© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/18 / 16. November 2018

Der Flaneur
Visite auf dem Friedhof
Elke Lau

Es klingt makaber, aber ich liebe Friedhöfe. Besonders Begräbnisstätten in fernen Ländern wie La Recoleta in Buenos Aires mit seiner berühmten Bewohnerin Evita Peron. Auch an anderen Orten ziehen mich „Gottesäcker“ magisch an. Stille, Beschaulichkeit und Blütenpracht schalten Grübeleien aus, dazu beflügeln Namen und Alter der Verstorbenen auf winzigen oder protzigen, oft kuriosen Grabsteinen meine Phantasie.  

Einmal kam ich an einer wartenden Trauergemeinde vorbei. Gerade wurde der Sarg feierlich herangetragen. Ein kleiner Junge hüpfte aufgeregt von einem Fuß auf den anderen: „Mutti, Mutti, die bringen eine Spielzeugkiste.“

„Ich bin ängstlich, denn es treiben sich hier manchmal merkwürdige Gestalten herum?“

Manchmal ergeben sich sogar intensive Gespräche, wie auf dem Heidefriedhof in Dresden. Eine alte Dame sitzt auf einer Bank, neben sich Stock und Handtasche. Als ich auf ihrer Höhe bin, winkt sie mir zu. Ich setze mich daneben. Sie lächelt unsicher: „Hier ist weit und breit kein Mensch zu sehen. Ich bin ängstlich, denn es treiben sich manchmal merkwürdige Gestalten herum. Das Grab meines Mannes liegt dort drüben, an den unübersichtlichen Hecken. Würden Sie einen Moment auf meine Handtasche aufpassen?“

„Nee, das gewöhnen Sie sich mal schnell ab, einer Fremden Ihre Tasche anzuvertrauen. Die nehmen Sie jetzt mit. Ich bleibe hier und behalte Sie im Auge.“

Heute bin ich im Norden Berlins auf Verwandtenbesuch. In ihrer Nähe befindet sich auch die letzte Ruhestätte von Marie Schlei, einer Abgeordneten, die immer in Pantoffeln zur Arbeit erschien. Ein Berliner Bär aus weißem Marmor bewacht das Grab, das allmählich verwahrlost. Beim Verlassen des Friedhofs begegne ich einem Postboten, der einen Stapel Briefe in seiner Hand sortiert. „Können Sie die noch alle zustellen?“ frage ich augenzwinkernd. „Nee, die sind für die Friedhofsverwaltung.“ Dann gewinnt mein Berliner Humor Oberhand: „Spaß muß sein bei der Beerdigung, sonst jeht keener mit.“