© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

Ein Kronjuwel weniger
Verfassungsschutz: Eine peinliche Panne der Nachrichtendienstler enttarnt einen V-Mann in der linksextremen Szene / Stuhl der Behördenleiterin wackelt
Christian Vollradt

Das V steht für Vertrauen. Doch mit dem dürfte es bei einem V-Mann des niedersächsischen Verfassungsschutzes nicht mehr weit her sein. Denn durch eine Panne im Amt ist seine Identität bekanntgeworden. Der 24jährige Student hatte sich in Göttingen in der dort stark ausgeprägten linksextremen Szene engagiert, die für die Sicherheitsbehörden als nur schwer zu durchdringen gilt. Nicht ohne Grund gelten V-Leute als wichtige Informationsquelle. Sie seien „sozusagen die Kronjuwelen unserer Arbeit“, zitiert der NDR einen Verfassungsschützer. 

Eines solchen Kronjuwels jedoch ist der Nachrichtendienst nun verlustig gegangen, als der junge Mann vergangene Woche am Pranger des einschlägigen linksextremen Internetportals Indymedia landete. Was die anonymen Verfasser über ihren namentlich genannten Ex-Genossen veröffentlichten, hat es in sich: neben einem Foto des Betreffenden, seine vollständige Anschrift, sowohl die des Elternhauses in Nordrhein-Westfalen als auch die im Göttinger Studentenwohnheim, sämtliche E-Mail-Adressen, die Handy- und sogar seine Matrikelnummer; dazu die Bankverbindung samt IBAN, Geburtsdatum, wann er wo Abitur gemacht hat. Weiter heißt es: „Über einen öffentlichen Einstiegsabend kam er schließlich im November 2016 zur Basisdemokratischen Linken. Hier beschäftigte er sich zunächst mit dem Thema Antifaschismus, ab Anfang 2018 dann mit Politik an der Hochschule. Aus der Gruppe heraus nahm er an antifaschistischen Gegenprotesten und auch überregionalen Treffen teil.“ Der Eintrag endet mit dem Hinweis „Kein Spitzel oder V-Person kann sich auf die amtliche Geheimhaltung verlassen. Wir kriegen sie alle!“ Das ist in Göttingen, Hochburg der sogenannten Autonomen und in Niedersachsen führend in der Statistik linksmotivierter Straftaten, keine leere Drohung. 

Zum Verhängnis wurde dem V-Mann ganz offensichtlich ein vom Verfassungsschutz selbst verschuldetes Leck. In einem Verfahren um ein sogenanntes Auskunftsersuchen einer mutmaßlichen Angehörigen der linken Szene hatte die Behörde Informationen an das Landgericht Hannover übermittelt. Dabei wurden durch fehlende Schwärzungen so viele Details bekannt, daß Rückschlüsse auf den Studenten möglich waren. Nach Infornationen der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) soll es der V-Mann selbst gewesen sein, der dann zuerst Wind von seiner Enttarnung bekommen und daraufhin die Beamten informiert habe. Der junge Mann befinde sich inzwischen in Sicherheit. 

Die selbstverschuldete Dekonspiration gilt bei Nachrichtendiensten als Todsünde. Wie es dazu kommen konnte, beschäftigt nun den Landtag in Hannover. Laut HAZ deute eine Theorie auf den fehlerhaften Umgang mit einem neuen elektronischen System, das automatisch Akten schwärzt.Vorgeschrieben ist, daß danach ein Mitarbeiter kontrolliert, ob es trotzdem noch für V-Leute heikle Passagen gibt. Peinlich: Vor rund eineinhalb Jahren hatte es beim Verfassungsschutz fast den gleichen Fehler gegeben. Damals landeten im Islamismus-Untersuchungsausschuß des Landtags ungeschwärzte Seiten, deren Inhalt „konkrete Rückschlüsse auf Aktivitäten von Verfassungsschutzbehörden“ zuließ. Die Verantwortung für dieses Kontrollversagen trage die Präsidentin der Behörde, Maren Brandenburger. Ihren Rücktritt verlangen am deutlichsten die Oppositionsparteien FDP und AfD. Deren Landtagsfraktion forderte Innenminister Boris Pistorius (SPD) auf, Brandenburger „so schnell wie möglich von der Leitung des Amtes“ zu entbinden, „um weiteren Schaden vom Land fernzuhalten“. 

Koalitionspartner       CDU rückt schon ab

Gefährlicher für die Amtschefin sind jedoch Signale, wonach auch der Koalitionspartner CDU sie am liebsten fallenlassen würde. Das könnte nicht nur an der aktuellen Affäre liegen, sondern auch quasihistorische Gründe haben. Denn als 2013 die schwarz-gelbe Landesregierung von einer rot-grünen Koalition abgelöst worden war, entließ der damalige – und jetzige – Innenminister Boris Pistorius (SPD) den Chef des Verfassungsschutzes Hans Wargel. Der war von Pistorius’ Vorgänger Uwe Schünemann (CDU) eingesetzt worden, dem in Sachen innerer Sicherheit der Ruf eines Hardliners vorauseilte. Wargel wiederum hatte bereits zuvor als Polizeipräsident von Göttingen die dortige linksextreme Szene ins Visier genommen. Als die 2005 eine Demonstration der NPD sowie rechtsextremer „Kameradschaften“ zum Anlaß nahm, Teile der Stadt in ein bürgerkriegsähnliches Szenario zu verwandeln, warf Wargel den linken „Bündnissen gegen Rechts“ vor, sich nicht ausreichend von den gewaltbereiten Antifa-Leuten abzugrenzen. SPD und Grüne fühlten sich auf den Schlips getreten.

Im März 2013 mußte Wargel dann seinen Posten räumen – für die bisherige Pressesprecherin der Behörde: Maren Brandenburger. Ein halbes Jahr später offenbarten der SPD-Innenminister und seine neue Verfassungsschutzchefin, die Behörde habe bis 2012 zu Unrecht personenbezogene Daten von linken Journalisten und Anwälten gesammelt. Der Vorwurf zielte also in Richtung der CDU-Vorgänger. Wenn die Christdemokraten nun also von Brandenburger abrücken, könnte das auch ein Signal an den roten Koalitionspartner sein: Wir haben nicht vergessen ... 

Wie es heißt, soll ein Sonder-gutachter die Panne in der Behörde nun aufklären. V steht für Vertrauen. Mal sehen, wie lange die Verfassungsschutzchefin dieses noch genießt.