jahren geprägt durch Desinflation, das heißt durch fallende Inflationsraten und sinkende Zinsen. Eine Erklärung sieht die Deutsche Bank darin, daß die KP-Führung in Peking sich entschied, die vorher geschlossene chinesische Volkswirtschaft zu öffnen, und daß sie damit dem Weltmarkt über eine Billion billige Arbeitskräfte zur Verfügung stellte. Das drückt die Kosten, und mit der fortschreitenden Globalisierung wuchs der Welthandel. Gleichzeitig blieben die Reallöhne im Westen unter Druck, und dies wiederum habe den Aufstieg des Populismus in Amerika und Europa befördert.

Der Vormarsch der populistischen Parteien, argumentiert die Bank, werde die inflationsdämpfenden Aspekte der Globalisierung umkehren, den Welthandel abschwächen und für eine neue Balance zwischen den Kapitaleignern, den bisherigen Profiteuren des Systems, und der arbeitenden Bevölkerung sorgen. Selbst eine bloße Stagnation des Welthandels werde die desinflationären Kräfte der vergangenen zwei oder drei Jahrzehnte schwächen.

Hinzu kommt das fast überall ungebremste Wachstum der privaten und öffentlichen Schulden, die ein Niveau erreicht haben, aus dem die meisten Länder nicht mehr herauswachsen können. Damit wächst die Versuchung, die Schulden zu monetisieren. Die Zentralbanken werden gezwungen, Staatsanleihen aufzukaufen und so die Ausgaben der Regierungen zu finanzieren – was auch die EZB bereits getan hat. „Wir haben den Eindruck, daß dies letztendlich der Weg sein wird, den viele Länder einschlagen, um die Schuldenlast leichter tragbar zu machen.“

Machbar ist eine derartige Inflationierung, weil seit dem Ende der Goldbindung, spätestens seit 1971, die Geldmengen beliebig ausgeweitet werden können, weil nur der Goldstandard inflationsfreies Wachstum ermöglicht hat und weil die Rückkehr zum Gold als Option für die im Westen herrschende Klasse ausscheidet.

Das alles sind langfristige Überlegungen. Zu den mittelfristigen Aussichten für Gold äußerte sich im September 2018 Markus Mezger, der sich als Stratege der Schweizer Investmentgesellschaft Tiberius seit langem mit treffsicheren Prognosen einen Namen gemacht hat. Die negativen Realzinsen, schrieb er in einer Studie, würden uns noch lange erhalten bleiben. Bei Gold sah er die technische Unterstützungszone und einen „sehr attraktiven Einstiegspunkt“ in der Nähe von 1.000 Euro – ein Niveau, das Ende September nahezu punktgenau erreicht wurde. „Im ersten Schritt erwarte ich eine Aufwertung des Goldpreises auf etwas über 1.200 Euro. Sollte die sich andeutende Krise in Italien in eine europäische Bankenkrise münden, sollten die alten Hochpunkte bei 1.380 Euro aus dem Jahr 2012 erneut angegriffen werden.“






Dr. Bruno Bandulet war Chef vom Dienst bei der Welt und Vize-Chefredakteur bei der Quick. Der Buchautor und Gold-Experte gibt den „Deutschland-Brief“ heraus.