© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/18 / 16. November 2018

Saurer Geldregen
AfD-Spendenaffäre: Hinter den Vorwürfen gegen Alice Weidel vermuten Beobachter auch eine Kampagne innerparteilicher Gegner / Delegierte bestimmen am Wochenende Kandidaten für die Europawahl im kommenden Jahr
Christian Vollradt

Gut gemeint ist das Gegenteil von gut, lautet eine Binsenweisheit. Sie gilt auch in der Politik, dort sogar ganz besonders. Finanzielle Zuwendungen können politische Karrieren, die sie in Schwung bringen sollen, jäh beenden oder zumindest ins Stocken geraten lassen. Wolfgang Schäuble könnte ein Lied davon singen. Ausmaße wie die CDU-Parteispenden- und Kohlsche Bimbes-Affäre nimmt der aktuelle Fall für die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel sicherlich nicht an. Doch auch so sorgt die Sache für genug Ärger – und negative Schlagzeilen für die Partei, die in der aktuellen Sonntagsfrage an dritter Stelle hinter Union und Grünen rangiert. 

Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung hatten ans Licht gebracht, daß zwischen Juli und September 2017 etwa 130.000 Euro von einem Schweizer Pharmaunternehmen, gestückelt in mehrere Tranchen, an den AfD-Kreisverband Bodensee überwiesen und mit dem Verwendungszweck „Wahlkampfspende Alice Weidel“ versehen worden sind. 

Weidel teilte daraufhin mit, bei dem Konto, auf dem die Spende einging, „handelt es sich um das ordentliche Konto des Kreisverbandes des Bodenseekreises“. Die Spende sei nicht an sie persönlich gegangen. „Ich hatte keinerlei Informationen über die Firma, deren Besitzer oder deren Beweggründe, eine solche Spende zu überweisen“, betont die Fraktionsvorsitzende. Als später Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Spende aufkamen, „empfahl ich dem Kreisverband, die Spende zurück zu überweisen, was schließlich auch geschah“, so Weidel. Rein rechtlich hätte die Spende aus dem Nicht-EU-Ausland jedoch sofort zurückgewiesen beziehungsweise der Bundestagsverwaltung angezeigt werden müssen. Diese bat nun den AfD-Bundesverband in der Sache um eine Stellungnahme. 

Der Parteivorsitzende Alexander Gauland stellte sich unterdessen vor seine Co-Fraktionschefin. Zwar sei das Geld zu spät zurückgezahlt worden, doch er glaube nicht, daß sich Weidel Vorwürfe machen müsse. Falsch gehandelt habe offensichtlich ein Schatzmeister der Partei.

Tatsächlich hatte sich die Schatzmeisterin des Bodenseekreises am 10. August 2017 per E-Mail an Baden-Württembergs AfD-Landesschatzmeister Frank Kral gewandt: „Ein Gönner aus der Schweiz unterstützt Alice wöchentlich mit mehreren tausend CHF. Was ist dabei zu beachten? Muß ich diese Beträge irgendwo melden oder bekanntgeben?“ Krals Antwort drei Tage später: „Wenn es Beträge sind, die Frau Dr. Weidel direkt zufließen, sind es private Schenkungen. Der Förderer sollte wissen, daß er dafür keine Spendenbescheinigung der Partei erhält. Wenn die Beträge über das KV-Konto laufen, sind es ganz normale Spenden. Diese werden als solche verbucht.“ Kein Hinweis auf die 50.000-Euro-Grenze oder darauf, daß Spenden aus dem Nicht-EU-Ausland nicht gestattet sind.  

Mit seiner Äußerung spielte Gauland nun den Ball wieder ins Feld des Landesverbands Baden-Württemberg zurück, selbst wenn er weder den Namen von Schatzmeister Kral noch den des Vorsitzenden Ralf Özkara erwähnte, der sich am Beginn der Affäre ungewöhnlich offensiv gegen Weidel positioniert hatte: „Sollte sich bewahrheiten, daß Frau Weidel davon wußte, trägt sie meines Erachtens die Hauptverantwortung. Und sollte sich bewahrheiten, daß wir uns im Bereich illegaler Parteispenden befinden, dann erwarte ich, daß sie von allen Ämtern und Mandaten zurücktritt.“ 

Parteiintern unken daher Kritiker, die Enthüllungen über die Parteispende könnten zum jetzigen Zeitpunkt kein Zufall sein, sondern eine Retourkutsche innerparteilicher Gegner Weidels. Denn Kral, der als sehr gut vernetzt in der Südwest-AfD gilt, war bis Ende Oktober Leiter der Finanzabteilung der Bundestagsfraktion und – zumindest gefühlt – eine Art Fraktionsgeschäftsführer (den die AfD noch immer nicht hat). Nachdem bei internen Prüfungen massive Verstöße gegen die ordnungsgamäße Buchführung festgestellt worden waren, hatte der Fraktionvorstand Kral erst beurlaubt und dann fristlos gekündigt. Innerhalb der baden-württembergischen Landesgruppe, in der Kral zahreiche Unterstützer hatte, war dieses Vorgehen der Fraktionsspitze – und damit auch das Weidels – zum Teil heftig kritisiert worden. 

Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT teilte Kral mit, der Landesvorstand habe beschlossen, aufgrund der laufenden Ermittlungen derzeit keine Stellungnahme abzugeben. Vorwürfe, die Enthüllungen über die Spenden aus der Schweiz seien aus der baden-württembergischen Parteispitze selbst an die Medien durchgestochen worden, wollen nicht verstummen. Das könnte sich, sollte es tatsächlich so gewesen sein, nun als Bumerang erweisen. „Fest steht jetzt allerdings, daß die gesamte AfD dadurch beschädigt wurde“, meint ein Parteimitglied frustriert.  

„Nun bin ich aber  mal an der Reihe“

Zumindest als Hintergrundrauschen wird die verspätet zurückgewiesene Spende sicherlich auch die Europawahlversammlung begleiten, zu der sich die Delegierten der AfD von Freitag bis Montag in Magdeburg versammeln. Dort soll die Liste der Partei für die Wahlen zum EU-Parlament am 26. Mai 2019 aufgestellt werden. Als Spitzenkandidat steht schon vorab Jörg Meuthen, derzeit einziger Abgeordneter der AfD in Brüssel, weitestgehend unangefochten fest. Ansonsten „sind Überraschungen möglich“, wie ein erfahrenes Parteimitglied vor zu sicher scheinenden Vorhersagen warnt. 

Eine dreistellige Zahl von Kandidaten stelle sich der Listenwahl, heißt es aus der Bundesgeschäftsstelle; andernorts ist die Rede von 350 Bewerbern. Allein vom größten Landesverband Nordrhein-Westfalen sollen über 70 an den Start gehen. „Wahnsinn“, nennt das ein AfD-Politiker. „Mancher scheint zu kandidieren, weil er bisher auf Landes- oder Bundesebene leer ausgegangen ist. Nach dem Motto: Nun bin ich aber mal an der Reihe.“ In einigen Fällen sei völlig unklar, was die Bewerber eigentlich qualifiziere. Gute Englischkenntnisse seien im Brüsseler Betrieb schon von Vorteil, gibt ein Delegierter zu bedenken.

In WhatsApp-Gruppen wurden Listen-Vorschläge verschickt, dabei sortierten sich die innerparteilichen Lager. Auffallend ist, daß auch innerhalb mancher Gruppierung nochmals differenziert wird; so werden einige Kandidaten dem „Flügel“ zugerechnet, andere als „Hardcore-Flügel“ klassifiziert. Wiederum andere scheinen in der Zuordnung zu changieren, mal als „moderat“, mal als „Flügel-nah“ oder als „mittlerweile eher dem Flügel zuneigend“ bezeichnet zu werden.

Vereinzelt gab es Vorbereitungstreffen, um auszuloten, wer wen unterstützen könnte; in den Planungen ging es dann auch darum, Kampfkandidaturen innerhalb eines Lagers zu vermeiden oder mögliche Kompromisse zu schließen. 

Das Schaulaufen der Kandidaten könnte für manchen eher Unbekannten schwierig werden. Wegen der schieren Masse wird die Redezeit mit Sicherheit strikt begrenzt. Womit will man sich in der gebotenen Kürze von den anderen abheben? Die Erwartungen mancher Delegierter sind eher gering. „Wir bekommen sicherlich x-fach die Beschwörung eines Europas der Vaterländer serviert“, seufzt einer, der in Magdeburg dabeisein wird. Ein anderer rechnet die Themen „Islamisierung“ und „Migrationspakt“ zu weiteren Dauerbrennern. 

Die Aussicht auf vier Tage, geprägt von Vorstellungsreden, ist für manche ein Schreckensszenario. Beobachter rechnen damit, daß die AfD im kommenden Jahr mit etwa 13 bis 18 Abgeordneten ins EU-Parlament wird einziehen können. Um die entsprechend sicheren Listenplätze dürfte in Magdeburg heftig gerungen werden.





Neue AfD-Kandidatin für Bundestagspräsidium

Jeder Fraktion steht ein Sitz im Präsidium des Bundestags zu. Nachdem der Kandidat der AfD, Albrecht Glaser, in drei Anläufen gescheitert war und nicht erneut antreten durfte, blieb einer der Vizepräsidenten-Posten unbesetzt. Die AfD war somit nicht in diesem wichtigen Gremium vertreten. Das soll sich nun ändern. Die Fraktion nominierte vergangene Woche Mariana Harder-Kühnel als neue Kandidatin. „Ich möchte Vizepräsidentin für alle Abgeordneten sein, ich möchte ausgleichen und möchte auch zwischen uns und den anderen Fraktionen vermitteln“, sagte die 44jährige Abgeordnete aus Hessen. Sie äußerte sich zuversichtlich, daß sie die notwendigen Stimmen im Bundestag bekommen werde, und stehe den anderen Fraktionen für Gespräche zur Verfügung. „Unsere Umfragewerte steigen, die Akzeptanz in der Bevölkerung nimmt zu – ich glaube nicht, daß sich die demokratischen Parteien einer Bundestagsvizepräsidentin von der AfD verschließen werden.“ Entsprechende positive Signale habe sie aus den Reihen von Union und FDP bereits vernommen, so Harder-Kühnel. Die ein Jahr währende Vakanz „ist unseren Wählern, die uns zur größten Oppositionsfraktion gemacht haben, nicht mehr vermittelbar“. Als Voraussetzungen für das Amt bringe sie neben ihrer juristischen Ausbildung „Sachlichkeit und Ausgewogenheit“ mit, meinte sie nach ihrer Nominierung. Ein Termin für die Wahl steht noch nicht fest. Als wahrscheinlich gilt die Sitzungswoche Ende November. (vo)