© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

„Das ist, wie einen Tanker zu wenden“
Seit einem Jahr regiert in Wien die FPÖ unter ihrem Parteichef Heinz-Christian Strache mit. Die Reform der österreichischen Politik hat begonnen, die Herausforderungen sind jedoch gewaltig
Dieter Stein / Moritz Schwarz

Herr Vizekanzler, Sie haben die FPÖ jüngst die „treibende Kraft“ in der Koalition genannt. Ist Kanzler Kurz jetzt sauer?

Heinz-Christian Strache: Nein, wir gehen respektvoll miteinander um, aber die FPÖ ist ja tatsächlich der Motor: Denn Schwarz-Blau – besser Türkis-Blau, denn Türkis ist die neue Farbe der ehemals schwarzen ÖVP – hat in den letzten zehn Monaten mehr auf den Weg gebracht, als die rot-schwarze Koalition in den zehn Jahren davor. 

Zum Beispiel? 

Strache: Denken Sie an die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger, die seit Jahrzehnten schon von Experten angemahnt und von uns eingefordert wurde, an die größte Familiensteuerentlastung der Zweiten Republik oder an unseren völlig neu aufgesetzten Grenzschutz mit echtem Stopp illegaler Migration und neuem Fremden- und Strafrecht, welches sicherstellt, daß Illegale konsequent außer Landes gebracht werden: seit Antritt unserer Regierung bereits 9.000 Personen – das ist ein Anstieg der Abschübe von 42 Prozent! 

Was machen Sie bei den Abschiebungen anders als etwa die Bundesrepublik? 

Strache: Ich kann Ihnen sagen, was wir anders als unsere Vorgänger machen: Wir haben einen klaren Zugang zu dem Problem! Die Justiz bezieht jetzt das humanitäre Bleiberecht in ihre Urteile mit ein, so daß im Falle der Ablehnung eines Asylantrags dieser auch rechtskräftig und vollziehbar ist. Und nicht wie in der Vergangenheit, als mehr und mehr Ausnahmen gemacht wurden, bis diese zur Regel geworden waren. 

In der Bundesrepublik gilt die FPÖ als eine Ekelpartei. Dennoch verstehen Sie sich mit der christdemokratischen ÖVP gut, während sich in Berlin Union und SPD ständig streiten. Woher kommt das?

Strache: Die Frage ist, ob es zwischenmenschlich funktioniert und man einander respektiert, was bei Sebastian Kurz und mir der Fall ist. So entsteht Vertrauen, ja eine Handschlagqualität, auf die man sich verlassen kann. Mein Rezept ist, zu beobachten, wie sich mein Gegenüber zu seinen Mitarbeitern verhält. Da zeigt sich der Charakter. Läßt mein Gegenüber im Umgang mit seinen Leuten zu wünschen übrig, kann ich hochrechnen, daß es mir nicht anders ergehen wird. Stimmt dagegen in dieser Hinsicht alles, kann ich auf charakterfestes Verhalten hoffen. Dann kann man auch hart miteinander verhandeln, denn dann dringt nichts unabgesprochen nach außen, dann wird ein Kompromiß nicht als Übervorteilung empfunden, und das Erreichte kann gemeinsam öffentlich präsentiert werden, ohne daß der andere sich dabei in den Vordergrund zu spielen und mir gegenüber Punkte zu machen versucht. 

Sie reklamieren, 75 Prozent Ihrer Inhalte in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt zu haben. Brüskieren Sie damit die ÖVP nicht? 

Strache: Nein, denn Sebastian Kurz und die ÖVP sind als erneuerte, reformerische Kraft in die Regierung gegangen, die nicht einfach die Fortsetzung der alten ÖVP-Politik darstellt, sondern ebenfalls etwas Neues will. Weshalb er bereit war, viele unserer Forderungen zu übernehmen. 

Die europäische „Flüchtlingskrise“ war der entscheidende Faktor für den Ausgang der Parlamentswahl vor gut einem Jahr und folglich für das Zustandekommen der türkis-blauen Koalition. Ist Merkel also die Geburtshelferin Ihrer Regierung? 

Strache: Zweifellos hat die völlig unverantwortliche Einladungs- und Willkommenskultur Frau Merkels nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa massivste Probleme gebracht, die in der Tat bei der österreichischen Nationalratswahl 2017 eine große Rolle gespielt haben. Der Einfluß dieser Krise geht so weit, daß in Österreich das Vertrauen in die EU bis heute schwer erschüttert ist – hatte diese doch versprochen, künftig die großen Fragen in Europa zu regeln, und dann bei der Grenzsicherung völlig versagt. Doch auch wenn all das ein wesentlicher Faktor war, war es nicht der einzige. Denn auch in Österreich selbst hat es in den letzten Jahrzehnten in vielen Bereichen ein erhebliches politisches Versagen gegeben. Allerdings wurde dieses durch das Versagen in der Querschnittsmaterie Migration, die auf fast alle Bereiche durchschlägt, noch einmal verschärft. Denken Sie etwa an die Wohnungs- oder Bildungsproblematik oder die verfehlte Integrationspolitik. Die Migrationskrise hat hier vieles noch deutlicher werden lassen. 

In Berlin ist man offensichtlich immer noch der Meinung, 2015 richtig gehandelt zu haben. Schuld am Scheitern des „Wir schaffen das“ – wenn überhaupt – tragen danach ein zu großer Teil des Volkes, der nicht bereit war, ausreichend mitzuziehen, sowie jene EU-Länder, die die Umverteilung der Migranten mehr oder weniger unterlaufen. Ist das Hybris? 

Strache: Hybris oder nicht, das ist nicht die vordringliche Frage. Es geht um weit mehr: um sozialpolitische Verantwortung! Schließlich sind den europäischen Steuerzahlern durch die deutsche Einladungs- und Willkommenspolitik massive Kosten entstanden. Und natürlich stellt sich damit für viele die Frage nach der Gerechtigkeit: nämlich dann, wenn EU-Bürger trotz Jahren des Einzahlens nur eine Mindestpension erhalten, andere aber, die nie einen Cent eingezahlt, ja nicht eine Stunde hier gearbeitet haben, Mindestsicherung bekommen. Da wurden in kürzester Zeit mit großer Wucht extreme sozialpolitische Mißverhältnisse offensichtlich.  

Scheint man nicht bis heute dafür in Berlin moralisch blind zu sein?

Strache: Tja, was eben zu den Wahlergebnissen der letzten Zeit geführt hat – nicht nur in Österreich, inzwischen auch in der Bundesrepublik Deutschland. 

Nach Ihrer Ansicht handelt es sich bei der gefühlten moralischen Überlegenheit in Berlin also um schöngeredete Amoral in Form von Verantwortungslosigkeit? 

Strache: Keiner besitzt die moralische Berechtigung, ohne demokratische Legitimation Grenzen und gar Gesetze außer Kraft zu setzen. Wer es dennoch tut, setzt Demokratie und Rechtsstaat mit außer Kraft. Aber inzwischen hat sich in Europa viel geändert. Auch in westeuropäischen Ländern gibt es mittlerweile starken Widerspruch gegen den Merkel-Macron-Kurs – da sehe ich ein riesiges politisches Potential für die europäischen Freiheitsparteien. Und schon bei der Europawahl im Mai könnte eine Fraktion der patriotischen Parteien zur dritt- oder gar zweitstärksten Kraft in Brüssel werden. 

Sehen Sie Österreich dabei als Brücke zu den eher oppositionell gesonnenen Osteuropäern? Könnte man gar von einem Wiederaufleben eines österreichisch-ungarischen Bewußtseins sprechen, einer gemeinsamen Verantwortung für einen bestimmten europäischen Raum? 

Strache: Natürlich, denn zum einen ist man als österreichischer Patriot, dessen Heimat sich in der Mitte Europas befindet, auch ein guter Freund Europas, weshalb einem dessen Entwicklung am Herzen liegt. Und als guter Freund muß man sich eben auch deutlich zu Wort melden, wenn es in der EU zu Fehlentwicklungen kommt. Daher begrüßen wir es, wenn sich im Europa-Weißbuch Junckers die Besinnung auf unsere Forderung findet, wieder weniger – nämlich nur die wirklich für die europäische Ebene relevanten – politische Fragen in der EU zu entscheiden. Sowie wieder mehr auf die Ebene der Nationalstaaten zurückzuverlagern – nämlich jene Fragen, die dort nach dem Prinzip der Subsidiarität auch hingehören. Nur so wird die Akzeptanz für die EU wieder wachsen. Und natürlich hat Österreich auch besondere Verantwortung in Gestalt einer Vermittlerrolle, haben wir doch durch unsere Geschichte ein besonderes Verständnis für unsere osteuropäischen Nachbarn. 

Durch Ihre Regierungsbeteiligung haben Sie Kontakt mit den europäischen Eliten. Diese stehen bei etlichen Bürgern im Verdacht, Einwanderung nicht nur als Phänomen, sondern als erstrebenswertes politisches Ziel zu sehen. Trifft das zu?

Strache: Ich würde das nicht nur auf die politischen – sogenannten – Eliten fokussieren. Einerseits haben Teile der Wirtschaft Interesse daran, billige Arbeitskräfte ins Land zu holen. Andererseits sind da die sogenannten NGOs mit ihrem Bedürfnis, immer mehr Menschen nach Europa zu lotsen, angeblich aus humanitären Gründen. 

Angeblich? 

Strache: Ich haben den Eindruck, daß tatsächlich für beide, Wirtschaft und NGOs, Einwanderung schlicht ein lukratives Geschäft ist. Und bedauerlicherweise interessieren sie sich überhaupt nicht für das Chaos und das Leid, das sie damit verursachen – in Europa selbst, aber auch, wenn sie Menschen aufs Mittelmeer locken, wo viele jammervoll ertrinken. Wollten die NGOs wirklich Menschenhandel bekämpfen, müßten sie das Gegenteil tun: sich dafür einsetzen, den Menschen den Anreiz zu nehmen, sich auf den gefährlichen Weg nach Europa zu machen.    

Aber was ist mit Leuten wie dem 2018 verstorbenen EU-Kommissar Peter Sutherland, der gesagt hat, „die EU sollte ihr Bestes tun, ... die nationale Homogenität der Mitgliedsstaaten zu untergraben“. Oder dem Vizepräsidenten der Kommission, Frans Timmermans, der gesagt hat, „Diversity“ sei die Bestimmung der Menschheit?

Strache: Natürlich gibt es auch Ideologen. Aber auch die tun, anders als sie glauben, nichts Gutes. Ich zitiere Peter Scholl-Latour: Wer meint zu helfen, indem er halb Kalkutta nach Europa bringt, irrt doppelt, da er Europa schadet und Kalkutta nicht hilft. Was wir tun müssen, ist den Herkunftsländern vor Ort zu helfen, statt ihre Bevölkerung anzulocken. 

Das Ziel einer sogenannten Umvolkung, wie Kritiker meinen, können Sie also nicht bestätigen? 

Strache: Man beobachtet schon, daß einige ideologische Kräfte die Massenzuwanderung als etwas Positives propagieren. Dem widerspreche ich. Mir geht es um die Bewahrung unseres christlich-jüdisch geprägten Abendlandes, das seinen Charakter, seine Identität und seine Eigenart, denen wir und die Welt soviel zu verdanken haben, behalten muß. Und zwar nachhaltig, damit Europa auch für unsere Kinder und Kindeskinder noch Heimat sein wird. Weshalb wir in der EU ein Außengrenzschutzwesen wie das Australiens auf den Weg bringen müssen. Und wir müssen auch international darüber aufklären, daß sich die Leute gar nicht erst auf den Weg machen sollten, da, wer nicht wirklich asylberechtigt ist, in Europa keine Aufnahme findet. Denken Sie nur daran, wie viele Probleme, etwa islamischen Terrorismus, Osteu-ropa nicht hat aufgrund seiner restriktiven Zuwanderungspolitik. Solche Zusammenhänge muß man sehen – ebenso wie die Realität hier, wo in Österreich manche Schulen und Gegenden bereits einen muslimischen Anteil von fünfzig Prozent haben. Wenn wir darauf nicht reagieren, wird das über kurz oder lang zu neuen Mehrheitsverhältnissen bei uns führen, was wir auf keinen Fall wollen. Vor dieser Frage steht die Politik in Europa und darauf muß sie eine Antwort geben. Meine lautet: Ich will keine Islamisierung Österreichs und Europas!

Was bedeutet es für Österreich als kleines Land, sich deshalb ständig mit der großen Bundesrepublik in Konflikt zu befinden? 

Strache: Ich sehe keinen Konflikt. Als derzeit dem EU-Rat vorsitzendes Land ist es unsere Aufgabe, „ein  Europa, das schützt“, so auch das Motto unseres Vorsitzes, in den Vordergrund zu stellen. Dabei gibt es natürlich Streit, das ist normal. Aber das ist kein Streit zwischen Wien und Berlin. Etliche EU-Länder haben eine andere Auffassung als Berlin, und selbst Ihr Innenminister erkennt einige unserer Positionen an. 

Haben Sie den Eindruck, daß den europäischen Eliten die Brisanz der Massenzuwanderung und der Islamisierung bewußt ist, oder bekümmert die das gar nicht? 

Strache: Mein Eindruck ist, daß das Bewußtsein dafür wächst. Die Wahlergebnisse quer durch Europa sorgen schon dafür. Denn Politiker, die bei diesem Thema nicht mit der Zeit gehen – die gehen mit der Zeit. Dennoch gibt es natürlich auch einige, die immer noch nicht erkannt haben, wohin ihre frühere Politik geführt hat und daß es bei der Bevölkerung einen massiven Wunsch nach Korrektur gibt. 

Wie muß diese Korrektur aussehen? 

Strache: Na, schauen Sie sich zum Beispiel die Politik unserer Regierung an! Aber wir Europäer müssen auch bei der Demographie tätig werden und unvermeidlicherweise auch den politischen Islam schlicht verbieten. Das wird auf uns zukommen. Wir werden rechtzeitig die nötigen Schritte tun müssen, wenn wir unser freiheitlich-abendländisches Europa erhalten wollen.

Sie sagen, „die nötigen Schritte tun müssen“. Tut Ihre Regierung diese denn? Sprich, ergreift sie auch strategische Maßnahmen oder zielt alles nur auf die gegenwärtigen Probleme und die nächste Wahl? 

Strache: Wir sind uns bewußt, daß Probleme längere Prozesse durchlaufen, weshalb wir etwa das Kopftuchverbot auch in Kindergärten und Volksschulen durchsetzen. Nicht weil von Kindern eine Gefahr ausgehen würde, sondern weil Integration von Kindesbeinen an beginnen muß. Das gleiche gilt für die Schulbildung, die erfolgreich verlaufen muß, weil sonst Integration nicht möglich ist. Dieser sehr frühe Ansatz ist entscheidend, um künftige Probleme zu verhindern. Denn wenn sich Parallelgesellschaften erst einmal gebildet haben, wird die „Reparatur“ sehr, sehr teuer, falls sie überhaupt noch möglich ist. 

Experten rechnen für die kommenden Dekaden mit einer Weltbevölkerungszunahme und Wanderung Richtung Europa, die der Kontinent nicht mehr wird bewältigen können, egal wie gut Ihre Integrationspolitik ist. Die Frage zielte darauf, ob sich Ihre Regierung dessen bewußt ist und ob und welche Maßnahmen sie diesbezüglich ergreift?

Strache: Österreich allein wird dieses Problem nicht lösen können. Aber wir sind Antrieb für ein Umdenken in Europa, siehe UN-Migrationspakt. Dazu gehört auch eine neue Familienpolitik. Denn jede demographische Analyse zeigt, daß es ein Dreivierteljahrhundert braucht, bis hier Korrekturmaßnahmen tatsächlich Effekte zeigen. Und natürlich müssen wir bei Zuwanderung auf Qualifikation setzen – gezielt mit Blick auf Mangelberufe, in Österreich gesteuert mit unserer Rot-Weiß-Rot-Karte. Aber auch aus befristeten Arbeitsaufenthalten kann nicht automatisch dauerhaftes Verbleiben werden. Das Problem der Einwanderung hat viele Aspekte, wir müssen auf jeden eine eigene Antwort finden. 

Die Frage war aber die nach der prognostizierten, künftigen Massenzuwanderung. Ihre Lösung wäre also: „Festung Europa“? 

Strache: „Festung Europa“ ist ein sehr martialischer Begriff. Gleichwohl entspricht er am ehesten der von uns favorisierten australischen Lösung.

Kann die gelingen, solange Berlin seinen „Migrationsmagneten“ nicht abschaltet?

Strache: Die Bundesrepublik Deutschland hat sich eine Zeitlang selbst in Broschüren des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge Migrationswilligen in aller Welt als Traumziel angepriesen. Das hat mit zu den Ereignissen von 2015 geführt. Viel hängt von den Signalen ab, die man in die Welt sendet. Und unsere Regierung sendet seit ihrem Antritt klar und deutlich ein ganz neues Signal! Dazu gehört auch, Zuwanderung ins Sozialsystem unattraktiv zu gestalten. 

Wie wichtig ist in dieser Hinsicht die Veränderung des bundesdeutschen Parteiensystems, sprich die Etablierung der AfD?

Strache: Sie ist auch nach fünf Jahren noch eine neue Partei und, was ganz normal ist, noch mit Kinderkrankheiten behaftet. Andererseits stellt ihr Erscheinen eine Normalisierung dar. Nicht nur mit Blick auf die politischen Verhältnisse in anderen europäischen Ländern, auch mit Blick auf die demokratische Pluralität. Es war ja längst überfällig, daß auch bei Ihnen eine patriotische Partei auftaucht, die Themen aufgreift, die von den bisherigen Systemparteien tabuisiert worden sind. Ich begrüße, daß die AfD nun einen Wahlerfolg nach dem anderen feiert. Allerdings birgt ein zu rasches Wachsen auch Gefahren. Besser ist eigentlich ein langsameres, organisches Wachstum, das dafür politisch nachhaltig ist: Evolution statt Revolution! 

Die FPÖ hat ja reichlich Erfahrung mit inneren Krisen, Kämpfen und Kerbungen. Für wie stabil halten Sie die AfD? 

Strache: Jede Kerbung, jede Abspaltung kann natürlich zur Katastrophe, aber ebenso auch zur Bereinigung und zur Stärkung führen. Wenn sich das Wachstum strukturell vollzieht und die führenden Köpfe der Partei miteinander „können“, sind solche Prozesse keine existentielle Bedrohung. Im Gegenteil, sie sind mitunter notwendig, um Leute loszuwerden, die nicht teamfähig sind. 

Sie haben die FPÖ nach dem politischen Abgang Jörg Haiders 2005 aus der Krise geführt und mußten dabei auch gegen einzelne Extremisten am rechten Rand der Partei vorgehen. Haben Sie diesbezüglich einen Rat für die AfD angesichts einer drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz?   

Strache: Die meisten Abgänge aus der FPÖ nach 2005 hatten nichts mit politischen Koordinaten zu tun, sondern mit persönlichen Konflikten oder egozentrischem Verhalten. Das war auch der Grund für Jörg Haiders Ausstieg. Wichtig ist, bei allen Abspaltungen, stets die Marke zu pflegen, also die Partei zu bleiben, für die FPÖ oder bei Ihnen AfD steht. Und wenn es zu Querschüssen einzelner zum Schaden der Partei kommt, ist es wichtig, daß die Führung in der Lage ist, rasch und entschlossen Konsequenzen zu ziehen. 

Solch ein Querschuß hat zur Einberufung einer FPÖ-Historikerkommission geführt, die die Geschichte der Partei auf Extremismus und Antisemitismus untersuchen soll. Welches Resultat erwarten Sie?

Strache: Die FPÖ wurde immer wieder als „das“ Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten dargestellt, was aber nicht stimmt. Zum einen gab es die meisten „Ehemaligen“ nach 1945 in der SPÖ, zum anderen fand man sie in allen Parteien, viele übrigens auch in der ÖVP. Und zwar weil sie sich davon versprachen, hier Karriere machen zu können. Natürlich gab es sie auch beim VdU, dem Verband der Unabhängigen, wie der 1955 gegründete Vorläufer der FPÖ hieß. Was aber im Sinne des Demokratisierungsprozesses nach dem Krieg auch wichtig war, denn die Ehemaligen mußten ja irgendwie politisch integriert werden, wenn sie den Nationalsozialismus aufgeben sollten. Bezüglich ihrer staatspolitischen Ausrichtung ist die FPÖ immer ihrer Verantwortung gerecht geworden und hat stets und zuletzt noch zunehmend jede Form des Extremismus, egal ob von links oder rechts, ebenso wie jede Form des Antisemitismus klar abgelehnt, was auch dokumentierbar ist. Dennoch haben politische Gegner und Medien das einfach nicht zur Kenntnis genommen. Deshalb haben wir die Kommission berufen, um das zu dokumentieren. Es ist an der Zeit, solche Unterstellungen nicht mehr unwidersprochen zu lassen!   

Es gibt eine erhebliche personelle Überschneidung der Deutschen Burschenschaft mit der FPÖ. Wenn Sie an die sogenannte Liederbuch-Affäre (JF 6/18) denken, die der konkrete Auslöser für die Historikerkommission war, gibt es dann aber nicht tatsächlich noch Klärungsbedarf bezüglich der Tradition Ihrer Partei; wie auch bei der Deutschen Burschenschaft – an deren Wiege ja die Jahre 1817 und 1848 stehen? Angesichts der Verirrung einiger Burschenschafter, die sich statt dessen eher am Jahr 1933 zu orientieren scheinen.

Strache: Das ist völlig richtig, und diese 48er-Tradition ist bei uns sehr, sehr deutlich. Wir haben sie auch in diesen Tagen angesprochen, wo wir hundert Jahre Republik Österreich begehen – denn die 1848 vom freiheitlichen Lager erkämpften Grund- und Freiheitsrechte waren gewissermaßen die Basis für die spätere Republikwerdung. Und ebenso wie auch die Deutsche Burschenschaft, haben wir die Verirrungen, die Sie ansprechen, aufgearbeitet. Allerdings ist die FPÖ nicht die Deutsche Burschenschaft und nicht für diese verantwortlich, und wir haben keineswegs nur Mitglieder, die von dort kommen. Aber ja, aus unserer klar definierten Tradition leiten sich eindeutige rote Linien ab, und wer diese übertritt, der bekommt auch unmißverständlich die Konsequenzen zu spüren, daran gibt es nichts zu deuteln!  

Die AfD hat das Problem, einerseits verständlicherweise nicht politisch korrekt sein zu wollen, andererseits Ziel der Infiltration durch verdeckte oder angeblich geläuterte Rechtsextreme zu sein. Wie sollte die Partei mit dem Dilemma umgehen?

Strache: Eine freie Gesellschaft muß jedem Menschen zubilligen, sich zu läutern. Sprich, von Gesinnungsschnüffelei halte ich gar nichts! Andererseits muß klar sein, daß jede Partei Grundsätze hat, und wer nicht bereit ist, sich an diese zu halten, hat bei uns nichts verloren. Diesbezüglich wird in der FPÖ unzweideutig durchgegriffen. Was zugegeben bei uns in Österreich einfacher ist, weil hierzulande die Parteien dazu die rechtliche Möglichkeit haben. Während dies für die Parteien in Deutschland viel schwieriger ist, da bei Ihnen Quertreiber und Extremisten sich des Rechtsstaats bedienen können, um ihren Ausschluß zu verhindern. Das muß man bedenken und nicht gleich der AfD Vorwürfe machen, wenn sie gewisse Leute nicht so einfach ausschließen kann. 

Im Sommer ging die Staatsanwaltschaft Graz gegen die Identitäre Bewegung Österreich (IBÖ) mit dem sogenannten Mafiaparagraphen des österreichischen Strafrechts vor. Ein Skandal?   

Strache: Grundsätzlich ist gegen gewaltlosen politischen Aktivismus nichts einzuwenden, egal aus welcher Richtung er kommt, solange er auf dem Boden der Demokratie bleibt. Was die Anklage gegen die IBÖ angeht, hat sich gezeigt, daß der Rechtsstaat funktioniert, denn zu Recht ist ein Freispruch erfolgt. 

Das dürfte der Staatsanwaltschaft von Beginn an klar gewesen sein – was ja eben die Sache erst zum Skandal macht. Denn offensichtlich handelte es sich hier um einen Mißbrauch der Justiz zu politischen Zwecken: nämlich zur Drangsalierung, Kriminalisierung und Stigmatisierung politischer Aktivisten. Motto: Auch wenn nichts dran ist, etwas bleibt immer kleben.

Strache: Selbst wenn es so ist – ich unterstelle das übrigens nicht –, hat der Rechtsstaat doch gezeigt, wo die Grenzen sind und daß wir ihm vertrauen können. Angesichts des Freispruchs kann ich keine Stigmatisierung sehen. 

Natürlich hängt der Gruppe nun an, schon vor Gericht gestanden zu haben, und natürlich ist das kontaminierend. Und sind Sie sich übrigens sicher, daß alle Bürger, die aus den aufgeregten Medien von der Anklage erfahren haben, ebenso über den Freispruch informiert worden sind?

Strache: Ein Freispruch ist ein Freispruch und ist als solcher zu bewerten. Und was den Mafiaparagraphen angeht: Die FPÖ kritisiert diesen schon lange, und wir haben unsere Kritik gegenüber der ÖVP auch schon deutlich artikuliert. Ein so dehnbarer Strafrechtsartikel wie dieser – er wurde ja nicht erst jetzt in fragwürdiger Weise angewendet, sondern schon früher zum Beispiel gegen Tierschützer – gehört überarbeitet. 

Gegen die IBÖ werden nicht nur als Organisation Maßnahmen ergriffen, sondern von seiten der „Zivilgesellschaft“ im Zuge einer Art „Kampf gegen Rechts“ auch gegen ihre Mitglieder als Privatpersonen und zwar in einem Stil, der an die Zersetzungsmethoden der Stasi erinnert. Was tut die Regierungspartei FPÖ – rein im Sinne des Gebots politischer Gleichberechtigung –, um zu verhindern, daß gegen „rechte“ Aktivisten sozial vernichtend vorgegangen wird und diese also anders behandelt werden als Aktivisten anderer Couleur? 

Strache:  Wir Freiheitlichen kommen aus einer Situation, in der wir gelernt haben, mit Ausgrenzung zu leben und uns trotzdem zu behaupten. Gerade in der Demokratie kann man sich, vorausgesetzt man bleibt seinen demokratischen Prinzipien treu, mit Beharrlichkeit durchsetzen, das haben wir gezeigt. Wir haben zum Glück klare rechtsstaatliche Regeln, und die geben jedem eine Chance, zu seinem Recht zu kommen. 

Hat sich durch Ihre Regierungsbeteiligung das Klima im Land gegenüber Konservativen denn normalisiert? 

Strache: Das Ganze ist, als ob man einen riesigen Tanker wenden will: Selbst wenn die Kraftanstrengung noch so groß ist, die Wirkung tritt nur langsam ein. Andererseits aber hat jeder Grad Kursänderung langfristig beträchtliche Auswirkung, und es ist in Österreich definitiv zu spüren, daß sich etwas getan hat. Wir sehen das auch daran, wie die Akzeptanz für diese Regierung und die FPÖ wächst. Um die Fehlentwicklungen von Jahrzehnten zu korrigieren, wird das Projekt Türkis-Blau aber sicherlich zehn Jahre brauchen. Zumal ja etliche Vertreter des alten Systems weiter Widerstand leisten. Wir werden aber unser politisches System wieterhin gründlich durchlüften. 

Sie haben persönlich entscheidenden Anteil an dem Entschluß gehabt, daß Österreich dem UN-Migrationspakt nicht beitreten wird. Aber hat der Pakt nicht auch positive Aspekte?

Strache: Es mag schon sein, daß er einige wenige sinnvolle, kleine Schritte zur Migrationskontrolle enthält; aber für jeden einzelnen davon eben auch große Sprünge in die entgegengesetzte Richtung. Es handelt sich unterm Strich ja nicht um einen Pakt gegen, sondern für erleichterte Massenmigration. Er ist gegen die Selbstbestimmung gerichtet, gegen die österreichische Souveränität und widerspricht inhaltlich unserem Regierungsprogramm. Migration ist kein Menschenrecht, und es darf niemals eine rechtlich verbindliche derartige Umsetzungspflicht für Staaten entstehen. Auch wenn immer wieder beteuert wird, daß der Pakt ja keine solche Verbindlichkeit entfalten soll: Erfahrungsgemäß kann man davon ausgehen, daß er in Wirklichkeit als Grundlage dienen wird, den Druck auf alle Unterzeichner Schritt für Schritt zu erhöhen, die enthaltenen Punkte auch tatsächlich als Maßstab für die eigene Migrationspolitik zu übernehmen. Und vor dieser Gefahr kann ich nur dringend warnen. 






Heinz-Christian Strache, ist seit 2017 Vizekanzler und Bundesminister für öffentlichen Dienst und Sport der Republik Österreich. Seit 2005 ist er Bundesparteiobmann (Parteichef) und von 2006 bis 2017 war er Clubobmann (Fraktionschef) der FPÖ im Nationalrat, dem österreichischen Parlament. Geboren wurde der ehemalige Zahntechniker und Unternehmer 1969 in Wien. Eben erschienen ist die erste autorisierte Biographie, „HC Strache. Vom Rebell zum Staatsmann“, im Verlag Leopold Stocker. 

Fotos: Vizekanzler Strache, Bundeskanzler Kurz: „Mir geht es darum, daß Europa auch für unsere Kinder und Kindeskinder noch Heimat sein wird ... Weshalb wir in der EU einen Außengrenzenschutz wie den Australiens brauchen“; JF-Chefredakteur Dieter Stein (2. v. r) und Moritz Schwarz beim Gespräch im Kanzleramt: „Vor dem UN-Migrationspakt warne ich dringend“; Italiens Innenminister und Vizepremier Matteo Salvini im Herbst zu Gesprächen in Wien: „Die NGOs interessiert das Leid derer doch gar nicht, die sie aufs Mittelmeer locken, wo viele jammervoll ertrinken“

 

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