© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

Wird der Dollar abgedrängt?
Folker Hellmeyer

Wie einfach war die Welt nach dem Zweiten Weltkrieg. Die USA hatten das Oberwasser. Der Konflikt mit dem Osten veranlaßte die sogenannte freie Welt zu einem starken Schulterschluß. Die Vereinigten Staaten waren mit massivem Abstand die stärkste Wirtschaft. In Erwartung des Sieges trafen sie sich 1944 mit über 700 Delegierten aus 43 Nationen der Alliierten im Mount Washington Hotel in Bretton Woods (New Hampshire) und entwarfen die Nachkriegsordnung der Finanzen – mit dem US-Dollar als Weltleitwährung.

Das dort entworfene weltweite Organigramm wurde mit Währungsfonds (IWF), Weltbank, Vereinten Nationen (Uno), dem Zoll- und Handelsabkommen (GATT, heute Welthandelsorganisation/WTO) auf US-Interessen gepolt. Die Welt hatte sich im Krieg gegenüber den USA verschuldet. Diese wiederum hatten einen enormen Goldschatz angelegt. Die amerikanische Führungsrolle war monetär nicht anzuzweifeln.

Mit dem Ende des Kommunismus schritt die Globalisierung in großer Schnelligkeit voran – politische Risiken im internationalen Investment wurden deutlich verringert. Firmen globalisierten sich in einem System, das von Nationalstaaten definiert war. Nationale Loyalitäten des Kapitalstocks verringerten sich dabei. Als Beispiel drängt sich die Deutsche Bank auf. In der Folge büßte der Westen seine dominierende Rolle ein. Die ökonomische Machtverschiebung zugunsten der aufstrebenden Länder setzte den Ausgangspunkt für die aktuellen Bemühungen der USA um die Fortsetzung der finanziellen Hegemonie. Ein Kampf, der an vielen Fronten geführt wird.

Hatten die Schwellenländer 1990 zu 20 Prozent Anteil an der Weltwirtschaft, bemißt sich dieser, gemessen in Kaufkraftparität, jetzt auf mehr als 68 Prozent. Entsprechend ist der Anteil der alten Industrienationen von 80 Prozent auf 32 Prozent gesunken. Auch kontrollieren die aufstrebenden Länder 70 Prozent der Devisenreserven und stehen für 88 Prozent der Weltbevölkerung. Und sie wachsen weiter doppelt so schnell wie der Westen.

Dieser kämpft um seine Dominanz, allen voran die USA. Allein ihr Anteil an der Weltwirtschaft sank seit 1980 um 30 Prozent auf heute etwa 15 Prozent. Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann die „Aufsteiger“ vier Fünftel der Weltwirtschaft stellen werden. So begründet der westliche Anspruch auf wirtschaftliche Führung von 1945 bis in die späten 1990er Jahre war, so unbegründet ist er heute. Zudem wurde die vielfach versprochene politische Teilhabe für ökonomisch starke Länder nie in erforderlicher Form umgesetzt.

Versprechen dazu wurden gemacht – und wieder gebrochen. Das veranlaßte die aufstrebenden Länder, sich unter der Führung der BRICS-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika) zu emanzipieren. China führt diese Entwicklungen an. Peking war und ist ein entscheidendes Zentrum, das die Gründung der New Development Bank als Alternative und Ergänzung zum IWF vorantrieb, die Asiatische Infrastruktur Investment Bank (AIIB) als Parallele zur Weltbank gründete und die Schaffung des Zahlungssystems Cross-Border Interbank Payment System (CIPS) gegen die Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (Swift) forcierte. Alle diese Institutionen sind Strukturen und als solche Ausdruck von Machtkomplexen, die eine eigene Agenda entwickeln und damit den Hegemonialstatus des US-Dollar perspektivisch in Frage stellen.

Auch versucht China Börsen für Edelmetalle und Öl als internationale Alternative und Ergänzung zu den dominierenden US-Finanzstrukturen zu etablieren. Dabei geht es aus Sicht dieser Länder nicht darum, jede Schlacht zu gewinnen, sondern in der Auseinandersetzung am Ende erfolgreich zu sein. Sie haben auch kein Interesse an einem „Dollar-Crash“, der wegen der internationalen Finanzverflechtungen für alle massive Kollateralschäden zur Folge hätte.

China und Rußland nutzen unterdessen die im Westen verankerte kurzfristige Sicht und Bilanzierung und die sich ergebenden Ineffizienzen mit ihrer Strategie. Beide sichern sich mit Goldreserven ab und gebrauchen die erzwungenen preislichen Änderungen für langfristige Gewinne. Rußland hat seit 2017 seine Dollar-Reserven von knapp 100 auf 15 Millliarden reduziert.

Die jüngsten scheinbar absurd anmutenden Aggressionen der US-Administration gegen Teile des Organigramms (Uno, WTO), das ja gerade Ausdruck eigener Dominanz war, können dagegen nicht als Zeichen von Souveränität und Stärke interpretiert werden. Washington will sich offenbar dem Multilateralismus in entscheidenden Teilen verweigern, weil der bilaterale Verkehr die Chancen erhöht, US-Positionen bei rückläufiger weltwirtschaftlicher Bedeutung durchzusetzen. US-Recht soll supranational Wirkung erzielen, ohne daß die Betroffenen überhaupt ein Mitspracherecht in Washington hätten. Unbewiesene Anschuldigungen dienen dabei als Basis zur Verhängung von Sanktionen.

Kam es in der Vergangenheit zu einer derartigen Konstellation, daß finanzökonomische Machtverschiebungen keine angemessenen Veränderungen der politischen Gewichtung zur Folge hatten, wurde zu den Waffen gegriffen. Die US-Machtauseinandersetzung ist komplex. Das Infrastrukturprojekt „One Belt – One Road“ („Neue Seidenstraße“) unter Chinas Führung ist die Antwort auf jahrzehntelange Vernachlässigungen wichtiger Regionen im Sektor der aufstrebenden Länder durch den IWF und die Weltbank. Die USA suchen dagegen mit Gewalt in der Region Einfluß zu gewinnen – seit 2001 in Afghanistan, – heute mit Wirtschaftssanktionen gegen den Iran.

Umliegende Staaten und Wirtschaftsregionen bis hin zur EU werden durch die resultierenden Flüchtlingsströme destabilisiert. Zuletzt haben die USA chinesische Unternehmen und Personen sanktioniert, die für bilaterale Waffengeschäfte zwischen Rußland und China verantwortlich zeichnen. Diese Staaten fragen natürlich, was Amerika in ihren bilateralen Geschäften zu suchen hat. Nicht einmal der US-Dollar wurde hier genutzt. Einmischungen dieser Art und die folgenden Antworten erstarkender Gegenspieler führen gehäuft dazu, daß sich immer mehr Akteure des Welthandels vom Dollar abzukoppeln suchen. Devisenreserven werden in Euro oder Gold gewechselt.

Die Märkte reagierten bisher noch kurzsichtig und durchaus im Widerspruch zu den Fakten. Reflexartig werden bei jeder Verschärfung in der Geo- oder Handelspolitik Dollar gekauft. Man kann das mit einer gelebten Tradition der Marktpsychologie begründen. Die Derivate­märkte wurden eigentlich etabliert, um die Effizienz zu steigern. Bei der Einführung der Futures vor einigen Dekaden war es nicht vorstellbar, daß nur sehr wenige Teilnehmer preislich dominieren würden. Der Bankenmarkt war ein Polypol, definiert durch viele Marktteilnehmer mit heterogener Interessenlage.

Heute steht ein Oligopol am Future-Markt. Banken, die allesamt eine enge Verbindung mit New York, Washington und London pflegen. Nicht die Nachfrage oder das Angebot nach dem unterliegenden Asset (Vermögenswerte) bestimmt den Preis, sondern die Futures (Terminkontrakte) bestimmen die Assets. Anders ausgedrückt, ist aus einem Produkt, das die Markt­effizienz optimieren sollte, ein den Preis bestimmender Faktor geworden. Das ist eine Absage an die Freiheit der Märkte.

Der Edelmetallsektor bietet ein anschauliches Beispiel für eine derartige Einflußnahme. Seit 2011 ist die Dominanz der Future-Märkte bei der Preisfindung absolut gegeben. Blitzartige, kurzzeitige Kurseinbrüche („Flash-Crashs“) bestimmen an kritischen Wendepunkten einseitig nur zu Lasten der Edelmetalle das Bild. „Flash Rallyes“ kommen nicht vor. In vollständiger Anomalie werden massive Verkäufe in liquiditätsarmen Zeiten plaziert und damit Ausbrüche nach oben vermieden. Die Tatsache, daß sich die Aufsicht dieser offensichtlichen Manipulationen nicht annimmt, läßt sich als Ausdruck der zuvor geäußerten These deuten, daß diese „Player“ im Einvernehmen mit den geldpolitischen Eliten eng vernetzt sind. Mit der Macht der Preise läßt sich gut Wirtschaftskrieg führen. Die Entwicklungschancen der Länder, die diese Assets zur Verfügung stellen, können so beeinflußt werden.

Das von den USA dominierte System verliert jeden Tag an Kraft. Der Status des Dollar war nach der Abkoppelung vom Gold 1971 als Fakturierungswährung im Ölgeschäft verankert. Doch der Handel in den aufstrebenden Staaten wird immer stärker in ihren Regionalwährungen abgewickelt. Für Erdöl exportierende Länder sind China und Indien heute als Absatzmärkte von größter Bedeutung. Als Konsequenz ergibt sich ein Rückgang der Durchschlagskraft des US-dominierten Organigramms inklusive der Finanzarchitektur. Das ist ein zäher Prozeß, doch die Politik des US-Präsidenten Donald Trump hat diese Entwicklung der notwendigen Abkoppelung vom US-Dollar beschleunigt.

Der aktuelle Zustand der US-Wirtschaft ist da nur eine weitere Facette. Auf den ersten Blick könnte man sich berauschen: drei Prozent Wachstum bei einer Arbeitslosenrate unter vier Prozent und die Aktienmärkte auf historischen Höchstständen. Diese quantitative Betrachtung greift jedoch zu kurz. Anders als in der Eurozone haben die USA keine nachhaltigen Reformen implementiert. Sie fahren weiter das Geschäftsmodell, das 2008 zur Krise führte. Amerika hat sich 2018 laut IWF um 5,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) neu verschuldet (Eurozone: 0,5 Prozent). Die private Konsumverschuldung hangelt sich von Monat zu Monat auf neue Maxima. Die ökonomische Expansion ist mitnichten selbsttragend. Nachhaltigkeit und Übertragbarkeit der aktuellen wirtschaftlichen Dynamik existieren nicht. Zudem belasten die Zins- und Zollerhöhungen am Ende die eigenen Unternehmen und privaten Haushalte. Damit steht das beeindruckende quantitative Bild im diametralen Widerspruch zum qualitativen.

Das Ziel kann nur eine sukzessive, evolutionäre Anpassung zu einem multilateralen System mit einer besseren Belastbarkeit sein. Der frühere IWF-Vizechef Stanley Fischer hatte vor einigen Jahren dieses Thema aufgeworfen und ein multilaterales System mit einer Korbwährung frei konvertierbarer Währungen, entsprechend ihrem Anteil an der Weltwirtschaft, inklusive eines Teils Gold als Lösung skizziert. Dieser Vorschlag ist aktueller denn je. Das alte System mit der Leitwährung US-Dollar hat seinen Grenznutzen überschritten.






Folker Hellmeyer ist Chefanalyst beim Solvecon Global Opportunities Fonds. Zuvor war er Chefanalyst der Bremer Landesbank.